Dresden Frankfurt Dance Company mit A Land Within (Choreographie: Ioannis Mandafounis), Bockenheimer Depot Frankfurt, 05.04.2025 (zweite Premiere)
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Dresden Frankfurt Dance Company (Foto: Dominik Mentzos) |
Der Mensch – A Land Within
Wer erinnert sich noch an den letzten spektakulären Auftritt von der Dresden Frankfurt Dance Company im Jahre 2019 mit dem Ensemble Modern, unter der Leitung des Choreographen Jacopo Godani? Damals als Metamorphose von Musik und Tanz angekündigt und auch mit großem Publikumserfolg realisiert. Ähnliches hat die Company auch für die diesjährigen Tournee geplant. A Land Within nennt sich ihre Performance dieses Mal und ist mit philosophischen Ideen des Franzosen Maxime Rovère (*1977) gespickt und vom Choreographen Ioannis Mandafounis (*1981) in Tanz transformiert. Wie das?
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v. l.: Maxime Rovère, Ioannis Mandafounis (Foto: H.boscaiolo) |
Tatsächlich geht es bei dieser „Show“ um zweierlei. Mit Vorgaben wie: „Der Mensch ist ein fragiles Wesen, das leicht zerstört werden kann“, oder „Vertraue keinem Menschen“, „Versagen wie Erfolg verlangen Improvisation“, „Treffe keine Entscheidungen“, „Konzentriere dich nicht darauf, was du siehst, sondern auf das, was du fühlst“, um nur einige Handlungsanweisungen an die Tänzerinnen und Tänzer verteilt, wird das Publikum gleichzeitig konfrontiert mit seiner Entscheidungsfreiheit – Vereinzelung – Zusammenführung – sowie seiner Entscheidungsunfreiheit.
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Dresden Frankfurt Dance Company (Foto: Dominik Mentzos) |
Ein abwechslungsreiches Happening
Dazu hat man die Performance zweigeteilt. Im ersten Teil, von etwa 40 Minuten Dauer, wird das Publikum (es ist zahlreich erschienen) zu einer Promenade eingeladen. Auf verschiedenen Ebenen, Räumen und Flächen tanzen nach loser elektronischer Klangflächenmusik einzelne Gruppen der Company nach verschiedenen Mustern mit unterschiedlicher Kostümierung (Dorothee Merg), ganz nach ihrem Gusto. Sie improvisieren, nehmen aber gleichzeitig Kontakt zum Publikum auf.
Darunter sind zwei Trapeztänzer auf der riesigen Tanzfläche, ein Tänzer im Foyer, einer in einem mit semidurchsichtigem Dampf gefüllten Glaskasten (der Eingangsbereich des Depots). Dann ein Paar, das lediglich von oben zu betrachten ist, und wie in einem Kampfkäfig seine Konflikte tänzerisch austrägt. Eine Dreier- und eine Vierer Gruppe wechseln gleichzeitig von Ort zu Ort, kämpferisch, lebensfroh, im scheinbar chaotischen Durcheinander. Sie rufen, ja schreien und mischen sich fast schon aufdringlich unter das Volk.
Die sogenannte Entscheidungsfreiheit eines jeden Besuchers ist ebenfalls verknüpft mit seiner Vereinzelung, denn sogar Paare oder auch Gruppen trennen sich während dieses ersten Teils und betrachten mit großem Interesse das undurchschaubare und abwechslungsreiche Happening in den umfangreichen Hallen des Depots. Dieser erste Teil endet nach Ansage.
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Dresden Frankfurt Dance Company (Foto: H.boscaiolo) |
„Meine Realität löst sich auf“
Jetzt wird aufgerufen zum zweiten Teil. Die „Show“ animiert das Publikum, seine Plätze auf der Bühne einzunehmen. Zusammenführung heißt das Stichwort, gleichzeitig aber auch Entscheidungsunfreiheit. Denn jetzt agieren die Tänzer der Company autonom, nach Plan. Das Publikum wird zum passiven Zuschauer, wie allgemein üblich.
Eine 30-minütige Performance der Extraklasse folgt. Rovère spricht Texte wie: „Ich bin, aber weiß es nicht“, „meine Realität löst sich auf“, „Streiten ist nicht einfach“ und vieles Mehr in diesem Sinne. Dazu Musik von Jean Sibelius, seines Valse triste, unterlegt mit einem Techno-Song Umbilical von Arca.
Ein Tänzer der Company tanzt dazu in wilden Ausbrüchen, verbunden mit sinnlichen Momenten und innerem Leiden. Er stöhnt, schreit, scheint vor Verzweiflung zu kapitulieren. Ein Charaktertanz sondergleichen.
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mit Dampf gefüllter Glaskasten (Foto: H.boscaiolo) |
Vergeben ist vergebens
Eine Tänzerin erscheint auf der Bühne. Die Musik wechselt zu einem bekannten Elvis Presley Song: Sometimes I feel like a Motherless Child, ursprünglich ein Spiritual aus der Zeit der amerikanischen Sklaverei, hier zunächst vom ersten Tänzer mit schönem Bariton gesungen, dann ergänzt vom Tonband mit Ruby Elzy (1908-1943), bekannt als exzellente Gershwin Interpretin.
Die Situation wechselt in einen Kampfstatus mit zwei rollbaren Tischen. Ein purer Kontrast zwischen Musik und Tanz, aber von großer Eindringlichkeit und knallender Klarheit (die Tische werden regelmäßig zusammengestoßen).
Der Sprecher, alias Rovère, ruft: „Jemanden zu vergeben ist schwer!“ Der augenscheinliche Konflikt zwischen dem Tänzerpaar scheint unlösbar. Die Interaktion erleidet ganz im Sinne des Philosophen „Schiffbruch“. Die Unfähigkeit zusammenzufinden gipfelt in der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit.
Das Tanzpaar wird ergänzt durch einen dritten. Die Musik wechselt jetzt zu Carl Bohms (1844-1920) Still wie die Nacht, eine Salonkomposition aus der Jahrhundertwende, im Repertoire nahezu aller Sänger mit Namen, darunter Rudolf Schock oder Fritz Wunderlich, hier allerdings wiederum interpretiert von Ruby Elzy, und das in einem hymnischen Stil par excellence.
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Dresden Frankfurt Dance Company (Foto: H.boscaiolo) |
„Interaktionaler Schiffbruch“
Die drei Tänzer wiederum kämpfen weiterhin ihren Kampf. Dazu der gesprochene Text: „Vergeben ist eine Art von Leiden!“ Sie kommen nicht zusammen. Übrig bleibt schlussendlich der erste Tänzer. Absolut in sich gekehrt, ohne Musikbegleitung beendet er das menschliche Drama, den, wie Rovère meint, „interaktionalen Schiffbruch“.
Alles sei im Sinne des geistigen Erfinders eine Parodie über die persönliche Entwicklung des Individuums. Eine Philosophie des endlosen Streits, bei dem für den Einzelnen nur „seine einzigartige und unendliche Macht auszuüben“, übrigbleibt, was immer er darunter verstehen mag.
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Dresden Frankfurt Dance Company (Foto: H.boscaiolo) |
Wahnsinns-Spaß am Ausdruckstanz
Die Choreographie dagegen changiert, nach Aussage von Ioannis Mandafounis, zwischen Liebe – Konflikt – Vergebung (in beiden Teilen bei insgesamt 14 Akteuren), wobei der Konflikt dramaturgisch dominiert und die Performance weniger von klaren Vorgaben, sondern vielmehr von Experimenten mit dem eigenen Körper bestimmt wird.
Unglaublich vielfältig sind von daher die Bewegungsmuster und, was auffällt: Die Tänzerinnen und Tänzer haben ihren Wahnsinns-Spaß an dieser Art des Ausdruckstanzes (Keine Neuerfindung, denn er wurde bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert praktiziert). Sie können ihre versteckten Charakterzüge voll zum Ausdruck bringen, was alle auch durchweg überzeugend realisierten.
Dem Publikum gefiel es, aber ob es sich seiner Entscheidungsfreiheit, Vereinzelung, Zusammenkunft und Entscheidungsunfreiheit bewusst wurde, sei dahingestellt.
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Dresden Frankfurt Dance Companie (Foto: H.boscaiolo) |
Das anhängige Gespräch zwischen Maxime Rovère und Ioannis Mandafounis jedenfalls hat sich weitgehend erübrigt. Sollte doch Text, Musik und Tanz für sich gesprochen haben. Eine lange Rechtfertigung von Motiv und Methode weist immer darauf hin, dass viele Fragen offen sind, die sich nicht durch die Handlungen erklären lassen. Aber müssen sie es auch? Ein Musik zum Beispiel, die sich detailliert erklären muss, wird in der Regel nicht gehört, weil ihr Zauber dahin ist. Ähnliches trifft auch für den Tanz zu.
Dennoch eine wunderbare, abwechslungs- und ideenreiche Performance mit ebensolchen Tänzerinnen und Tänzern der Dresden Frankfurt Dance Companie 2025.
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Dresden Frankfurt Dance Companie links die drei Tänzer der Solo-Schlussshow des zweiten Teils (Foto: H.boscaiolo) |
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