Marmen Quartet & Guests, Streichsextette von Johannes Brahms und Antonin Dvořák, Alte Oper Frankfurt, 03.04.2025 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft)
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Marmen Quartet v. l.: Johannes Marmen, Bryony Gibson-Cornish, Sinéad O´Halloran, Laia Valentin Braun (Foto: Marc Borggreve) |
Zwei Kompositionen der seltenen Gattung
Bereits 2022 überzeugte das Londoner Streichquartett mit Johannes Marmen, 1. Geige, Laia Valentin Braun, 2. Geige, Bryony Gibson-Cornish, Bratsche, sowie Sinéad O´Halloran, Violoncello, erstmals das Frankfurter Publikum auf der ganzen Linie. Dieses Mal, das zweite Mal in der Frankfurter Alten Oper, hatten sie zwei Gäste beziehungsweise Freunde mitgebracht, Jonathan Brown an der Bratsche und die Schwester von Laia Valentin, Ursina Maria Braun, am Violoncello.
Und in ihrer Zauberkiste das erste Streichsextett B-Dur op. 18 (1860) von Johannes Brahms (1833-1897) und das einzige Streichsextett A-Dur op. 48 (1878/79) von Antonin Dvořák (1841-1904).
Zwei Kompositionen einer seltenen Gattung (bekanntlich gibt es aus dem vorigen Jahrhundert zwar Streichsextette von Joseph Haydn (1x), Luigi Boccherini (6x), Anton Wranitzky (6x) und Ignaz Josef Pleyel (1x), dafür im 19. Jahrhundert bis zu den beiden Sextetten lediglich das Streichsextett, 1848, von Louis Spohr. Die wenigen anderen, wie das von Alexander Borodin, 1860, von Nikolai Rimski-Korsakow, 1876, von Joachim Raff, 1873, oder auch von Anton Rubinstein, 1878, entstanden relativ zeitgleich mit diesen beiden).
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Marmen Quartet v. l.: Bryony Gibson-Cornish, Sinéad O´Halloran, Johannes Marmen, Laia Valentin Braun (Foto: Marc Borggreve) |
Ausdruck der tiefsten Romantik – Die Rheinische
Genug der Statistik. Die beiden Streichsextette zumindest haben es in sich, denn sie begründen den Erfolg der Komponisten und sind Ausdruck der tiefsten Romantik dieser Zeit.
Zunächst das Streichsextett B-Dur op.18 (1860) von Johannes Brahms. Er leidet förmlich an seinem höchst geschätzten Vorgänger, Ludwig van Beethoven, glaubt, ihm das Wasser nicht reichen zu können, wagt sich nicht an Sinfonien, vernichtet seine insgesamt 20 Streichquartette, weil sie ihm, bzw. seinem Vorbild, nicht genügen und begnügt sich mit kleinen, unbedeutenden Kompositionen.
Dazu kommt der Misserfolg seines ersten Klavierkonzerts im Jahre 1859, wo er selbst am Flügel sitzt. Damals eine Katastrophe, heute dagegen eines seiner besten und beliebtesten Konzerte. Was tun?
Sein Freund Josef Joachim (1831-1907) ermutigt ihn, das halb fertige Streichsextett zu Ende zu führen, was er auch während einer Wanderung durch das Rheintal zwischen Mainz und Bonn im Sommer 1860 tut.
Es entsteht ein heiteres, entspanntes viersätziges Werk, das der Juniorchef des Verlages Simrock, Fritz Simrock, mit einem Konvolut anderer Kompositionen von Brahms, gegen den Willen seines Vaters aufkauft, verlegt, und dessen Verkauf sich als Überraschungserfolg entpuppt.
Jetzt beginnt die Erfolgsgeschichte von Johannes Brahms. Dieses Sextett könnte man auch "Die Rheinische“ nennen, denn sie ist vom Geiste des Flusses und seiner Umgebung beseelt.
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Marmen Quartet &Guests v. l.: Sinéad O´Halloran, Ursina Maria Braun, Jonathan Brown, Bryony Gibson-Cornish (Foto: H.boscaiolo) |
Der Geist des Rheinweines
Bereits die Uraufführung unter der Federführung seines Freundes Josef Joachim und dessen gleichnamigen Quartett im November 1860 in Hannover, war ein voller Erfolg. Man verglich dieses Werk mit den "Geistern des rheinischen Weines" (Max Kalbeck), oder mit einer Rheinfahrt auf dem Schiff voll lustiger Gesellen.
Tatsächlich gelingt es den sechs Instrumentalisten auf der Bühne diese Stimmung exzellent zu vermitteln, ganz im Sinne Brahms´, der dazu schrieb: Das Leben ging mir in dieser Zeit „so wonnig ein“ wie selten.
Ländler – Folia – Passacaglia
Schon im ersten Sonatenhauptsatz kreist das Thema quasi um sich selbst. Mal gesellt sich ein gemütlicher Ländler dazu, mal gibt es dramatische Momente, von Pizzikati begleitet.
Lediglich der zweite Satz, das Andante, weicht von der Leichtigkeit und Unbekümmertheit ab. Eine sechsteilige Variation in b-Moll wird thematisch von der ersten Bratsche vorgestellt, dann von der ersten und zweiten Geige variiert und vom ersten Cello in der dritten Variation fortgeführt. Ab da ist man irgendwie an die barocke Folia erinnert, ein portugiesischer Volkstanz aus dem 17. Jahrhundert, einer, der sich wild steigert bis zu übermütiger Ausgelassenheit.
Die beiden letzten Variationen dagegen besinnen sich zur Rückkehr ins Dur und zur schwermütigen Liedhaftigkeit des Grundthemas. Das Andante endet in einer Art Passacaglia, einem ostinaten Tanzrhythmus in Moll, ernst und nachdenklich.
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Marmen Quartet &Guests v. l.: Laia Valentin Braun, Jonathan Brown, Johannes Marmen, Ursina Maria Braun, Sinéad O´Halloran, Bryony Gibson-Cornish (Foto: H.boscaiolo) |
Csárdás – Reigentanz
Ganz entgegengesetzt dann das folgende Scherzo. Ein quicklebendiges Trio mit ungarischen Csárdás-Anklängen und einem typischen rheinischen Reigentanz zu Anfang und zu Ende.
Ausgelassen dann das leichtgängige Finale. Eine Art Schiffsreise zwischen Bonn und Godesberg. Alles schwingt, man sieht, man spricht. Mal fährt man an einer Burg vorbei, mal trifft man auf Wanderer, mal stößt man an und genießt den Rheinwein.
Ende offen
Hier brillieren vor allem der erste Geiger, Johannes Marmen, und die Cellistin, Sinéad O´Halloran, die beide mit überschwänglicher Hingabe und ausgelassener Gestik agieren.
Jetzt ist es ein Rondo, das die Thematik des ersten Satzes zumindest teilweise wieder aufgreift, aber sich in vielen farbigen Bildern präsentiert. Die Fahrt wird zunehmend wilder, die Arpeggien der ersten Bratschistin, Bryony Gibson-Cornish, spiegeln den steigenden Wellengang wider, die Gesellschaft gerät aus den Fugen, musikalisch durch ein Accelerando manifestiert. Ein fulminanter Schluss lässt offen, ob man das Ziel erreicht hat, oder auf einen Felsen aufgelaufen ist.
Romantisch perfekter Stil
Eine einfühlsame Interpretation des Sextetts im romantisch perfekten Stil ist es allemal. Brahms selbst verurteilte es selbstkritisch als „langes, sentimentales Stück“. Bedingt hat er damit recht, denn es zeigt viel von seinem inneren Wesen, seiner psychischen Konstitution. Immerhin ist es der Wendepunkt seiner Karriere und der Beginn seines Weltruhms, wozu das Londoner Streichsextett einen weiteren Beitrag geleistet haben dürfte.
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Marmen Quartet &Guests v. l.: Johannes Marmen, Laia Valentin Braun, Sinéad O´Halloran, Ursina Maria Braun, Jonathan Brown, Bryony Gibson-Cornish (Foto: H.boscaiolo) |
Durchbruch mit Johannes Brahms
Die Geschichte des Streichsextetts A-Dur op. 28 (1878) von Antonin Dvořák ist ähnlich gelagert wie die von Brahms. Auch er agierte bis zu dieser Komposition lediglich im Prager Umfeld, seiner böhmischen Heimat, und verdiente seine knappes Geld als Gelegenheitsbratschist im Theaterorchester sowie als Klavierlehrer.
Erst seine Bewerbung in Wien für ein Künstlerstipendium erweckte die Aufmerksamkeit des Jurymitglieds Johannes Brahms, der dafür sorgte, dass er 1877 aufgenommen, und seine Werke von Simrock verlegt wurden. Zunächst seine Klänge aus Mähren, für die Simrock kein Honorar bezahlte, dann die Slawischen Tänze, mit denen er binnen kürzester Zeit berühmt und quasi über Nacht ein gemachter Mann wurde.
Das Streichsextett fällt genau in diese Zeit. Er komponierte es parallel zu seinen Slawischen Tänzen, verarbeitete auch einige darin, widmete es seinem Gönner und späteren Freund, Johannes Brahms, und erreichte damit einen ebensolchen Erfolg wie mit seinen Slawischen Tänzen.
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Marmen Quartet &Guests v. l.: Johannes Marmen, Laia Valentin Braun, Sinéad O´Halloran, Ursina Maria Braun, Jonathan Brown, Bryony Gibson-Cornish (Foto: H.boscaiolo) |
Das Böhmische in vielen Facetten
Dieses Werk besteht ebenfalls aus vier Sätzen, Allegro, Dumka, Furiant und Finale Variation, und wie schon die Satzbezeichnungen andeuten, besteht es aus Tanz, Tanz und wieder Tanz.
Bereits im ersten Satz, einem Sonatenhauptsatz, manifestiert sich das „Böhmische in vielen Facetten“: mal melancholisch liedhaft, mal frisch und mitreißend mit punktierten Motiven. Er steckt voller Stimmungswechsel, die das Streichsextett mit großer Versiertheit zu vermitteln vermag. Auch hier wieder die erste Geige und das erste Cello herausragend.
Eine kurze intensive Stretta leitet zur Dumka über. Ein ursprünglich russisch-ukrainischer Tanz im Vierviertel-Takt mit der Betonung auf der Drei, der zwischen sanft-traurig und schnell-fröhlich changiert.
Glanzstück des Vortrags
Ganz im Gegensatz dazu der folgende Furiant. Ein stampfender Volkstanz im Wechsel von Zweiviertel und Sechsachtel Takt, schnell und lebensfroh. Hier greift Dvořák auf den ersten seiner Slawischen Tänze zurück.
Das Finale, der vierte Satz, besteht aus sechs Variationen. Sehr liedhaft, fließend und langsam sich steigernd bis zum gnadenlos stürmischen Presto in der Schlussvariation. Ein Glanzstück des Vortrags. Hier zeigten alle sechs Instrumentalisten neben ihrem technischen Können vor allem auch ihre tiefe Auseinandersetzung mit dem musikalischen Stoff.
Diese Interpretation machte ebenfalls deutlich, wie es Dvořák unbewusst verstand, dem damals viel berühmteren Bedřich Smetana den Rang abzulaufen.
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Marmen Quartet &Guests v. l.: Johannes Marmen, Laia Valentin Braun, Sinéad O´Halloran, Ursina Maria Braun, Jonathan Brown, Bryony Gibson-Cornish (Foto: H.boscaiolo) |
Eine gewagte Zugabe
Die Sechs ließen sich nicht lange bitten und gaben eine Zugabe. Man lese und staune: Den ersten Satz aus Ludwig van Beethovens Mondscheinsonate op. 27 Nr. 2 in cis-Moll. Ein gewagtes Unternehmen, denn für sechs Streichinstrumente wohl kaum geeignet.
Aber immerhin. Insgesamt eine äußerst gelungene und prächtig vermittelte Interpretation zweier bahnbrechenden und bis heute außergewöhnlichen Streichsextette. Dafür: Großer Dank an das Marmen Quartet & Guests.
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