Dienstag, 15. April 2025

Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Thomas Guggeis, 8. Montagskonzert, Alter Oper Frankfurt, 14.04.2025 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museums-Gesellschaft e. V.)

Opern- und Museumsorchester (Foto: Website)

Ungewöhnlich – Gewöhnungsbedürftig

Eine irgendwie ungewöhnliche Mischung aus Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Erstem Brandenburgischen Konzert F-Dur, BWV 1046 (1721) und Anton Bruckners Fünfter Sinfonie B-Dur (1875/78/94) sollte es sein, die aber nicht so recht zusammenpassen wollte. Zwar ist Bruckner unbestritten zeitlebens ein großer Anhänger Bachs gewesen und seine Fünfte entsprechend gespickt mit barocker Kontrapunktik und diversen Fugen. 

Auch sollte die Fünfte einen Beweis seiner kontrapunktischen Meisterschaft abliefern. Aber nun ist das Brandenburgische Konzert Nr. 1 alles andere als kontrapunktisch konzipiert, sondern gleicht viel eher eine viersätzige Suite zwischen fürstlichem Jagdvergnügen und höfischen Tanzeinlagen. 

Nicht von ungefähr hat Bach seine sechs Konzerte dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg (1677-1734) gewidmet und seine Sätze einer gut gelaunten höfischen Gesellschaft überantwortet.


Thomas Guggeis (Foto: Theatro di Brescia)

Warum also Thomas Guggeis dieses Werk auswählte und ausgerechnet mit einem vergleichsweise großen Orchester (gut 40 Instrumentalisten) aufführen ließ, bleibt allein sein Geheimnis. Denn eigentlich wirkt das Konzert am bestem mit einem kleinem Ensemble (maximal 15), zumal komplexe Gruppendialoge und transparent und rhythmisch kompliziert zu bewältigende Abschnitte bestes Zusammenspiel erfordern, was leider diese Interpretation in weiten Teilen vermissen ließ. 

Positiv allerdings zu vermerken ist, dass Guggeis vor allem die schmetternde Klangrede des dritten Satzes und das Finale, eine Folge von Tanzsätzen in einer Rondoform von kleinen Gruppen spielen ließ, die ihre Sache wirklich brillant erfüllten.


Thomas Guggeis (Foto: culture_31)

"Seiner Sache sicher"

Aber kommen wir zum eigentlichen Anlass dieses Abends. Es ist, wie es allgemein heißt, die selten gespielte Sinfonie Nr. 5 B-Dur von Anton Bruckner, wobei gleich festzuhalten ist, dass sie vor wenigen Monaten, im November 2024 von den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko, im Großen Saal zur Aufführung kam und großen Eindruck hinterließ. Dennoch litt sie unter einer wirklich schweren Geburt.

Entstand sie doch als Werk eines „Einsamen“, „sehr gläubigen Menschen“, der zeitlebens an mangelnder Anerkennung litt und sich ausgerechnet mit dieser Komposition den Durchbruch erhoffte. Viele Geschichten und Anekdoten umranken dieses Werk. Historisch belegt ist allerdings, dass Bruckner es unter schwierigen finanziellen Bedingungen in kaum vier Monaten (zwischen Februar und Mai 1875) erstellte und offensichtlich "seiner Sache sicher" war, obwohl er es noch einige Male bis 1878 korrigierte. 

Zur Uraufführung aber kam es erst im Jahre 1894, in einer Zeit, in der er bereits erkrankt war und das von Franz Schalk (dem verantwortlichen Dirigenten) ziemlich entstellte Werk (er strich ganze Teile und veränderte auch musikalische Abschnitte in der Partitur ) niemals hörte.


Opern- und Museumsorchester (Foto: H,boscaiolo)

Ein gewaltiger monolithischer Block

Er sonnte sich allerdings in den Lobeshymnen, denn diese Sinfonie, auch wenn sie erstmals 1935 in seiner Urfassung in München zur Aufführung kam, trug tatsächlich zu seiner Anerkennung als Meister der Kontrapunktik (er bezeichnete es selbst als „kontrapunktisches Meisterwerk“) bei. Auch Namen wie „Die Tragische“, „die Mittelalterliche“, die „Glaubenssinfonie“ oder auch „Die Katholische“ gab man ihr, was durchaus die Bedeutung dieses gewaltigen monolithischen Blocks dokumentiert.

Diese Sinfonie von nahezu 80 Minuten Dauer ist alles andere als romantisch zu nennen. Bruckner betrachtete Musik als exakte Wissenschaft und war der Auffassung, dass sie entsprechend der mittelalterlichen Artes liberales (bestehend aus den sieben Künsten wie Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) in der Spannung von mathematischen Grundregeln wie philosophisch-religiöser Bekenntnis zu agieren habe. Nichts also von romantischer Innerlichkeit, sondern vielmehr Musik als Architektur und wissenschaftliche Erkenntnis. Ein absolut moderner Ansatz, der allerdings im ausgehenden 19. Jahrhundert noch viele Hörer und Kritiker seiner Musik irritierte, wenn nicht gar abstieß.


Thomas Guggeis stehend, Opern- und Museumsorchester 
(Foto: H.boscaiolo)

Weltgebäude im vorläufigen Zustand

Heute gehört diese Sinfonie zum Repertoire aller großen Orchester dieser Welt, auch wenn sie immer noch große Aufmerksamkeit erfordert und vielleicht auch Irritation erzeugen mag. So haben doch einige Zuhörer aus dem Publikum schon vorzeitig den Saal verlassen.

Thomas Guggeis hat das gesamte Instrumentarium aufgeboten. Mit fast 100 Musikerinnen und Musikern des Opern- Museumsorchesters überzeugt er gleich mit der Introduktion. Ein Adagio wie aus Mozarts Requiem mit Streicher-Pizzikati und wunderschönen Klangschichtungen. Ein Ges-Dur Dreiklang belebt die Szene und lässt förmlich die Trauer ins Licht aufsteigen: per aspera ad astra.

Das Allegro Thema des ersten Satzes führt in die Welt Bruckners ein. Ein fantastisches Weltgebäude scheint der Komponist zu entwickeln, alles aber noch in einem vorläufigen Zustand. Motiv reiht sich an Motiv, fragmentarisch, hingeworfen. Einem Soggetto des knappen Einfalls ähnlich, wie aus vergangenen, vorbarocken Zeiten.


Gewagtes Spiel eines Dompteurs

Guggeis gelingt es perfekt, Dramaturgie und Power im rechten Maß zu halten und den Spannungsbogen bis zur abschließenden ersten Apotheose aufrechtzuerhalten. Ein gewagtes Spiel eines Dompteurs, das er mit Grandezza und Leichtigkeit beherrscht.


Die Seele des Werks

Bekanntlich hat Bruckner das Adagio des zweiten Satzes zuallererst fertiggestellt. Es sollte die Keimzelle, die Seele seiner Sinfonie symbolisieren. Hier erinnert doch vieles - die Horneinlagen, die klagenden Oboen, die pastorale Gesamtstimmung - an eine Wagnersche Tristan-und-Isolde-Szenerie, wenngleich in sehr spekulativer Weise. Denn Bruckner lässt hier seiner damaligen Gefühlslage freien Lauf.


Opern- und Museumsorchester (Foto: H.boscaiolo)

Vergnügen und Weinseligkeit

Allerdings gleitet er auch hier wieder aus tiefer Trauer, Ungewissheit und Verzweiflung ins Licht der Zuversicht und der Hoffnung. Ein ausgedehnter Satz, von Thomas Guggeis und seinem Opern- und Museumsorchester dicht geführt, und in einer Cantus firmus Stilistik dargeboten, mit herrlichen Hörner-, Flöten- und Oboen-Melodien, umspielt von flirrenden Streichertremoli, chromatischen Skalen und fantastischen Quintfällen wie Oktavsprüngen der übrigen Gruppen.

Das Scherzo setzt wieder an die Melodielinie des ersten Satzes an, entwickelt sich aber alsbald zu einem echten Wiener Heurigen-Gassenhauer. Das wird auch tänzerisch und frisch vom großen Orchester bewältigt. Die Trios wiederholen sich vielmals und ergeben in ihrer Gesamtheit ein Bild des Vergnügens und der Weinseligkeit. Sehr verspielt und mit einem Schuss Ironie lässt Guggeis diesen Satz vortragen, mit Accelerando, Ritardando und Rubato, Tempowechsel und metrischen Raffinessen.


Komplettiertes Puzzlespiel

Das Finale, eine Mischung als Adagio und Allegro knüpft nahezu identisch an den ersten Satz an. Der dort angefangene Weltenbau soll jetzt zur Vollendung gebracht werden. Mit anderen Worten, die anfangs aufgestellte These soll sich nun endgültig quasi dialektisch wie wissenschaftlich bestätigen.

Hinzugefügt wird allerdings ein sechstöniges Klarinettenmotiv, witzig und an Richard Strauss´ Tondichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche erinnernd (wenngleich erst 1895 entstanden). Gleich wird es als Ausgangsthema für eine erste Fuge verwendet, die dann unmittelbar in einen Choral der Blechbläser mündet. Ein neues achttöniges Motiv wird eingeführt und gemeinsam mit dem Choraltthema zu einer höchst komplexen Doppelfuge verarbeitet. Hier beweist Bruckner seine unglaubliche Kunstfertigkeit in der barocken Kontrapunktik.

Jetzt wird noch einmal das Hauptthema des ersten Satzes aufgenommen. Dieses Mal aber gepaart mit plagalen, unvollendeten Kadenzen, die einen sakralen Charakter vermitteln. Alles wirkt wie eine gesungene Kantate. Das anfangs noch Unvollendete, Skizzierte und Vorläufige findet jetzt seine Erfüllung. Das Puzzlespiel wird im wahrsten Sinne komplettiert.


Thomas GuggeisOpern- und Museumsorchester 
(Foto: H.boscaiolo)

Er sah, dass es gut war

Das kontrapunktische Meisterstück ist gelungen. Nach gut 75-Minuten klingt das Werk, im Rückgriff auf den Blechbläserchoral und das Hauptthema aus dem ersten Satz, mit einer glanzvollen zweiten vollendeten Apotheose aus. Ein gewaltiger Abschluss, der durchaus mit Bruckners Bibelaussage aus der Schöpfungsgeschichte zusammengefasst werden kann: „Und Gott sah, dass es gut war!“

Das Publikum geriet in Begeisterungsstürme. Tatsächlich gelang Thomas Guggeis mit dieser Interpretation und seinem bestens aufgelegten Opern- und Museumsorchester eine wirklich beeindruckende Vorstellung dieses doch sehr komplexen und anspruchsvollen Werks. Chapeau.


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