Samstag, 24. Mai 2025

Daniil Trifonov, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 22.05.2025 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Daniil Trifonov (Foto: Deutsche Grammophon)

Alle Wünsche und Träume restlos erfüllt

Daniil Trifonov (*1991) hat mittlerweile seine Fangemeinde. Man kommt weit her, um ihn erleben zu dürfen. Und das absolut zu recht, denn seine Auftritte sind echte Ereignisse der Klavierkunst und immer wieder überrascht er mit außergewöhnlicher Literatur. Der große Saal der Alten Oper Frankfurt war brechend voll und die Erwartungen entsprechend gewaltig. Es sei vorweggenommen: Alle Wünsche und Träume hat er restlos erfüllt.


Berstende Schönheit

Trifonov, das sei ebenfalls bemerkt, scheint immer deutlicher Züge eines speziellen Charakters zu zeigen. Ganz in schwarz gekleidet ist sein Gang gebeugt und schwerfällig. Sein Haar ist lang und strähnig, der Bart wild. Scheu wie Reh kommt er, ähnlich wie sein Landsmann Grigori Sokolov *1950), auf die Bühne, setzt sich ohne Umschweife an den Flügel und verlässt sie nach getaner Arbeit auch umgehend wieder. Alles andere als die Show liebt dieser Ausnahmekünstler, dafür changiert seine Musik zwischen purer Aufregung, großer Gelassenheit, schwungvollem Tanz und berstender Schönheit. Keine Worte reichen aus, um dieses Genie an den Tasten vollständig zu beschreiben.

Mitgebracht hatte zwei Werke von Peter Tschaikowsky (1840-1893), nämlich eine Sonate cis-Moll (1865/1890) und dessen Dornröschen Ballett Suite (1890), allerdings in der Bearbeitung von Mikhail Pletnev (*1957) aus dem Jahre 1989 (dazu später). Außerdem die selten gespielte Sonate es-Moll op. 26 (1949) von Samuel Barber (1910-1981) sowie eine Auswahl von sechs Walzern aus der Hand von Frédéric Chopin (1810-1849).


Daniil Trifonov (Foto: Andreas Etter)

Ein Ideenpool

Wie gesagt, gebeugt und in langsamem Schritt betrat Trifonov die Bühne, setzte sich ohne Verbeugung vor dem Publikum direkt an den Flügel und begann mit einem überschwänglichen Gefühlsausbruch auf der Klaviatur. Der junge Tschaikowsky komponierte – nach reiflicher Überlegung, seinen Beamtenjob hinzuwerfen und sich im Jahre 1862 im Moskauer Konservatorium einzuschreiben – diese Sonate als Abschlussdokument seiner Studienzeit und das mit größter Empathie, aber auch mit viel Versuch und Irrtum. 

Er selbst war der größte Kritiker seines Debütwerks und ließ es in der Schublade liegen. Dennoch benutzte er es als Ideenpool für seine folgenden, sehr erfolgreichen Kompositionen, wie die ein Jahr später erschienene Erste Sinfonie g-Moll op.13, aber auch für seine Oper Eugen Onegin, und wenn man Daniil Trifonov Glauben schenken möchte, für seine berühmte Symphonie fantastic. Erst im Jahre 1900 erschien dann diese Sonate beim russischen Verlag P. Jurgenson und erhielt die Opus-Nummer 80.


Bei Trifonov wird alles gut

Das viersätzige Werk hält natürlich alle klassischen Formen ein, ist dennoch schwer zu fassen, denn Tschaikowsky bevorzugt darin die Aneinanderreihung von diversen Motiven, ohne sie weiter zu verarbeiten, wie den Parforceritt durch die unterschiedlichsten Tonarten. Das Scherzo des dritten Satzes kontrastiert im Trio kaum, es ist eigentlich nicht herauszuhören, und im Allegro vivo des Finalsatzes lässt er noch einmal sein figuratives und virtuoses Tastenspiel wie ein Feuerwerk abbrennen. 

Eigentlich eine unfertige Komposition, aus der Trifonov allerdings ein Klangereignis zauberte, das es in sich hatte. Hier bereits wurde wieder einmal deutlich: Was Trifonov in seine Hände nimmt, wird immer gut.


Daniil Trifonov (Foto: Andreas Etter)

Erlebnis Walzer

Die sechs Walzer aus der Hand Frédéric Chopins folgten einer Auswahl seiner insgesamt 37 Klavierwalzer, von denen allerdings nur acht zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden. Die Wahl folgte keinem Prinzip, aber viele waren doch weniger bekannt, wie op. 15 E-Dur posthum (1827) oder op.70 f-Moll Nr. 2 (1841). Aber auch Bekanntes und Virtuoses waren dabei, wie der berühmte Minutenwalzer Des-Dur op. 64/1 (1847) oder op. 14 e-Moll posthum (1830), ein äußerst beliebtes, weil brillantes Zugabendstückchen.

Was allerdings Trifonov aus den Walzern machte war schlicht ein Wiener Schmankerl. Leichtgängig, ruhig und gelassen mit herrlichen Übergängen innerhalb der regelmäßigen A-B-A Form. Der Minutenwalzer, meist in rasendem Tempo heruntergehauen, wurde bei ihm zum beschwingten Wahnsinn. Der a-Moll Walzer, fast ein wiegender Trauertanz, wechselte zum herrlich erfrischenden Zwischenspiel, um dann in tiefer Melancholie zu enden. Den finalen e-Moll Walzer wiederum spielte er weich wie Butter und ließ ihn in einer spritzigen Kaskade enden. Fazit: Selten so einen perfekt gelebten Walzerrhythmus erlebt.


Daniil Trifonov (Foto: Andreas Etter)

Voll amerikanischer Elemente

Die lange Pause ließ einen Samuel Barber von enormer Expression erleben. Samuel Barber ist in Europa weniger bekannt, gehörte er doch in den Staaten seinerzeit, zusammen mit Aaron Copland und Gian Carlo Menotti, zu den bekanntesten Neutönern. Diese, seine einzige Sonate in es-Moll op.26 wurde von keinem Geringeren wie Vladimir Horowitz (1903-1989) im Jahre 1949 in New York uraufgeführt, und das mit durchschlagendem Erfolg.

Diese Sonate allerdings weicht wenig von der traditionellen Form und Harmonik ab, ist aber dennoch voller amerikanischer Elemente, wie die typische Jazz Synkopik, der überbordenden dissonanten Akkordik, sowie einer gewaltigen Orchestrierung und Klangfarbe. Dabei verwendet Barber gleichermaßen die Zwölftontechnik wie den Kontrapunkt. 

Letztgenannter vor allem in seiner abschließenden Fuge, der Fuga. Allegro con spirito. Höchst virtuos und von der damaligen Kritik der Washington Post zum „spannendsten und technisch brillantesten“ Stück erklärt, das „je von einem Amerikaner geschrieben“ wurde. Man könnte es erweitern auf Trifonov, der wohl dieses knapp 20-minütige Werk so perfekt wie noch nie ein Europäer am Flügel interpretiert hat.


Populärstes Ballett

Zwanzig aufreibende Minuten, die er gleich fortsetzte mit dem Prolog aus Tschaikowskys Dornröschen Ballett von 1890. Tschaikowsky schrieb dieses abendfüllende Ballett in weniger als sechs Wochen und die Uraufführung in Sankt Petersburg machte es zu den populärsten Balletten, die bis heute zu den Standards des klassischen Balletts gehören.

Kommen wir zu Mikhail Pletnev. Er zählt zu den bekanntesten und besten Pianisten unserer Zeit, hat sich aber auch als Komponist und Dirigent bereits internationalen Ruhm erworben. Seine Transkriptionen der Dornröschen und Nussknacker Ballette haben mittlerweile einen festen Platz im Repertoire der Konzertpianisten.


Daniil Trifonov (Foto: Andreas Etter)

Ein Melodram

Das knapp 30-minütge Werk besteht aus elf Teilen. Prolog und Finale rahmen es ein. Dazwischen sind Tänze (Tanz der Pagen, Gavotte), einfache Tempoangaben (Andante, Adagio) oder handelnde Personen wie die Silberfee, Der gestiefelte Kater, Rotkäppchen und der Wolf eingeflochten. Nicht zu vergessen die Vision und Der zwitschernde Kanarienvogel. Die Bearbeitung hat zwar kaum noch Bezug zu den 30 Szenen der insgesamt drei Akte des Balletts, aber die Stimmung macht´s.

Pianistisch ist es eine Herausforderung, die nur die besten aller besten beherrschen. Trifonov, wie sollte es anders sein, machte aus dem Ballett ein Melodram zwischen Genie und Wahnsinn. Es fehlen die Worte und man ist geneigt, auf das enigmatische und geheimnisumwitterte Gebaren des Wanderpredigers Rasputin zu verweisen, der durch seine Zauberkünste nicht allein die Zarenfamilie, sondern auch die russische Politik seiner Zeit beeinflusste.


Daniil Trifonov (Foto: Andreas Etter)

Menschenscheu, aber gewaltiges Charisma

Daniil Trifonov ist tatsächlich ein spezieller Charakter. Menschenscheu und von großem Charisma beseelt. Seine Zugabe, ein Vals de Santo Domingo von Rafael Bullumba Landestoy (1925?-2018), einem dominikanischen Pianisten und Komponisten. Ein Walzer voller Seele und Herz mit herrlichen Terzläufen und südamerikanischem Temperament. Trifonov gehört zu den bemerkenswertesten Künstlern auf diesem Globus. Der Parnassus ist seine Heimat. Das Publikum wollte ihn nicht gehen lassen.

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