Internationale Maifestspiele 2025 in Wiesbaden
Judith, Klangtheater von Giulia Giammona und Johannes Brömmel nach einem Text von Leonora Carrington (1917-2011), Staatstheater Wiesbaden, Uraufführung, 28.05.2025
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Judith Alyona Rostovskaya (Foto: Laura Nickel) |
Die Enthauptung des Mannes
Wer glaubt, sich bei dieser Themenansage an das berühmte Gemälde von Caravaggio „Judith enthauptet Holofernes“ erinnern zu müssen, der liegt nicht falsch. Auch in dieser Arbeit der noch sehr jungen Regisseurin Giulia Giammona (*1995) geht es um die sprichwörtliche Enthauptung des Mannes, dieses Mal aus der Sicht der eher als Malerin und Bildhauerin bekannten Leonora Carrington (1917-2011), deren surreale Gemälde auf dem Kunstmarkt mehrere Millionen Dollar erzielen, ihr literarisches Werk aber nicht einmal die Verlage erreicht hat.
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"Judith tötet Holofernes" 1599, Gemälde von Caravaggio Foto aus dem Palazzo Barberini in Rom |
Surreal – symbolisch – hybrid
So auch „Judith“, ein Theaterstück von 1961, in der die Autorin ihre Befreiung von ihrem übergriffigen Vater beschreibt und das mit surrealen Techniken, hybriden Wesen, katholischer Symbolik und nicht zuletzt in einer Art Abrechnung mit ihrer Familie.
Giulia Giammona begeistert, eigenen Aussagen zufolge, Carringtons kreative Weise, eigene Welten zu schaffen. Sie verweist dabei auf die amerikanische „Genderkönigin“, Judith Butler (*1957), die Carringtons „Techniken der Überschreibung von Klischees“ herausstreiche und damit das Verhältnis von Mann und Frau im Spiegel von Märchen, Sagen und surrealen Erscheinungen beschreibe.
Vater-Tochter-Konflikt
Carringtons Judith, wie auch ihr Roman Das Hörrohr (1974) beschäftigen sich mit der ganz persönlichen Vater-Tochter-Beziehung, die alles andere als konfliktfrei war. Carrington flieht regelrecht aus der Familie, zunächst nach Paris (wo sie Max Ernst kennen- und lieben lernt), dann nach Spanien und schließlich nach Mexiko (allerdings aus Kriegsgründen), wo sie bis zu ihrem Lebensende verbleibt.
Immer aber scheint ihr prekäres Verhältnis zu ihrem Vater eine entscheidende Rolle zu spielen, die sie in den beiden Werken bzw. Theaterstücken auf ihre Art und Weise durchlebt und surrealistisch aufarbeitet.
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Alyona Rostovskaya (Foto: Laura Nickel) |
Feministische Arbeit
Was aber macht die Regisseurin und ihr Team daraus. Die Antwort fasst sie selbst kurz zusammen: „Es ist eine feministische Arbeit.“
Die Handlung erzählt dementsprechend das „intergenerationelle Trauma“ (Programm) einer vom Vater misshandelten Frau, die sich durch Metamorphose, das heißt mithilfe eines surrealen Gibeons, in einen Skorpion, einen kastrierten Widder oder Greif zu verwandeln vermag (auf der Bühne realisiert durch drei Judiths, jung, schön und alt; gewissermaßen die Gestalten von Carrington als Kind, Frau und Greisin).
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v. l.: Alyona Rostovskaya, Evelyn, M. Faber Foto: Laura Nickel |
Der Mann – eine gewalttätige Karikatur
Der Vater Isacchar (Stimme aus dem Off von Martin Plass) spricht in schwarzer Pädagogik, zerstört mit jeder seiner Äußerungen das Selbstbewusstsein seiner Tochter. Das geht so weit, ihren Verehrer Esrom (gespielt von Benjamin Viziotis) zur Vergewaltigung seiner Tochter aufzufordern. Esrom wiederum ist ein Papiertiger, seine hilflosen Posings im Stil eine Bodybuilders wirken lächerlich. Die ganze Figur verkörpert die Karikatur eines Mannes.
Die Hauptrolle der Judith spielt und singt Alyona Rostovskaya mit einem recht schönen Mezzosopran, der allerdings in der Höhe etwas gepresst wirkt. Begleitet wird sie von ihrem Pendant der alten Frau (ob Mutter oder Judith als Greisin, bleibt offen), der Schauspielerin Evelyn M. Faber. Beide dominieren das Geschehen über weite Strecken der gut einstündigen Vorstellung.
Die Handlung wird begleitet von einer Flötistin (Jessica Jiang). Gibeon (als schwarzer Adler), Judith als Kind und der Skorpion sind von Ida Rauschnabel und Clara Weidmann besetzt (in der Inszenierung nicht immer klar zu unterscheiden) und das Cembalo, an der Seite der Bühne, vom musikalischen Leiter und Komponisten Johannes Brömmel bespielt, der auch den Soundtrack und die live-Elektronik verantwortet, und das mit minimalsten Mitteln.
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v. l.: Benjamin Viziotis, Alyona Rostovskaya Foto: Laura Nickel |
Die Familie – ein Gefängnis
Die wirklich super kleine Bühne des Studios soll ein Kaminzimmer aus dem englischen Herrenhaus der Carringtons darstellen (Bühne: Mariella Maier). Allerdings wirkt es durch milchige Fenster und Naturkautschuk Verwendung für das Inventar eher wie ein Gefängnis als ein Raum zur Entspannung.
Seelische Aufarbeitung
Das Theater ist grob in drei Teile gegliedert: in einen Prolog, durch eine Sehnsuchts-Arie der junge Judith dominiert und die Ankunft des Freiers Esrom, einen Mittelteil, der von der Stimme des gewalttätigen Vaters, von dem Möchtegern Mann Esrom und dem verzweifelten Widerstand der beiden Judiths handelt.
Man könnte auch von einer historischen Aufarbeitung des Seelenzustands der Protagonistin Carrington alias Judith sprechen. Dazu zusätzlich noch von barocker Musik aus den Händen von Johannes Brömmel begleitet. Ein wenig Kontrapunktik mit Salzburger Flair.
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Alyona Rostovskaya (Foto: Laura Nickel) |
Symbolische Verbrennung der Vergangenheit
Im dritten Teil wird es dann etwas lebendiger (lebte der Schauplatz doch bis dahin von Dunkelheit und tiefer Depression) und es wird heller auf der Bühne (Licht: Joachim Schmitz). Die Judiths scheinen sich zu emanzipieren. Ein Song der Judith, begleitet von Flöte und Cembalo, bekommt einen tänzerischen 6/8 Rhythmus, wobei die drei Judiths ein altes Cembalo (Synonym für die ständigen Befehle des Vaters an Judith, ein Lied zu singen) auf die Bühne rollen, es scheinbar liebevoll umwandern und streicheln, um es dann mit der Axt zu zerhauen.
Die Wände des Kaminraums werden dann theatralisch eingerissen und die Reste gemeinsam mit dem Tasteninstrument und dem Rollstuhl des Vaters symbolisch verbrannt.
Tötet die Väter
Ein Epilog soll der Inszenierung Sinn verleihen. Die Judiths bezeichnen sich jetzt als Zentauren des Himmels. Sie reiten durch Nacht und Wind in den Äther. Esrom, der wahrhaft kastrierte Mann, möchte jetzt endlich über den Fluss der Erkenntnis fahren (bis dahin hat er es nicht geschafft) und der Vater soll nicht sterben, wie immer wieder von den Judiths gewünscht, sondern ist jetzt tot, mausetot.
Letzte Worte der jungen Judith ins Publikum des vollbesetzten Studio Saales: „Ich halte Ausschau!“
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v. l.: Ida Rauschnabel, Alyona Rostovskaya, Evelyn, M. Faber Foto: Laura Nickel |
Wirkliche Identität erarbeiten
Was soll man sagen? Die Frage müsste lauten, ob Eleonora Carrington diese Inszenierung für sich akzeptiert hätte? Sie war nämlich alles andere als eine Feministin. Dafür eher eine von ihrem autoritären Vater (wer hatte bis in die 1960er Jahre nicht autoritäre Väter?) an ihrer Selbstbestimmung und Eigenverantwortung be- bzw. gehinderte Person, die sich durch Flucht (auch vor den Folgen des zweiten Weltkriegs), aber auch durch selbstbestimmte Aktivitäten und künstlerische Ausdrucksformen (Surreale Malerei und Literatur!) eine wirkliche Identität erarbeitet hat, wobei ihre Erfahrungen im Elternhaus durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben mögen. Beim wem nicht?
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Schlussapplaus v. l.: Jessica Jiang, Ida Rauschnabel, Evelyn M. Faber, Alyona Rostovskaya, Benjamin Viziotis, Clara Weidmann, Johannes Brömmel Foto: H.boscaiolo |
Bessere Schulaufführung einer Oberstufe
Aber pauschal von „intergenerationellen Traumata“ zu sprechen, ist doch weit hergeholt. Alle Menschen werden von ihrer sozialen Vergangenheit geprägt und wachsen an diesen Widersprüchen. Die Allerwenigsten, und dazu gehörte auch Carrington, werden von ihnen verfolgt, sind ihnen ein Leben lang ausgeliefert. Das widerspricht auch fundamental der Idee der Aufklärung.
Die Darstellung des männlichen Teils dieser Aufführung ist insofern nicht nur weit überzogen, sondern trägt leider im Sinne der genannten Soziologin, Judith Butler, zur ungesunden Spaltung von Mann und Frau sowie zur Sprachlosigkeit und Anfeindung der Geschlechter bei. Ein unseliges Unterfangen, dass bereits im Westen der Industriestaaten zu schrecklichen Auswirkungen, Stichworte: Wokeismus und Queere-Theorien, geführt hat. Sei ´s drum.
Die Inszenierung, das sei der jungen Regisseurin bescheinigt, war insgesamt stimmig, wenn auch auf dem Niveau einer besseren Schulaufführung einer Oberstufe.
Nachdem einige Besucher vorzeitig den Raum verlassen hatten, war das übrige Publikum doch angetan von der Inszenierung. Aber das sei dem Team auch vergönnt.
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