Orchesterfest mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Antonio Pappano und der Violinistin Lisa Batiashvili, Alte Oper Frankfurt, 02.06.2025
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Public viewing vor der Alten Oper Frankfurt (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Fulminantes Orchesterfest zum Ausklang der Saison
Es ist wohl das dritte Mal, dass die Alte Oper Frankfurt unter der Intendanz von Dr. Markus Fein die erfolgreiche Konzertsaison 2024/2025 mit einem fulminanten Orchesterfest ausklingen lässt.
Verbunden mit einem public viewing auf dem Opernplatz (der Andrang war bereits eine Stunde vor Beginn des Festes riesengroß) waren in diesem Jahr das London Symphony Orchestra (gegr. 1904) unter der Leitung ihres Chefdirigenten Sir Antonio Pappano (*1959) sowie die Geigerin Lisa Batiashvili (*1979) in den vollbesetzten großen Saal der Alten Oper Frankfurt geladen, um dem Fest einen angemessenen Rahmen zu geben.
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Sir Antonio Pappano, London Symphony Orchestra Foto: H.boscaiolo |
Langer Weg, kurzer Sinn
Und das taten sie, das sei vorausgeschickt, mit Bravour. Dabei hatten sie zwei Werke von Hector Berlioz, seine Ouvertüre Le Corsaire op. 21 (1844-1852) und die Symphonie Fantastique op. 14 (1830) sowie von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) dessen fünfte und letzte Violinsonate KV 219 (1775).
Gehen wir gleich in medias res. Das über hundertköpfige Orchester legte gleich mit einem tobenden Wellengang los. Dabei muss man wissen, dass Berlioz diese knapp achtminütige Ouvertüre quasi über den Dächern von Nizza schrieb (die Älteren erinnern sich vielleicht noch an den gleichnamigen Hitchcock Thriller aus dem Jahre 1955), wo er nach einer langen persönlichen Krise in einem Turm mit Blick aufs Mittelmeer Erholung suchte. Er las dabei Lord Byrons gleichnamige Versdichtung und Le Corsaire rouge von Fenimore Cooper (Stichwort: Lederstrumpf), nannte dieses vollkommen verrückte Stückchen mal La Tour de Nice, dann wieder Le Corsaire rouge, um ihm dann endgültig im Jahre 1852 den Titel Le Corsaire zu verleihen, den es bis heute beibehalten hat.
Eine Tsunamiwelle
Warum die Vorgeschichte? Ganz einfach. Diese Ouvertüre hat nie zu einer Oper gereicht, gehört aber dennoch zu den meistgespielten ihres Genres. Sie erzählt menschliche Höhen und Abgründe, wechselt abrupt 'Von Himmel hoch jauchzend' in 'Zum Tode betrübt', lässt Hass und Hetze freien Lauf, und ein Publikum zurück, das nicht mehr weiß, unter Genie und Wahnsinn zu unterscheiden.
Sir Pappano kaute, stöhnte und schnaufte nicht umsonst, denn er musste das Orchester wie einen Formel 1 Rennwagen in kürzester Zeit von Null auf Zweihundert bringen, und gleichzeitig die Seelen des Publikums erreichen und in Wallung versetzen. Kein Sturm im Wasserglas, das sei festgehalten, sondern ein Orkan, der wie eine Tsunamiwelle das Publikum inside und womöglich auch outside voll erfasste.
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Lisa Batiashvili, Sir Antonio Pappano, London Symphony Orchestra (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Schönheit mit Fleck
Dann betrat Lisa Batiashvili mit ihrer Guarneri del Gesù von 1739 die Bühne. Ganz in schwarzer, rüschenversetzter und schulterfreier Garderobe. Sie wartete ganze 48 Takte, die dem jetzt ziemlich verkleinerten Orchester (ca. 35 Instrumentalisten) gehörte, um dann dem kraftvollen Allegro aperto mit einer fast zärtlichen Arie im Adagio Tempo zu entgegnen.
Mit wunderschönem Strich, hell, transparent, aber bestimmt im Ausdruck, lässt sie die Tonschönheit und Jugendlichkeit des Werks, das Mozart mit 19 Jahren schrieb, wie die Diva einer Opernszene zur Geltung kommen. Ein kleiner Schönheitsfleck allerdings die abschließende Kadenz, Marke Eigenproduktion der Solistin, die doch weit vom Charakter der Mozartischen Musik abwich.
Vom Teenager zum Mann
Mozart, das sei an dieser Stelle erwähnt, hat dieses fünfte und letzte seiner Violinkonzerte wohl auch in der Absicht geschrieben, seine Tätigkeit als Geiger ein für allemal zu beenden. Denn ab jetzt konzentrierte er sich auf das Klavier und seine Opern, ganz zum Leidwesen seines Vaters Leopolds, der voller Melancholie an die wunderbare Jugend seines Sohnes zurückdachte, wenn er das Geigenspiel hörte.
Das Adagio des zweiten Satzes in hellem E-Dur geschrieben, erreicht bereits die Empfindsamkeit der Romantik des 19. Jahrhunderts. Im Spiel der Solistin zum Weinen schön interpretiert. Dazu die wirklich perfekte Übereinstimmung zwischen Tutti und Solo, was auch der Umtriebigkeit von Sir Pappano zu verdanken ist.
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Sir Antonio Pappano, London Symphony Orchestra (Foto: Tibor-Florestan Pluto) |
Zweimal Mozart
Ganz der Teenager Mozart dann im Rondo (Rondeau) des dritten Satzes. Hier spürt man den jugendlichen Leichtsinn des Komponisten und sein komödiantisches wie chaotisches Wesen. Mal Menuett, dann wieder türkischer Marsch. Zwischendurch Ballettmusik, mal höfisch, mal derb, mal ausgelassen und dann wieder elegant und ganz in seiner Zeit der ausgehenden Klassik.
Hier brilliert Lisa Batiashvili auf ganzer Linie. Sie selbst scheint ein wenig in die Rolle Mozarts zu schlüpfen, spielt ausgelassen und ernst, spöttisch und derb, immer aber gesanglich klar und schön. Ein Mozart, der die folgenden Opern wie Idomeneo, Entführung aus dem Serail und Le Nozze di Figaro bereits erahnen lassen.
Die Zugabe sollte wohl ein Leckerbissen ihres technischen Vermögens auf den Saiten werden. Eine Etüde oder eine Capriccio aus der Hand des Georgiers Alexandre Machavariani (1913-1995), genannt Doluri (1980). Jedenfalls ein Meisterstück der Repetition und der Tremoli.
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Sir Antonio Pappano, Lisa Batiashvili, London Symphony Orchestra Foto: H.boscaiolo |
Das Leben – eine Tragödie?
Der zweite Teil des Abends gehörte der Symphonie Fantastique. Berlioz schrieb dieses menschliche Drama, um nicht von einer Tragödie sprechen zu müssen, vierzehn Jahre vor seinem Le Corsaire. In seiner erfolgreichsten Zeit, er hatte gerade den Grand Prix de Rome, quasi den Oscar der Musik, eingeheimst, schlug seine Symphonie Fantastique wie eine Bombe ein.
Zwischen Wahn, Opiumrausch, Liebe, Leidenschaft, Träumereien, Tod und Teufel ist alles drin in der fast einstündigen, fünfteiligen szenischen Darstellung von Liebe, Drama und Wahnsinn, wie es eine Oper nicht besser könnte. Genau das, was die damalige französische Gesellschaft offensichtlich verstand und brauchte. Denn tatsächlich endet dieses musikalische Programm in einem Totentanz, den der Zeitgenosse und enger Freund, Franz Liszt, nicht besser hätte komponieren können.
Energiegeladene Strahlkraft
Aber gehen wir ins Detail. Der Satz beginnt mit leidenschaftlichen Träumereien (Rêveries, Passions). Ein junger Mann und Musiker begegnet einer Frau, die seinem Ideal entspricht. Seine diversen Stimmungen werden musikalisch in widerstreitenden Themen und einem Leitmotiv, ein Liebesmotiv (Berlioz nennt es Idee fixe) verarbeitet, das sich durch alle fünf Akte durchzieht.
Das riesige Orchester mit vier Hörnern, drei Perkussionisten, doppelt und dreifach besetzten Holz- und Blechbläsern, zwei Harfen, Glocken, Serpent und Ophikleide, um nur die wichtigsten zu nennen, trumpft hier bereits mit energiegeladener Strahlkraft auf. Sir Pappano wird gleichsam zum Liebhaber, dessen Geist ganz der Liebe zu dieser Frau verfallen ist.
Das Gewitter naht heran
Im zweiten Akt befindet sich der Liebhaber auf einem Ball (Un Bal). Die Stimmung ist ausgelassen, das Leitmotiv alias die Idee fix, bewegt sich im Walzertakt. Aber die vermeintliche Liebe erfährt ihre erste Trübung. Die Angebetete beachtet ihn nicht mehr. Der dritte Akt: Szene auf dem Lande (Scène aux champs) gerät dann zur schicksalshaften Wendung des bis dahin positiven, höchst emotionalen, fast rauschhaften Zustands.
Englisch Horn und Oboe spielen ein Duett, vergleichbar mit dem Vorspiel des dritten Aktes aus Wagners Tristan und Isolde. Wie Rufe aus der Natur wirkt dieser Teil, der allerdings durch Zweifel, Misstrauen und Bestrafungsfantasien des Liebhabers unterbrochen wird. Bratschen und Celli spielen drohende Tremoli und Cluster der Pauken wirken wie das Grollen eines herannahenden Gewitters.
Höllische Orgie
Der vierte Akt: Gang zum Richtplatz (Marche au supplice), vermutlich in Erinnerung an die Guillotine aus der Zeit des Terreurs, lässt bereits die Aussichtslosigkeit der Liebe erkennen. Das Liebesmotiv gerät jetzt zu einer gemeinen, fast grotesk anmutenden Anklage. Der verschmähte Liebhaber und Musiker träumt, er werde zu einem Richtplatz geführt und erlebt seine eigene Exekution.
Dabei lässt das Orchester mit einem lauten Knall das Fallbeil herabsausen. Eine erschreckende Szene in einer vierfach forte Lautstärke, die das energiegeladene Orchesters mit ihrem Dirigenten auf das Publikum niedergehen lässt.
Der Schlussakt: Der Hexensabbat (Songe d´une nuit du sabbat), lässt den Verschmähten unter der Hexenversammlung erwachen. Das Liebesmotiv ist kaum noch zu erkennen, bzw. herauszuhören.
Verzerrt und von Dissonanzen, chromatischen Läufen und schrägen Glissandi umspielt, wirkt es wie ein Karikatur ihrer selbst. Zur Freude der Hexen, die das Dies Irae ertönen lassen. Den Totengesang, der das Ende der Welt einläutet. Und das mit Glockengetöse und Tuben-Gebläse wie aus Dantes Inferno. Das Jüngste Gericht wird hier zur höllischen Orgie.
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Sir Antonio Pappano, London Symphony Orchestra Foto: H.boscaiolo |
Parforceritt durch alle menschlichen Gefühle
Kaum zu beschreiben, wie Orchester und Dirigent quasi Handlung, Gesang und Musik unter einen Hut bringen. Die Symphonie Fantastique ist eine frühe Programmmusik, die später von Franz Liszt, Richard Wagner, Richard Strauss, Gustav Mahler und vielen anderen dankend kopiert wird.
Was das London Symphony Orchestra und sein Chef Sir Antonio Pappano allerdings aus dieser Komposition herausdestillierten, war mehr als fantastisch. Es war ein Parforceritt durch alle menschlichen Gefühle sowie einer Zeitstimmung des frühen 19. Jahrhunderts, die viele Ähnlichkeiten und Bezugspunkte zu heute enthält. Entsprechend der Applaus. Stehend und überschwänglich.
Die Zugabe, die Pavane fis-Moll, op.50 (1887) von Gabriel Fauré war ein gelungener Abschied von der Bühne der Alten Oper. Ich denke auch für das Publikum auf dem Opernplatz, dem das Glück beschieden war, ohne Regentropfen durch dieses geniale Konzert mitgenommen worden zu sein. Auf eine erfolgreiche kommende Konzertsaison!
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