Montag, 19. Mai 2025

Parsifal, ein Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner, Oper Frankfurt, Premiere, 18.05.2025

Jennifer Holloway (Kundry) und Ian Koziara (Parsifal)
alle Fotos von Barbara Aumüller

Zwischen Himmel und Hölle

Zehn Jahre ist es her, dass Parsifal auf der Frankfurter Bühne unter der Regie von Christoph Nel (1944-2024) aufgeführt wurde. Zeit also, dieses umstrittene, vieldiskutierte und interpretierte Opus Summum Richard Wagners (1813-1883), uraufgeführt in Bayreuth am 26.Juli 1882, wieder zu inszenieren. 

Dieses Mal unter der Regie von Brigitte Fassbaender, der musikalischen Leitung von Thomas Guggeis sowie einem illustren Team, darunter Johannes Leiacker (Kostüme und Bühnenbild), Jan Hartmann (Licht), Gerhard Polifka (Chor) sowie Katharina Wiedenhofer (Choreographie) und Konrad Kuhn (Dramaturgie).

Parsifal, das sei vorausgeschickt, gehört wohl zum am meisten missverstandenen, aber auch gleichzeitig am häufigsten – im wörtlichen Sinne – in den Himmel gelobten Werk, sodass man eher geneigt ist, all das abzustreifen und sich ausschließlich auf die Inszenierung in der Frankfurter Oper zu konzentrieren.


v. l.: Ian Koziara (Parsifal) und Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz)
sowie zwei Knappen

Wer ist der Gral? – Charaktere!

Brigitte Fassbaender selbst spricht vom einem „Mysterium“ (Wer ist der Gral?), das durchaus zu Verwirrungen führen könne und hat sich, eigenen Aussagen zufolge, mit dieser Inszenierung schwer getan. Vor allem die Figur der Kundry zählt dazu, eine Art Wiedergängerin der Herodias, die Christus am Kreuz verhöhnte, eine Verführerin, eine Leidende und eine nach Erlösung suchende in einer Person.

Sie hat sich entschieden, psychologisch die einzelnen Personen zu fassen: neben Kundry das Dreieck um Titurel (der Vater Amfortas´), Amfortas (das Oberhaupt des Gralsrunde) und Parsifal (der Tor) konzentriert und natürlich auf Klingsor (der Widersacher Amfortas und der Gralsgemeinde) und Gurnemanz (der Leibwächter des Amfortas und Schützer des Grals).

Ihre Charaktere liegen ihr am Herzen. Wie entwickeln sie sich im Laufe des Geschehens? Wie verhalten sie sich zu Parsifal und dessen Weg vom reinen Tor zum „welthellsichtigen“ Heilsbringer? Fragen über Fragen, die die Debütantin, wie auch alle Sängerinnen und Sänger (ausgenommen Titurel), quasi mit einem Seziermesser durchschneidet und analytisch nach außen kehren möchte.


Ian Koziara (Parsifal; Bildmitte), Ensemble

Den Code der Partitur knacken

Auch Thomas Guggeis gehört zu den Debütanten, obwohl er bereits genügend Erfahrung mit Tannhäuser, dem Ring und dem Fliegenden Holländer gesammelt hat. Er wiederum hat sich intensiv mit der Aufführungsgeschichte dieser „Szenischen Passion“ (Pierre Boulez) beschäftigt, und sein Augenmerk auf das Tempo, das Verhältnis von Belcanto und Musiksprache, das Problem der romantischen und der schlanken, stereotypen Interpretation der Partitur gelegt, und dabei großen Wert auf das einvernehmliche Zusammenwirken von Bühnenspiel und Musik gelegt.

Die Hervorhebung der dominanten Leitmotive, oft genannt als das Abendmahl- das Grals- und das Glaubensmotiv (alle drei werden bereits in sinnlicher Weise im ausgedehnten Vorspiel entwickelt), sowie ihre Entwicklungen im Rahmen des Bühnengeschehens liegen ihm sehr am Herzen. Seine Absicht, den komplizierten Code der Partitur zu knacken, ist aus jeder seiner Äußerung zur musikalischen Umsetzung der fast vierstündigen Phantasmagorie herauszuhören.


v. l.: Ian Koziara (Parsifal), Jennifer Holloway (Kundry),
Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz)

Zwischen Romantik und Moderne

Die Bühnengestaltung ist schlicht und wechselt nur selten. Sie changiert zwischen romantischer Felsenidylle und moderner sachlicher Struktur in Form einer Mauer. Der Gral wiederum, der Versammlungsraum der Erleuchteten (eigentlich die Gralsburg), erinnert eher an einen biederen Salon als an einen Rittersaal, es fehlen lediglich noch die Hirschgeweihe. Mittig ist eine Grotte eingerichtet mit dem (zunächst) verdeckten riesigen Kelch (Symbol des Grals). Die Versammlung der Männer (und Frauen?) wird durch einen gewaltigen Tisch unterteilt. Gekleidet sind alle im modischen Bürgerlook des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Eine Gruppe mit Schülern und Kinder, statt mit Rittern und Knappen, bevölkert den Raum, der Fragen aufwirft, wie: ist das eine Männergesellschaft mit pädophilen Ambitionen? Aber nein, auch Mädels tummeln sich darunter. Oder vielleicht doch eine Gesellschaft mit sexuellen Vorlieben? Oder: Was sollen die Körbe voller Brot (im Sinne der Eucharistie), die von einem Catering Service geliefert werden?


Iain MacNeil (Klingsor) und Jennifer Holloway (Kundry)

Statt Zaubergarten biederer Salon

Der zweite Akt, eigentlich eine Traumwelt, die sich der abtrünnige Klingsor, im Kostüm eines Magiers, gezaubert hat (Wagner dachte hier an den berühmten Garten der Villa Rufolo über dem italienischen Ort Ravello, an der Adria gelegen) entpuppt sich als eine Fortsetzung des biederen Salons aus dem ersten Akt. 

Die Abweichung liegt lediglich im rot ausgelegte Tisch als Bühne auf der Bühne, und statt des Kelchs eine Art Imitation von Botticellis Venus Gemälde, allerdings reduziert auf die Muschel. Denn die Venusgestalten, alias Blumenmädchen, oder Zaubermädchen, sind in weiße Hochzeitskleidchen gesteckt, treten in blumiger Formation auf, das aber eher statisch als dynamisch. Sie kommen durch den Grottengang und verlassen den Raum auch wieder durch diesen.

Ihre Verführungsversuche sind eigentlich keine, wie auch die des Versuchungs-Duetts zwischen Kundry – auch sie im Hochzeitskleid – und Parsifal – er in einer angedeuteten schwarzen Ritterrüstung. Ein zweiter Akt also, der leider optisch wie szenisch eher enttäuschte. Dafür musikalisch und gesanglich, bezogen auf Kundry und Klingsor, durchaus eine Glanznummer bot.


Ian Koziara (Parsifal) umringt von Klingsors Zaubermädchen, Chor

Kein wirklicher Karfreitagszauber

Das Schlussbild des dritten Aktes ähnelt dem des ersten Aktes, nur ist jetzt die moderne Mauer zerstört, eingefasst in ein Fassadengerüst, denn das fantastische Reich des Klingsors ist ja durch Parsifals Erleuchtung erloschen, förmlich explodiert. Nur die Reste der Mauer stehen noch. Viele Kreuze säumen den Eingang und man ist an Kriegsgräber erinnert. Tatsächlich herrscht Karfreitag, der Tag der Kreuzigung Christi.

Gurnemanz, Kundry und Parsifal beherrschen die Szene. Kundry ist bekehrt, macht aber einen verwirrten Eindruck (sie putzt gewaltig lang den Fußboden der Bühne). Parsifal, jetzt als Agent mit Hut verkleidet (?), der die Lanze von Klingsor erobert hat, wird von Gurnemanz als Nachfolger Amfortas erkannt, gesegnet und gesalbt (Kundry vollzieht die berühmt berüchtigte Fußwaschung und Salbung), um dann in den sich auflösenden, siechenden Kreis der Ritter eingeführt zu werden. Kein wirklicher Karfreitagszauber.

Eine Felsenhalle mit martialischen Rittergesellen, die, als Soldaten in Tarnuniform vor der Urne des Titurel wild und wütend auf Amfortas einreden, weil er sich weigert, den Gral zu enthüllen und Lebenskraft auszuteilen. Sehr skurrile Szene: Amfortas öffnet die Urne und ruft dabei, er, sein Vater, solle den Schöpfer um seinen Tod bitten.


v. l.: Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal),
Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz)

Erlösung bei Sekt und Häppchen

Parsifal, der neue Führer der Gralsritter betritt gemeinsam mit Gurnemanz den Felsendom, hält dem leidenden Amfortas die Lanze an die Wunde, die ihn sichtbar heilt, öffnet den Gral und lässt aus dem Kelch die siechende Soldatenmasse wieder zu edlen Rittern werden. Christlicher Gesang aus dem oberen Rang begleitet die Erdlösungsszene. Alles im gleißenden Licht und goldenem Gepränge.

Der Clou: Kundry stirbt nicht etwa den Erlösungs- oder, sollte man vielleicht sagen, den Liebestod, sondern vereint sich mit Amfortas. Beide küssen sich innig auf den Mund und verlassen das Gelände. Die Rittergemeinschaft hat ihre Tarnkleidung abgelegt und feiert ausgelassen ihre „Erlösung“ bei Sekt und Häppchen, natürlich geliefert von der Catering Firma „Weihfestspiel“ oder so. „Erlösung dem Erlöser“, die letzten Worte des Gesamtchors. Jetzt weiß man warum!

Wie sagte doch einstmals Pierre Boulez zum Opus summum von Richard Wagner: „Sein Missfallen (gemeint: über den Traum der Romantik) zeigt jedenfalls, dass er sich kaum noch Illusionen über die Illusion machte.“


 Jennifer Holloway (Kundry) und Iain MacNeil (Klingsor)

Sechs Charaktere – alles dabei

Diese szenische Passion lebt überwiegend von den sechs genannten Akteuren. Dabei überzeugte vor allem Andreas Bauer Kanabas mit ungeheuer sonorem Bass, überragender Übersicht und schauspielerischer Extraklasse. Sein Rollenspiel belebte ungemein die ansonsten doch weitgehende Statik auf der Bühne.

Kundry, zwischen Hexe und büßender Dienerin angesiedelt, wurde von der Sopranistin Jennifer Holloway insgesamt doch nachvollziehbar interpretiert. Von burschikos, verführerisch und extrem devot, war ihr alles gegeben und das gelang ihr auch auf der Bühne wirksam werden zu lassen. Allerdings konnte sie dies stimmlich nicht immer übertragen. Ihr lautes Gekicher und Stöhnen reichte dazu nicht aus. Ihrem dramatischen Sopran fehlte doch etwas die dynamische Differenziertheit.

Parsifal, der durch Mitleid wissende Tor, gesungen und gespielt von Ian Koziara (Tenor) gefiel als wilder Tor im ersten Akt eigentlich am besten. Sein ungestümes Auftreten belebte ungemein den sehr ausgedehnten ersten Akt und seine Duette mit Gurnemanz konnten gefallen.

Im zweiten Akt fiel er leider ab. Die Verführungsszenen mit den Blumenmädchen und Kundry wirkten gestelzt und starr wie sein Brustpanzer. Auch seine Stimme (insgesamt sang er eigentlich kaum 13 Minuten) rutschte eher ins Flache ab.

Warum er im dritten Akt als Agent erscheint, bleibt ein Geheimnis der Regie. Auch hier wirkte er eher distanziert und ohne große Empathie, die dagegen von Gurnemanz und Kundry voll erfüllt wurden. Insgesamt ist seine beabsichtigte Entwicklung vom reinen Tor zum „Welthellsichtigen“, durch Mitleid Wissendem nicht recht deutlich geworden. Da reichten die Kostümierungen nicht, wie auch sein schauspielerisches Vermögen.

Amfortas, der leidende und gequälte Vorstand der Ritterrunde, sang und spielte Nicholas Brownlee mit ausgezeichnetem Bariton. Seine insgesamt kurzen Auftritte ließen sein Leid und seinen Fatalismus bis an die Grenze des Möglichen treiben. Man konnte sich förmlich in ihn hineindenken, was vor allem seinem schauspielerischen Vermögen zu verdanken war. Warum er sich allerdings mit Kundry liiert. Na ja. Fragen wir Frau Brigitte Fassbaender.

Titurel, der Vater des Ganzen wurde in einer kurzen Szene im ersten Akt aktiv und von Alfred Reiter in bestem Bass dargestellt. Besser geht es eigentlich nicht.

Vergessen wir nicht Klingsor, den der Gralsritterschaft abtrünnigen Zauberer und Widersacher Amfortas (er hat ihm den Speer entrissen und eine schmerzhafte, blutige Wunde zugefügt, die niemals heilt, ohne die Berührung des Speers), hier gesungen und gespielt von Iain MacNeil (Bariton), der seine kurze Rolle in der Kluft eines Tierbändigers mit Verve und überzeugtem Schauspiel erfüllte. Ein guter, kraftvoll-viriler Bariton, der die Zauberkunst und Hinterhältigkeit von Klingsor brillant verkörperte.


 v. l.: Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal),
Nicholas Brownlee (Amfortas), Ensemble
 
Viel Statik, wenig Dynamik

Alle anderen Akteure gaben wie immer ihr Bestes. Herauszuheben die Blumen- oder Zauberkinder mit schönen glockigen Sopranstimmen, aber, wie gesagt, wenig verführerisch, der Männerchor (Die Gralsritter) und der Frauenchor (Engel aus der Höhe des Himmels), wie immer gesanglich perfekt, aber doch sehr statisch und invariant. Da hätte sich Gerhard Polifka mit seinem Frankfurter Opernchor doch ein wenig mehr Bewegung und Aktivität ausdenken können. Man vermisste ein wenig seinen Vorgänger, Tilman Michael.


v. l.: Jennifer Holloway (Kundry), Nicholas Brownlee (Amfortas),
Ian Koziara (Parsifal), Ensemble

Ungemein plastisch wie pastell

Zum Dirigat von Thomas Guggeis lässt sich festhalten, dass er im Laufe des Fortgangs die anfangs vermisste Farbe in den Fortgängen und Entwicklungen der musikalischen Ereignisse, zunehmend dann im zweiten und am besten im dritten Akt realisierte. 

Jetzt glänzte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit ungemein plastischer und pastellener Spielweise. Und das auch in den Intermezzi zwischen den Akten, die im impressionistischen Stil von Fassadengemälden der Kathedrale von Rouen aus Claude Monets Bilderserie (1892-1894) illustriert wurden. Zwischen motivischen Paraphrasen aus Tristan und Isolde, Tannhäuser und später Wagner Romantik, zwischen hymnischer und triumphaler Ausarbeitung der musiktragenden Motive - es stimmte einfach alles. 

Allerdings, und das sei dann doch bemerkt: Wo war das Glockenklavier? Die Glockentöne, die zu hören waren, klangen schräg und unangepasst. Auch passte im Finale die Musik und die Handlung auf der Bühne nicht immer zusammen, was aber nicht dem Orchester, sondern eher der Regie anzulasten ist.


vorne am Bühnenrand: Thomas Guggeis (musikalischer Leiter)
alle Akteure beim Schlussapplaus
Fotos: H.boscaiolo

Von vielen Fragwürdigkeiten erschlagen

Der Beifall war typisch "frankfurterisch", herzlich aber ohne Enthusiasmus. Man war förmlich erschlagen in Gedanken der vielen Fragwürdigkeiten, und insofern klatschte man zwar lange aber nicht frenetisch und schon gar nicht johlend. Insgesamt konnte die Inszenierung nur bedingt überzeugen. Jedenfalls hat sie weder „erschüttert“ wie dazumal Thomas Mann, noch war es das Größte und Schmerzlichste, dass „ich es unentweiht mit mir durch mein Leben tragen werde.“ (Gustav Mahler nach der Bayreuther Aufführung im Juli 1883). Es war eine bemerkenswerte Premiere, die allerdings nicht alles hielt, was sie versprach.

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