Montag, 23. Juni 2025

38. Rheingau Musik Festival 2025

Eröffnungskonzert mit dem hr-Sinfonieorchester (Leitung: Alain Altinoglu), dem MDR-Rundfunkchor, sowie Beatrice Rana (Klavier), Anett Fritsch (Sopran), Bogdan Volkov (Tenor), Alexandre Duhamel (Bariton), Kurhaus Wiesbaden, 22.06.2025


Friedrich-Thiersch-Saal 
hr-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor,
v. l.: Anett Fritsch, Alain Altinoglu, Bogdan Volkov, Alexandre Duhamel
alle Fotos: Ansgar Klostermann

Außergewöhnliches und selten Aufgeführtes

Das 38. Rheingau Musik Festival ist eröffnet. Wie immer mit großartigem Programm und ebensolchen Künstlern. Der architektonisch herausragende Friedrich-von-Thiersch-Saal gehörte zum passenden Ambiente des Einstiegs in die folgenden Wochen des Festivals, das erst am 06. September sein Finale erleben wird. 

Bis dahin erwartet das Publikum mehr als 155 Veranstaltungen an verschiedenen Orten des Rheingaus. Der, wie es so schön heißt, bis auf den letzten Platz besetzte Saal brodelte regelrecht vor Erwartung, denn das Programm versprach mit drei Meisterwerken des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts Außergewöhnliches und selten Aufgeführtes.

Dazu gehörten die Orchesterbearbeitung aus der fünfteiligen Klaviersuite Miroirs (Spiegelbilder) von Maurice Ravel (1875-1937) höchstselbst, nämlich Une barque l´océan (eine Barke auf dem Ozean) aus dem Jahre 1906, sein Klavierkonzert G-Dur von 1931, uraufgeführt am 14. Januar 1932 in Paris, damals mit der Ausnahmepianistin Marguerite Long (1874-1966) am Flügel, am gestrigen Abend mit der Überfliegerin an den Tasten, Beatrice Rana (*1993), und als Schlusspunkt, von Charles Gounod (1818-1893) die 1855 uraufgeführte Cäcilienmesse (Messe solenelle en l´honneur de Sainte-Cécile) für drei Solostimmen, vier- bis sechsstimmigen Chor, großes Orchester mit Orgel und Oktobass. Ein damals sehr erfolgreiches und beliebtes „Oratorium“, aber heute noch selten aufgeführt und im Rhein Main Gebiet letztmals wohl im Jahre 1987.


Beatrice Rana, Alain Altinoglu, hr-Sinfonieorchester

Atmosphärisches Gleiten

Gleich zu Beginn überraschte das mit gut 90 Instrumentalisten besetzte hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Alain Altinoglu mit einer zutiefst impressionistischen Ausgestaltung der knapp siebenminütigen Bildbeschreibung einer Barke auf dem Ozean. Alles schien zu schwanken und den Meereswellen ausgesetzt. Am Klavier heißt es „vom Pedal eingehüllt“, für das Orchester ist es der Klangfarbenreichtum, ausgelöst von den einzelnen Orchestergruppen, der Blech und Holzbläser, der Harfen und des Perkussionsapparats, der Streicher wie auch der glockenhellen Celesta. 

Ein atmosphärisches Gleiten über die doch stille See, das sogar einige Zuhörer in den Sekundenschlaf versetzte.


Der jagenden Moderne angemessen

Dann kam sie, Beatrice Rana, in sonnengelber Robe, schulterfrei, im Kontrast zu ihren langen schwarzen Haaren, ein Outfit, dass perfekt zur Musik passte. Ravel selbst komponierte dieses Konzert in G-Dur parallel zu seinem D-Dur Klavierkonzert für die linke Hand, das er seinem kriegsversehrten Freund, Paul Wittgenstein, widmete, und nannte es „ein Konzert im wahrsten Sinne des Wortes“, womit er vor allem seine Heiterkeit und Brillanz hervorhob. 

Nicht ernst, gefühlig, stimmungsgeladen und dramatisch wollte er es verstanden wissen, sondern lebendig, der voranschreitenden, ja jagenden Moderne angemessen.


Beatrice Rana, hr-Sinfonieorchester

Übermenschliche Leichtigkeit

Da er längere Zeit in den USA verweilte, und dort den jazzigen Swing, den schwarzen Blues, den Charleston, Shimmy und Tango kennen- und lieben lernte, verarbeitete er in dem dreisätzigen, überaus spannenden Werk diese Elemente und mixte sie geschickt mit den baskischen Klängen und Tänzen der Heimat seiner Mutter. Herausgekommen ist ein gewaltiges Konvolut mit expressionistischer Kraft, das sowohl vom Solisten wie vom Orchester alles abverlangt an Präzision, Rhythmusvielfalt, physischer Kraft und technischer Versiertheit. Das Ganze dann noch in einer Leichtigkeit serviert, das fast ans Übermenschliche grenzt.

Selbst das Adagio, deren Thematik Ravel aus Mozarts Klarinettenquintett A-Dur KV 581 entlehnt hat, um es vorsichtig zu formulieren, ist der Ausbund an Schönheit und Einfallsreichtum. Einfach in der Technik zwar, aber extrem anspruchsvoll in der Ausführung.

Schließlich das abschließende, kurz gehaltene Presto. Ein energetisches Feuerwerk, dem allerdings ein wenig die Strahlkraft ausging.


Kein Blickkontakt

Beatrice Rana ist eine ausnehmend gute Pianistin, ohne Frage, aber für dieses gewaltige Werk braucht man viel Kraft, vor allem Durchsetzungsvermögen. Und die fehlte ihr des Öfteren. Das Orchester allerdings war insgesamt viel zu laut und übertönte die Solistin oft an wichtigen Parts, aber auch das Zusammenspiel ließ viele Fragen offen.

Offensichtlich hat man das Konzert zu wenig geprobt, und leider muss man auch dem Dirigenten, Alain Altinoglu, den Vorwurf machen, dass er nicht immer auf der Höhe der Partitur war. Seine Einsätze kamen oft zu spät, sodass die einzelnen Musiker oder Gruppen der Solistin hinterherlaufen mussten. Aber auch die Abstimmung mit Beatrice Rana fehlte weitgehend. So hatten der Dirigent und die Pianistin so gut wie nie Blickkontakt. Eine Todsünde für dieses höchst anspruchsvolle Klavierkonzert.


Beatrice Rana, Alain Altinoglu, hr-Sinfonieorchester

Tiefe Impression

Dennoch, dem Publikum gefiel es, und das ist die Hauptsache. Beatrice Rana gab noch eine Zugabe aus Peter Tschaikowskys Intermezzo aus der Nussknacker Suite. Wunderschön romantisch und von tiefer Impression beseelt.


hr-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor,
v. l.: Anett Fritsch, Alain Altinoglu, Bogdan Volkov, Alexandre Duhamel


Die Sensibilitätsverkörperung seiner Zeit

Kommen wir zum zweiten Höhepunkt des Eröffnungskonzerts. Charles Gounod ist bei uns eigentlich eher bekannt als Opernkomponist, dazu gehören vor allem sein Faust und seine Romeo et Juliette. Die Cäcilienmesse dagegen fehlt weitgehend im Bewusstsein seiner bekannten Kompositionen und war dennoch in seiner Zeit ein beliebtes Vokalwerk und zählte für viele seiner Zeitgenossen auch zum Vorbild ihrer eigenen Kompositionen. 

So heißt es zu recht, dass Gounod weniger wegen seiner Kompositionen, sondern vielmehr wegen seines pädagogischen Einflusses zur Berühmtheit wurde. So nahmen sich beispielsweise Jules Massenet, Gabriel Fauré und auch Claude Debussy seine romantischen Stimmungsbilder zum Vorbild. Letztgenannter meinte sogar, Gounod verkörpere die Sensibilität seiner Zeit.

Und kein Geringerer als Camille Saint-Säens schrieb über diese Messe, deren Uraufführung er am 22. November 1855 besuchte, sie habe bei ihm eine gewisse Benommenheit hervorgerufen … „zunächst war man geblendet, dann berauscht und schließlich überwältigt.“


Einfach – mangelnde Schärfe – dogmatisch

Warum, fragt man sich, ist diese Messe, im Gegensatz zu Verdis Requiem, zu Brahms Deutsches Requiem, zu den Messen von Schubert, Anton Bruckner, oder auch Carl Maria von Weber, so völlig aus dem Blickfeld verschwunden?

Vielleicht liegt es tatsächlich an der Einfachheit, der mangelnden Schärfe, und der von Gounod beabsichtigten klaren Orientierung an Giovanni Pierluigi da Palestrinas (1525-1594) musikalischer Auffassung, wonach entsprechend des Trienter Konzil-Beschlusses von 1563, die Musik dogmatischen Stilen und festgelegter Ästhetik unterworfen wurde. 

Dagegen die avantgardistischen, vorausschauenden und mit dem Protestantismus sympathisierenden Komponisten, wie Orlando di Lasso, Giovanni Gabrieli, Carlo Gesualdo oder auch Monteverdi in den Hintergrund gedrängt wurden, ihre Musik sogar verboten wurde.


Gigantomanie – Spektakel – historisierende Dramatik

Andererseits versuchte er eine Synthese zwischen der doch statischen und fast emotionslosen Musik Palestrinas und der gewaltigen, damals beliebten Grand-Opéra-Szenerie in Paris herzustellen. Das bedeutete: Gigantisch große Orchester, spektakuläres Ambiente, verbunden mit dramatischen historischen Ereignissen. 

So setzt er zum Beispiel eine Kirchen Orgel, einen Oktobass (ein riesig, überdimensionierter Kontrabass, dessen ober Saiten gar nicht erreichbar sind) ein, dazu einen riesigen Bläserchor, oft dreifach besetzt, zwei Harfen (ursprünglich sollten es sechs sein), Klavier und Pauken.

Mit fast 100 Instrumentalisten, 70 Sängerinnen und Sängern, drei Solisten (Anett Fritsch, Sopran, Bogdan Volkov, Tenor, Alexandre Duhamel, Bariton) ein Aufwand, der allein optisch schon beeindruckte.


hr-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor,
v. l.: Anett Fritsch, Alain Altinoglu, Bogdan Volkov, Alexandre Duhamel

Viel Pathos – gewaltiger Klangaufwand

Gounod, das sei noch bemerkt, hielt sich lange in Italien auf, war tief gläubiger Katholik und beabsichtigte sogar, Priester zu werden. Neben seinen zwölf Opern schrieb er auch eine Menge Kirchenmusik, worunter auch seine Cäcilienmesse gehört.

Sie besteht aus acht Teilen, angelehnt an die katholische Liturgie mit den festgelegten fünf Gesängen(Kyrie, I, Gloria, II, Credo III, Sanctus, V, und Agnus Dei, VII) und dem Proprium (hier: Offertorium, IV, Benedictus, VI, und Domine, Salvum Fac, VIII).

Chor und Orchester agieren oft im Unisono. Alle Teile der Messe sind sinfonisch durchkomponiert, aufgeteilt in Wechsel von Solo und Tutti, von Chor und Orchester, Sologesang und Accompagnato. Immer aber mit großem Pathos und gewaltigem Klangaufwand. 

Die drei Solisten, alle bekannte Opernsänger und mit Preisen dotiert, machten ihre Sache bestens. Ebenso ist der MDR-Rundfunkchor mit guten Stimmen bestückt. Auch wenn das Werk keine große Anforderungen an den Gesang stellt, so muss er doch klar akzentuiert und dem liturgischen Text unterworfen sein, ganz so, wie es das Trienter Konzil vor knapp 500 Jahre vorschrieb.


Einfach, gepaart mit quantitativer Masse

Die Mischung allerdings machte es. Die spektakuläre Bühne, allein die Masse, die herausragende Orgel und der wohlklingende Oktobass im Benedictus und Agnus Dei, ein wenig wie der Klang einer tiefen Tuba, schafften für Auge und Ohr eine dramatische fast schon historische Zuspitzung. 

Denn man fühlte sich durchaus in die Zeit des 19. Jahrhunderts versetzt, wo Giacomo Meyerbeer, Gioachino Rossini, Fromental Halévy oder auch Giuseppe Verdi die Opernwelt verzückte.


hr-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor,
v. l.: Anett Fritsch, Alain Altinoglu, Bogdan Volkov, Alexandre Duhamel

Grandioser Auftakt

Mit einfacher Musik und quantitativer Masse lässt sich Eindruck schinden, mehr aber auch nicht. In einer Welt der vielen Ungereimtheiten und Unverständlichkeiten möchte man sich doch gerne in eine Klarheit und Überschaubarkeit versetzen lassen, und das schafft diese Komposition durchaus. Dem Publikum hat´s gefallen. Aber ob sich die Cäcilienmesse in Zukunft öfter hören und erleben lässt, dass steht förmlich in den Sternen geschrieben.

Ein grandioser Auftakt des Festivals war es allemal und man wünscht weiterhin bestes Gelingen des RMF bei guten Wetter und fruchtigem Rheingauer Wein.


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