Alcina (1735), Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Oper Frankfurt, Premiere und Frankfurter Erstaufführung, 15.06.2025
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Monika Buczkowska-Ward (Alcina) alle Fotos: Monika Rittershaus |
Wie ein Hitchcock Krimi
Warum Alcina (am 16. April 1735 im Londoner Covent Garden uraufgeführt) am 15. Juni 2025 erstmals in Frankfurt die Bühne erreicht, bleibt wohl ein Geheimnis der Verantwortlichen der Oper selbst.
Gleichzeitig aber bedeutet die Premiere, das sei vorweggenommen, ein besonderes Ereignis und wird dieser Inszenierung mit Sicherheit eine Menge Wiederaufführungen bescheren. Denn der Premierenabend im vollbesetzten Opernhaus geriet zu einer furiosen Bühnenshow mit exzellentem Gesang, fantastischer Handlung, wunderbarer Musik von barocken Instrumenten und einem gut dreistündigen psychologischen Verwirrspiel, das jedem Hitchcock Krimi alle Ehre machen könnte.
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im Bett: Monika Buczkowska-Ward (Alcina), Elmar Hauser (Ruggiero) vorne Shelén Hughes (Morgana), Katharina Magiera (Bradamante), Erik van Heyningen (Melisso) |
Das Eifersuchtsdrama kann beginnen
Gleich zu Beginn pocht das Herz der Alcina in der kurzen Ouvertüre und es öffnet sich ein riesiger Raum im typisch englischen viktorianischen Stil. Prachtvoll und fast erdrückend.
Der Zuschauer befindet sich aber nur scheinbar in einem Raum, denn virtuell fliegen eine Menge Männer durch den Äther und machen deutlich, dass wir uns in einer Zauberwelt befinden, die gleich von mehreren Personen betreten wird. Es sind Bradamante alias Ricciardo, Melisso und Morgana.
Alcina und ihr Geliebter Ruggiero räkeln sich in einem dominant angelegten Bett und nehmen zunächst keine Tuchfühlung mit den dreien auf.
Der Zuschauer ist also gleich mittendrin, ohne das Spiel zu durchschauen. Denn langsam aber sicher stellt sich heraus, dass Bradamante ihren Verlobten Ruggiero sucht und sich zu diesem Zweck als Mann bzw. Ricciardo verkleidet, dass Melisso, ebenfalls ein Zauberer, ein Gegenspieler von Alcina ist und ihre Zauber brechen möchte, und Morgana, die Schwester Alcinas ist, die sich aber stante pede in „Ricciardo“ verliebt, obwohl sie eigentlich die Geliebte von Oronte ist. Eifersuchtsdramen aller Couleur sind also bereits angesagt.
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Elmar Hauser (Ruggiero), Monika Buczkowska-Ward (Alcina) |
Die Liebe zerstört den Zauber
Die Handlung, kurz zusammengefasst, ist folgende: Alcina ist eine mächtige Zauberin auf einer Insel irgendwo im Nirgendwo, der es gelungen ist, das Liebespaar Bradamante und Ruggiero zu entzweien. Kein außergewöhnlicher Akt für sie, denn sie vernascht alle Männer, verwandelt sie nach ihrer Verführung in Tiere, Steine und sonstige Gegenstände und scheint nichts weiter zu verfolgen, als alle Mannsbilder dieser Welt in ihren Bann zu ziehen und entsprechend zu verzaubern.
Wer erinnert sich da nicht an klassische und mythische Figuren wie die Circe aus der Homerischen Odyssee, oder auch den Don Giovanni aus Mozarts gleichnamiger Oper.
Jeder kämpft für sich allein
Nach diversen Kämpfen kommt es, wie üblich in barocken Opern und vor allem bei Händel, zu einem Lieto Fine, einem glücklich Ende. Nicht allerdings im Sinne Alcinas, sondern in dem ihrer Widersacher, oder besser Gegenspieler. Denn Alcina verliebt sich in Ruggiero, ein Fauxpas, der ihre Zauberkraft zerstört, ihr Reich ebenso, aber im Gegenzug die Liebespaare wieder zusammenführt.
Ob sie allerdings glücklich werden, muss offen bleiben, denn im Laufe der Handlung wird Alcina mehr und mehr zu einer humanen Figur, die echte Liebe zu den Menschen verspürt, daran allerdings zugrunde gehen muss, während die Liebespaare Bradamante und Ruggiero sowie Oronte und Morgana zwar zusammenfinden – aber: Irgendwie ist zu viel Intrige geschehen, um an ihre wahre Liebe glauben zu können.
Denn jeder kämpft für sich allein, jeder ist auf seine Weise ein Narzisst und nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
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v. l.: Michael Porter (Oronte), Shelén Hughes (Morgana), Ensemble sowie Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit Julia Jones (Musikalische Leitung) |
Spiegeleien – Zauberkünste – Mystik
Was aber hat das Team um Johannes Erath (Inszenierung) Kaspar Glarner (Kostüme und Bühne) Bibi Abel (Video), Joachim Klein (Licht), Zsolt Horpácsy (Dramaturgie) und nicht zuletzt Julia Jones (musikalische Leitung) aus dem umfangreichen magischen Stoff gemacht?
Antwort: Ein ungemein spannendes Konsortium aus Spiegeleien, Zauberkünsten aus der Welt der Magiere nebst Gemälden aus der Hand eines Gustave Corbet (1819-1877) Der Ursprung der Welt (1866) mit einem weiblichen Akt gepaart mit mystischer Ornamentik. Aber auch die Bühne präsentiert ein Kaleidoskop der Zerbrechlichkeit, des Chaos und der immer wieder sich suchenden Ordnung. Eine im wahrsten Sinne „Fata Le Morgana“.
Zwischendurch donnert es mächtig, um dem animalischen Verwirrspiel eine Pointe zu setzen. Die verführten Männer sind mal Zombies, die sich gefährlich ihrer Herrscherin nähern, mal Gaukler aus der Commedia dell´arte, und schließlich wieder Männer mit Anzug und Würde nach ihrer Entzauberung.
Auch die Kostüme wandeln sich je nach Situation. Lasziv in der Absicht der Verführung, dann wieder keusch und durchaus unschuldig, wenn es um echte Humanität im Umgang miteinander geht.
Alle Figuren machen einen Entwicklungsprozess der besonderen Art durch, wobei sich vor allem die beiden Hauptprotagonisten, nämlich Ruggiero und Alcina hervortun. Aber auch Melisso, Bradamante, Morgana und Oronte gehören dazu. Zu erwähnen noch die Figur des Oberto, die im letzten Akt auftritt und in einer Art Anklagearie Alcina beschuldigt, Ihren Vater verführt und verzaubert zu haben.
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Monika Buczkowska-Ward (Alcina) |
Psychologische Operation
Alcina, gesungen und gespielt von der polnischen Sopranistin Monika Buczkowska-Ward, muss hier besonders hervorgehoben werden. Ihre vier Arien (nach der Partitur waren ihr ganze sechs zugeordnet) gerieten zu einer wahren psychologischen Operation. Zunächst von positiver magischer Kraft wird sie im Verlauf des Geschehens immer unsicherer und verzweifelter.
Ihre Arie am Schluss des ersten Teils der Oper (die Regie hat statt dreier Akte, die Oper in zwei Teile gesplittet) Ah! Mio cor, eine Rachearie, in der sie schmerzvoll den Verrat Ruggieros an ihr beklagt, gehörte zu ihren Höhepunkten an diesem Abend.
Ihr durchaus dramatischer, kraftvoller Sopran mit großem Stimmumfang ließ sie wie eine verletzte Walküre aus Wagners Ring erscheinen, und das im absolut positiven Sinne.
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vorne kniend: Elmar Hauser (Ruggiero), Statisterie der Oper Frankfurt, im Hintergrund v. l.: Michael Porter (Oronte), Erik van Heyningen (Melisso), Shelén Hughes (Morgana) |
Von der Unmündigkeit zur Selbstfindung
Ruggiero, vom Schweizer Countertenor Elmar Hauser gespielt und gesungen (er debütierte an diesem Abend in Frankfurt) macht eine fast gegensätzliche Entwicklung durch. Eigentlich ein unmündiger Kerl, der etwas naiv die Welt der Frauen erobern will, muss erkennen, dass das Spiel mit Alcina auch schief laufen kann und ihn das Schicksal seines Geschlechts ereilen könnte.
Im Laufe seiner Bühnenpräsenz entwächst er zunehmend dieser Rolle, kommt quasi zu sich und erkennt die wahre Liebe zu Bradamante.
Seine Arien sang er leicht und teilweise zaghaft. Die Koloraturen gelangen ihm nur teilweise, dafür waren seine Höhen glasklar und sein Timbre entsprach seiner doch zierlichen Gestalt. Wunderbar jugendlich anzuschauen, war er doch fast einen Kopf kleiner als seine Eroberung Alcina. Aber das nur nebenbei.
Der bester Auftritt war zweifelsohne seine Verdi prati (Ihr bleichen Schatten) Arie, eine schmerzliche Sarabande, die er mit großer nostalgischer Lyrik vortrug und der Alcina damit den letzten Hoffnungsschimmer raubte. Das Publikum zumindest war begeistert.
Auch seine sogenannte Tiger Arie ist nicht zu vernachlässigen, die ihm, begleitet von zwei Naturhörnern, doch recht heroisch und zuversichtlich gelang.
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v. l.: Elmar Hauser (Ruggiero) Shelén Hughes (Morgana), Michael Porter (Oronte), Statist der Oper Frankfurt |
Hosenrolle mit Strahlkraft
Kommen wir zu Bradamante alias Ricciardo, gesungen und gespielt von der Altistin Katharina Magiera. Ein langjähriges Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, gehörte sie in dieser Premiere doch zum Aufregendsten des Abends, von absoluter Qualität sowohl stimmlich als auch schauspielerisch. Ihrer Doppelrolle als Mann und Frau wurde sie bestens gerecht, sang ihre recht schwierigen Koloraturen mit Leichtigkeit und Noblesse und glänzte durch ihre gewaltige stimmliche Kraft und Klarheit.
Perfekt inszeniert wurde sie zudem mit dem Zaubertrick der klassischen zersägten Jungfrau. So stand sie/er zweigeteilt im Raum, sang mal von der einen, mal von der anderen Seite. Einfach nur genial, diese Idee.
Ihre drei kontrastreichen Arien changierten zwischen Tapferkeit, Wärme und Zärtlichkeit. Ein Lichtschein von großer Strahlkraft diese ihre Hosenrolle.
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Katharina Magiera (Bradamante), Michael Porter (Oronte) |
Ich liebe dich – ich liebe dich nicht ...
Morgana, die Schwester von Alcina, sang und spielte die Bolivianerin Shelén Hughes. Mit einem leichten Sopran ausgestattet, kreierte sie einen flatterhaften Charakter, ein Zauberkind, das sich auf den ersten Blick verliebt, aber auf den zweiten dann doch nicht.
Ob sie allerdings magische Fähigkeiten besitzt, weiß man nicht, aber ihren Oronte, vom Ensemblemitglied der Oper Michael Porter wie immer sehr solide gesungen und gespielt, will sie dennoch besitzen. Oder vielleicht doch lieben? Non lo so.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich Oronte zu einem Bajazzo, einem Possenreißer im wahrsten Sinne wandelt, der nichts und niemanden mehr ernst nimmt.
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v. l.: Elmar Hauser (Ruggiero), Monika Buczkowska-Ward (Alcina), Shelén Hughes (Morgana), Michael Porter (Oronte), Katharina Magiera (Bradamante) |
Grandezza und Anklage
Melissos Rolle ist leider auf eine Arie reduziert, sie aber singt und spielt der holländische Bassbariton Erik van Heyningen mit äußerlicher wie innerlicher Grandezza. Er, der Gegenzauberer auf der Insel, schafft es, die Paare in einer Art Primus-inter-pares-Manier zusammenzuführen und einen gewichtigen Beitrag zur Entmachtung Alcinas zu leisten. Seine Präsenz war wirksam und gab der gesamten Szenerie Kontur.
Auch der kurze Auftritt von Oberto gehörte dazu. Gesungen von der ganz in weiß gekleideten Koreanerin Clara Kim, beschuldigt sie in einer furiosen Rachearie („Du Grausame“) die mittlerweile entkräftete und nur noch in Unterkleidern anwesende Alcina ihrer Schandtaten. Sie habe ihren Vater entführt und zu einem Stein degradiert. Alcina, sich ihrer Schuld bewusst, nimmt die Anklage ohne Widerstand auf sich.
Nichts ist mehr wie es war
Nur einmal treffen sich Alcina, Bradamante und Ruggiero in einem Terzett, das aber lediglich das unwiderrufliche Ende der Zauberinsel widerspiegelt. Tatsächlich geben sich diverse Spiegeleien (der Betrachter soll wohl in den eigenen Spiegel schauen) ein Stelldichein.
Die Bühne reduziert sich zu einer Couch, einem Spiegel und einem Nachttisch. Die verwandelten Männer mutieren zunächst zu herabhängenden Luftschlangen, dann schließt sich die Bühne und sie erscheinen als Clowns und Gaukler. Ein ständiger Wechsel der Bühnenbilder findet statt. Nichts ist mehr so, wie es war. Der Spuk nimmt (s)ein Ende.
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v. l.: Monika Buczkowska-Ward (Alcina), Katharina Magiera (Bradamante), Elmar Hauser (Ruggiero; am Boden), Michael Porter (Oronte) |
Alcina ist Identifikationsfigur
Schließlich erscheinen die Verwandelten in alltäglicher bürgerlicher Kleidung, sind wieder reale Personen. Dann öffnet sich noch einmal die Bühne.
Leer ist sie, lediglich die Couch, das umgedrehte Gemälde und der Nachttisch werden beleuchtet. Alcina singt ohne Worte und ohne instrumentale Begleitung ein Abschiedslied, eine italienische Kanzone voller Trauer und gebrochenem Herzen. Man hat nicht nur Mitleid, sondern auch großen Respekt vor ihr. Sie ist die eigentliche Identifikationsfigur dieser doch übersinnlichen, zauberhaften und absolut kurzweiligen Oper.
Bravouröse Musik
Großes Lob an dieser Stelle an das Ensemble des Opern- und Museumsorchesters, das unter der umsichtigen und aufmerksamen Leitung von Julia Jones beste Musik auf historischen Instrumenten bot.
Dazu gehörten auch die beiden Lauten, gespielt von Sam Chapman und Silas Bischoff, die beiden Hornisten, Ulrich Hübner und Karin Hübner, sowie die Cembalisten, Luca Quintavalle und Felice Venanzoni. Herauszuheben sind die Solisten der ersten Geige, Ingo Haas, und des Violoncello´, Johannes Kofler, die ihre doch schwierigen Soloparts im Rahmen der Arien von Alcina und Ruggiero mit Bravour erledigten.
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Schlussapplaus mit allen Teilnehmern Foto: H.boscaiolo |
Historisch bedeutsame Inszenierung
Eine denkwürdige Opernpremiere mit einer Überfülle an Ideen, wunderschönen Arien, einem herrlich präparierten barocken Ensemble und finaliter: einem restlos begeisterten Publikum.
Wie gesagt, eine Bühnenshow, die möglicherweise auch Händel hätte überzeugen können, denn, so viel man weiß, hat er diese Oper, und das mit durchschlagendem Erfolg, ebenfalls als Show konzipiert, sämtliche Techniken der damaligen Zeit gebraucht, mit Tanz, Ballett und allerlei technischen Raffinessen, wie Blitz- und Donnerapparate, Flugwerke, Drehbühne etc.
Tatsächlich ist die Überfrachtung der Bühne ein wichtiges Element, den Betrachter zu verwirren, ihn zum Teil des Geschehens zu machen, aus dem er nur langsam wieder zu sich zurück findet.
Das ist dem Frankfurter Team unter der Regie von Johannes Erath bestens gelungen. Eine Operninszenierung, die sicher Geschichte machen wird.
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