Montag, 30. Juni 2025

38. Rheingau Musik Festival 2025

Martynas Levickis, Akkordeon Rezital im Hospitalkeller des Klosters Eberbach, 29.06.2025


Martynas Levickis mit Organetto (Foto: Ansgar Klostermann)


Organetto – Accordion – Akkordeon

„Da Vinci´s Dream“ nennt der im diesjährigen Fokus stehende litauische Akkordeonist, Martynas Levickis (*1990), seinen Einstieg in das diesjährige Festival Geschehen (es folgen noch sechs weitere Konzerte) und verbindet damit quasi ein Manifest, ein Glaubensbekenntnis an das immer noch unterschätzte Instrument. 

Warum also Da Vinci´s Traum? Ganz einfach – denn der vielseitige Künstler, Entdecker und Forscher, Leonardo da Vinci (1452-1519), hatte bereits zu seiner Zeit den angeblichen Vorläufer des Akkordeons entwickelt. Er nannte das Instrument Organetto. Eines, das nach den gleichen Prinzipien wie das Akkordeon (aber auch die Orgel) bis heute funktioniert.

Diverse Pfeifen werden durch eine manuell bediente Balganlage zu Tonschwingungen gebracht. Ein simpler Vorgang zwar, aber dafür ein absolut geschichtsträchtiger. Denn die heutigen gewaltigen Orgeln in den Kirchen und Konzerthäusern funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie auch die diversen Akkordeons, die es in der Vielfalt mit den großen Orgeln absolut aufnehmen können.

Levickis Absicht ist es, eine Reise durch fünfhundert Jahre Akkordeonmusik zu präsentieren und das Publikum „vom Klischee (man hält es im Allgemeinen für ein „Quetschkommode“ oder ein „Schifferklavier“) zu befreien und seine Vielseitigkeit zu feiern“. Dazu hat er 14 Stücke aus vier musikalischen Epochen ausgewählt. Darunter vier Stückchen aus der Renaissance, eines aus der Klassik, eines aus der Romantik und sechs aus der Moderne des 20. Jahrhunderts.


Ein weiter Weg zum Akkordeon

Martynas Levickis kommt aus dem hinteren Teil des vollbesetzten romanischen Keller bei angenehmen Temperaturen (draußen war es immerhin 33 Grad warm) und typischem Weinkellergeruch aus 900 Jahren Vergangenheit, und wandelt durch die Reihen zur kleinen, aber feinen Bühne. Der Ton seines Organgettos (eine optisch eindrucksvolle Nachbildung des ursprünglichen) ähnelt einer Blockflöte, ist nur einstimmig zu spielen, aber auch Doppeltöne sind möglich, wenngleich man lediglich einfachste Tonfolgen darauf produzieren kann. Nein, es ist kein Akkordeon, eher ein mit Orgelpfeifen bestückter Blasebalg, aber die Idee macht´s.


Martynas Levickis mit Akkordeon (Foto: Ansgar Klostermann)

Start nach Maß in Maßen

Jedenfalls ein schöner Einstieg ins Konzert, das Levickis kommentierte und gleich mit vier Stückchen aus der Zeit der Renaissance einleitete. Darunter das englische Greensleeves, ein deutscher Tanz im vier viertel Takt, eine homophone italienische Bellezze und ein spanischer Fandango.

Eine Start nach Maß, der von zwei barocken Werken von Domenico Scarlatti (1685-1757) und Johann Sebastian Bach (1685-1750) fortgesetzt wurde. Beide Werke, die Sonate h-Moll K 87 und Präludium und Fuge Nr.2 c-Moll BWV 847, sind ursprünglich für das Cembalo gedacht, aber auch auf dem Akkordeon durchaus bespielbar.

Wolfgang Amadeus Mozarts Andante in F-Dur für Orgelwalze KV 616 (1790/91) für das Wachsfiguren- und Kuriosenkabinett des Grafen Deym alias Monsieur Müller geschrieben, auf Stiftwalze gepresst und ohne Zutun eines Spieler mit einer Kurbel abzudrehen, geriet kurz und schmerzlos, konnte aber auf dem Akkordeon, wie wohl auch sonst, nicht wirklich überzeugen.


Nicht immer Akkordeon

Gustav Mahlers Adagietto aus seiner 5. Sinfonie cis-Moll, das Andante des vierten Satzes für Streicher und Harfe, eine Liebeserklärung an Alma Schindler, seine spätere Frau, und ebenso bekannte Filmmusik zu Viscontis Film Tod in Venedig, sollte den orchestralen Charakter des Instruments hervorheben. Sehr gewagt, aber man hört den wunderbaren Satz doch lieber in der Originalbesetzung.

Ähnlich erging es mit den beiden Stücken von Philip Glass (*1937), die Etüde Nr. 6 für Klavier, 1995 vom Sydney Festival in Auftrag gegeben, und das sehr bekannte Mad Rush für verschiedene Solo-Instrumente und Orchester, von 1979. Hier wiederholt der Komponist in minimalistischer leicht variierter Manier faszinierende rhythmische Muster, diverse repetitive Phrasen und sich ständig neue entwickelnde Klangflächen. Das Werk machte ihn berühmt, war es doch für den Dalai Lama konzipiert. Auch als Ballettmusik wurde es weltbekannt und berühmt.

Die Etüde, eine von sechs, die Glass für den Pianisten und Dirigenten Russell Davies (*1944) komponierte, erfuhr ihre Uraufführung auf dem Sydney Festival 1996 und das mit großem Erfolg. Auf dem Akkordeon hörten sich beide Werke doch etwas einseitig an. Es fehlten ein wenig die Farben und die Transparenz. Dennoch waren sie von starker Technik und guter Rhythmik geprägt.


Martynas Levickis (Foto: Ansgar Klostermann)

Flashing – Werbung fürs Akkordeon

Erstmal ohne Arrangement spielte Levickis mit Flashing (1985/86) von Arne Nordheim (1931-2010) eine Komposition für Solo-Akkordeon. Nordheim, das sei an dieser Stelle bemerkt, war in Norwegen ein bekannter Komponist und Ausbilder (Levickis lernte bei ihm zeitweise) und schrieb viele Stücke für Akkordeon. Auch war er ein Vertreter der musique concrète und experimentierte mit Elektronik und Klangelementen. Last but not least komponierte er auch die Eröffnungsmusik für die olympischen Winterspiele in Lillehammer 1994.

Flashing ist ein perfektes Werk für Akkordeon: ein kontrastreiches Spiel zwischen Tonalität und Atonalität, zwischen höchsten und tiefsten Tonfolgen, zwischen Clustern und Melodien, zwischen Komplexität und Einfachheit. Ein spannungsgeladenes sich sukzessive auf dem h-Ton aufbauendes und wieder auf den h-Ton zurückkehrendes Werk, für das es allein lohnte, das Rezital zu besuchen. Einfach nur klasse.


Effektenreicher baltischer Folk

Martynas Levickis ist mit seinen 35 Jahren auch bekannt als Komponist. Er bot entsprechend seine „Folk Song Suite Nr. 1“ an. Ein dreiteiliger Tanz aus seiner litauischen Heimat, deren Namen kaum zu schreiben, erst recht nicht auszusprechen sind. Leliumoj, Beauštanti Aušrele, Rūta Žalioj (zu deutsch etwa: Lilien, Die Morgendämmerung, die grüne Weinrebe).

Eine stark an Philip Glass und Steve Reich angelehnte Suite mit großer Virtuosität und starken rhythmischen Verschiebungen zwischen 7/8 und 15/16 usw. Hier war er voll in seinem Element und kitzelte alle möglichen Effekte seines Instruments aus den Luftfalten. Mal klapperte es, mal seufzten die Tasten, dann wieder brach ein wilder Vulkan aus mit heftigsten Clustern. Ein Kaleidoskop des baltischen Folk, vielleicht, dafür aber ein kompakter Beleg seines Könnens auf den Tasten und Knöpfen.


Stepp mit heftigen Sprüngen

Mit dem abschließenden Dizzy Fingers (1923) vom US-Amerikaner Zez Confrey (1895-1971) für Klavier komponiert und vom Akkordeonspieler Pietro Deiro (1888-1954) arrangiert, führte Martynas Levickis noch in den Jazz, Swing, Shimmy und Charleston der 1920er Jahre ein. Ein Stepp mit heftigen Sprüngen und ungeheurer Vitalität.

Der Keller brodelte und, wären die Fässer voll Rebensaft gewesen, er wäre mit Sicherheit in wenigen Stunden zu Wein gegoren, und zwar zum besten aller besten.

Natürlich forderte man Zugaben, von denen er zwei kredenzte: Astor Piazzollas Obligon und seine wohl berühmtestes Libertango.


Martynas Levickis mit Akkordeon, Organetto an der Seite
(Foto: Ansgar Klostermann)

Ein Instrument mit Zukunft

Dennoch, die Absicht, eine Reise durch fünfhundert Jahre Akkordeonmusik zu führen, musste einfach illusorisch bleiben, da bekanntermaßen das Instrument erst 1829 vom Österreicher Cyrill Demian (1772-1847) entwickelt und unter dem Namen Accordion patentiert wurde. Die Geschichte des Akkordeons wäre ein eigener Artikel wert. Aber festgestellt sei, dass es eher in der Volksmusik Gebrauch fand, als unter den sogenannten seriösen Instrumenten. Dem Klavier und der Orgel konnte es lange Zeit kein Paroli bieten. 

Aber die Technik macht es möglich. Heute ist das Akkordeon eines der vielseitigsten Instrumente, wird leider aber von wenigen Solisten, wie es Martynas Levickis ist, beherrscht. Seine Mission ist in diesem Zusammenhang durchaus berechtigt, wenn er das Akkordeon von den immer noch verbreiteten Klischees befreien und seine Vielseitigkeit beweisen möchte. Denn das Akkordeon hat Zukunft und ist bereits in der zeitgenössischen Musik unverzichtbarer Bestandteil der Orchester und Ensembles. 





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