Samstag, 14. Juni 2025

Leif Ove Andsnes, Klavierrezital in der Alten Oper Frankfurt, 13.06.2025

Leif Ove Andsnes (Foto: Website)

Meisterhafte Eleganz

Man erinnert sich noch lebhaft an den Auftritt Leif Ove Andsnes´ (*1970) in der Alten Oper im Dezember 2018, als er mit Werken von Robert Schumann, Béla Bartók und Leoš Janáček großes Aufsehen erregte und die New York Times den Ausnahmepianisten als „von meisterhafter Eleganz, Kraft und Einsicht“ bezeichnete (Leider musste er seine angesagten Konzerte im Jahre 2019 aus Krankheitsgründen absagen).

Am gestrigen Abend hatte der Norweger nach sehr langer Abstinenz von Frankfurt wieder einmal drei besondere Werke mitgebracht. Darunter die selten gespielten Sonaten seiner Landsleute Edvard Grieg (1843-1907), seine einzige in e-Moll op. 07 (1865) und Geirr Tveitt (1908-1981), die Sonata Etere op. 129 Nr. 29 (1947), sowie die 24 Préludes op. 28 (1838/39) von Frédéric Chopin (1810-1849).


Leif Ove Andsnes (Foto: Helge Hansen)

Ein Gentleman von Kopf bis Fuß

Tatsächlich bestehen enge Bezüge zu den drei Werken. Bei den Norwegischen Komponisten sind es Heimatgefühle und bei Chopin ist es dessen Musiksprache, die ihn, eigenen Aussagen zufolge, bereits in der Kindheit seinen Platz am Flügel fühlen ließ.

Leif Ove Andsnes ist ein Gentleman vom Kopf bis zur Sohle. Ein maßgeschneiderter Anzug anthrazitfarben. Alles passend, Hemd, Schlips und Schuhe, geht er an sein Gerät ohne irgendwelche Allüren oder besonderen Vorbereitungen. Nur einmal während der guten zwei Stunden, legt er in der zweiten Sonate von Geirr Tveitt eine kurze Pause ein, um sich nach höchster physischer Anstrengung den Schweiß von der Stirn zu wischen. Das sei es gewesen. Ansonsten spielt er fast ausschließlich aus den Fingern und Unterarmen und zaubert Töne aus dem nicht so brillanten Konzertflügel der Alten Oper heraus, die man kaum erahnen kann.


"Postgraduiertenübung"?!

Beginnen wir gleich mit der e-Moll Sonate von Edvard Grieg. Er schrieb sie kurz nach seiner Ausbildung am Leipziger Konservatorium wohl in Kopenhagen, wo er seine Frau Nina Hagerup (die Cousine von Christian Andersen) kennen- und lieben lernte, aber auch von Niels Gade, dem dänischen Komponisten und Dirigenten gefördert wurde. 

Diese Sonate ist eher ein erster Kompositionsversuch und nicht von ungefähr hat sie der berühmte Glenn Gould etwas abschätzig als „Postgraduiertenübung“ abgetan. Viersätzig gestaltet, besteht sie aus einer Vielfalt von Einfällen, die nicht weiter ausgearbeitet, sondern eher aneinandergereiht werden. Vor allem der zweite Satz, ein Andante molto hat starke Bezüge zur norwegischen Folklore. Aber auch der dritte Satz, eigentlich ein Scherzo, aber hier als Alla Menuetto, ma poco più lento bezeichnet, entspricht doch mehr einem Marsch und das Trio im 9/8 Takt könnte eine wunderschöne Weise eines norwegischen Kinderlieds sein. 

Überhaupt ist das gut 20-minütige Werk ein Ausbund an Melodien und westeuropäischen Floskeln aus der Brahms-, Schumann- und Wagner-Ideenkammer. Nebenbei bemerkt, besteht der erste Satz, in Anlehnung an Bach oder auch Schostakowitsch, aus Griegs Initialen EHG (Edvard Hagerup Grieg)


Leif Ove Andsnes (Foto: H.boscaiolo)

Einfallsreich mit Humor

Leif Ove Andsnes allerdings lässt diese „Studie“ lebendig werden und reißt mit jeder angefangenen neuen Phrase das Publikum in neue Gefilde des Einfallsreichtums von Edvard Grieg mit. Ein absolutes Erlebnis ist diese Interpretation. Kommen wir doch an dieser Stelle auf Glenn Gould zurück, der ihren „betörend unaufdringlichen Humor“ lobte und es in sein reichhaltiges Repertoire aufnahm.


Umtriebiger Komponist und Interpret

Wer kennt Geirr Tveitt? In Norwegen wohl jeder Musikinteressierte. Bei uns in Westeuropa ist der umtriebige Komponist und Interpret (er gehörte zu den besten Pianisten seiner Zeit) so gut wie unbekannt. Geboren in Bergen, ließ er sich wie Grieg in Leipzig ausbilden, ging dann nach Wien und Paris, wo er Kontakte zu Arthur Honegger, Heitor Villa-Lobos und Nadja Boulanger pflegte.

Zurück in Norwegen lebte er in der Nähe seiner Geburtsstadt Bergen, unternahm viele Konzertreisen, komponierte mehr als 300 Werke (darunter sechs Klavierkonzerte, mehrere Sinfonien und eine Oper) und hätte wohl seinen Bekanntheitsgrad bis heute weltweit erhalten, wenn nicht, ja wenn nicht durch einen verheerenden Brand nahezu sein gesamtes Oeuvre verbrannt wäre. Von diesem schweren Schlag, sagt man, habe sich der Meister nicht mehr erholt.


Suche nach dem Klang

Eines der wenigen geretteten Werke ist die Sonata Etere. Eine dreisätzige Komposition von großer Besonderheit. Dazu muss man sagen, dass Geirr Tveitt nicht allein die norwegische Folklore verarbeitete (er sammelte mehr als 1000 Volkslieder), sondern auch starken Einflüssen des französischen Impressionismus (Honegger, Messiaen) wie vor allem auch des osteuropäischen Expressionismus (Bartók, Prokofjew) ausgesetzt war. 

Seine Musik ist an die Neoklassik des frühen 20. Jahrhunderts angelehnt und gerade seine Sonata Etere (Ätherische Sonate) ist Ausdruck dieser Einflüsse. Nur zwei Themen ziehen sich durch das 35-minütige Werk, das in Sonatenform beginnt, dann in eine Variation übergeht, um abschließend beide Themen wieder aufgreifend in einem pulsierenden, wilden unheilvollen Tanz zu endet. Allerdings nicht ohne wieder in empyreische Gefilde einzutauchen.


Leif Ove Andsnes (Foto: H.boscaiolo)

Obertonreiche himmlische Klangwelt

Die Musik ist gewöhnungsbedürftig, aber ungemein spannungsgeladen, mitunter aggressiv und perkussiv, aber auch voller Liebe zum Detail. So bestehen die 19 Variationen, Tono eterio in variazioni - tranquillo ma deciso, aus Elementen der Thematik und lassen, wie es im ersten Satz heißt: In cerca di …, nach dem ätherischen Klang suchen. 

Dabei drückt der Interpret mit dem Unterarm eine Reihe von Tasten stumm nach unten und erreicht so mit jedem angeschlagenen Ton einen Obertonklang, der anhält und sich mit den weiteren Tönen vermischt. Eine unglaublich schöne Klangwelt eröffnet sich so und lässt das Werk tatsächlich zu einem ätherischen, ja himmlisch schönen Ereignis werden.


Zwischen Himmel und Hölle

Leif Ove Andsnes ist ganz in seiner Welt versunken. Wenn er in den Schluss einsteigt, hier im Tempo di Pulsazione, dann scheint sich zunächst das Höllentor zu öffnen. Es kracht und donnert, die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Aber auch Geirr Tveitt hat Mitleid mit dem Zuhörer. Er kehrt zurück zu den himmlischen Klängen aus dem Äther und beruhigt die Gemüter mit herrlichen Obertönen, wie bereits in den Variationen beschrieben.

Eine spannungsgeladene Modernität, die insofern einmalig ist, da diese Sonate die einzige übriggebliebene aus dem reichen Oeuvre des Meisters ist. Andsnes war ihr würdiger Vertreter.


Chaotische Führung durch alle Tonarten

Kommen wir abschließend zu Frédéric Chopins 24 Préludes op. 28. Sie sind ein Meisterwerk der Vielfalt, der Eingebungen, Gedanken und Emotionen. Nur die besten Tastenkünstler beherrschen den riesenhaften Tonraum, den diese kleinen Piecen abdecken. Es gibt weder einen Prolog noch einen Epilog, es gibt keine Dramaturgie, sondern lediglich eine Führung durch alle Dur- und Molltonarten.

Man wird mit einem Wechsel von Skizzen, Tänzen, Etüden und Fantasien konfrontiert, mal tief bewegt, mal hellauf begeistert. Dann fühlt man sich wieder aus tiefer Melancholie und träumerischer Abwesenheit in eine Welt voller Enthusiasmus und Freude katapultiert. Alle Seelenzustände sind vorhanden: von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt.


Ohne emotionale Überfrachtung – einfach männlich

Leif Ove Andsnes, wie gesagt ein Gentleman an den Tasten, lässt sich davon allerdings kaum berühren. Er führt in männlicher Manier durch die Tiefen und Höhen eines schwerkranken Komponisten, der sich auf dem verlassenen Kloster in Valldemossa auf Mallorca Besserung wünscht, aber zutiefst enttäuscht wird, sowohl vom kalten Wetter, als auch von den persönlichen und praktischen Umständen. 

So fehlt nicht nur ein Klavier (es wir dann von der Firma Pleyel geliefert, der er auch die Préludes widmet), sondern seine Geliebte George Sand und ihre Kinder sind eher ein Belastung als eine Hilfestellung. All das wird musikalisch angedeutet, und all das beherrscht der Maestro meisterhaft. Ohne Makel, aber auch ohne emotionale Überfrachtung. 

Ja, er spielt diese 24 Piecen als geschlossenes Werk, wo sich jeder sein eigenes Bild machen kann. Wie sagte doch Robert Schumann dazu: „So suche jeder, was ihm frommt!“


Leif Ove Andsnes (Foto: DSO Berlin)

Grandezza mit Seele

Leif Ove Andsnes gehört fraglos zu den Besten der Besten am Piano. Er versteht es, mit Grandezza in die Seele der von ihm gespielten Werke einzudringen und ihnen ein wirkliches Leben in der Jetztzeit zu verleihen. Sympathisch und von ausnehmender Höflichkeit ist er darüber hinaus, was in der Kunstszene heute nicht mehr unbedingt üblich ist.

Er gab zwei Zugaben aus der Prélude-Sammlung von Claude Debussy (Bd. 1 Nr. 10) und Sergej Rachmaninow (Etüde c-Moll op. 33/3). Beide Stücke sehr besonnen und von großer Erhabenheit, ganz Leif Ove Andsnes.


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