Sonntag, 17. August 2025

38. Rheingau Musik Festival 2025


Lukas Sternath, Klavierrezital im Fürst-von-Metternich-Saal, Schloss Johannisberg, 16.08.2025


Lukas Sternath (Foto: Ansgar Klostermann)

Neue Dimensionen erklommen

Lukas Sternath (*2001), damalige Schreibweise Sternrath, gab beim 36. Rheingau Musik Festival 2023 sein Debüt an eben diesem Ort. Leider nur vor halb besetztem Saal, trotz seines 1. Preises im Internationalen ARD-Musikwettbewerb sowie seiner sieben Sonderpreise, die er ein Jahr zuvor in München einheimste, darunter den Publikumspreis und die beste Interpretation des Auftragswerks. Sein Debütkonzert allerdings mit Werken von Schumann, Brahms und Prokofjew war der Hammer des Festivals und einer der Höhepunkte der Veranstaltungen.

In diesem Jahr gab es keine Tickets mehr und Lukas Sternath konnte mit Werken von Beethoven, Schumann und Liszt noch einmal seine pianistische Klasse beweisen. Nicht nur das. Sein Rezital hatte noch an Reife, Ausdruckskraft, Energie und vor allem an Gesanglichkeit und Lyrik ganz neue Dimensionen erklommen.


Von Prometheus zur Eroica

Noch immer ein zurückhaltender, fast scheuer Interpret, erschien er in Schwarz auf der Bühne, mit Jacke und kragenlosem T-Shirt, setzte sich ohne lange Konzentration auf den Schemel vor dem Steinway und begann mit Ludwig van Beethovens (1770-1827) Eroica Variationen (1802), die der Komponist bekanntlich nicht als solche komponierte, denn das Thema stammt aus seinen weniger bekannten Contretänzen für Orchester WoO 14 Nr. 7 und wurde von ihm für seine Ballettmusik zu Die Geschöpfe des Prometheus op. 43 (1801) verwendet. Den Titel Eroica erhielt das Werk erst im Nachhinein, entgegen dem Interesse Beethovens, und bezog sich auf seine ein Jahr später veröffentlichte 3. Sinfonie, der „Eroica“, deren Schlusssatz ebenfalls in Variationsform angelegt ist.


Lukas Sternath (Foto: Thomas Rabsch)

Drama mit versöhnlichem Ausklang

Lukas Sternath spielte ganz im Geiste des jungen von Sturm und Drang beseelten Komponisten. Ein gewaltiger Es-Dur Akkord mit langer Fermate ließ gleich große Aufmerksamkeit aufkommen.

Es folgte die achttaktige Introduzione im Es-Dur Akkord in der Basslinie, die jeweils von einer hammerartigen Dreitonfolge im Dreifach forte abgeschlossen wird.

Dieses Strukturprinzip zieht sich durch alle 15 Variationen, die allerdings weniger Verzierungen des Themas abbilden, sondern ganz eigene Charakterstücke darstellen. Ein Wechsel zwischen brillanten Läufen, komplexer Polyphonie und sinfonischen Einsprengseln, wie sie sich dann endgültig in seiner Eroica-Sinfonie realisieren. Eine Art Vorspiel zu seiner wohl bekanntesten Sinfonie der Frühphase.

Die XIV. und XV. der Variationen haben es in sich, denn sie bereiten mit einem nachdenklichen Minore und einem gewaltigen Maggiore die abschließende Fuge, besser Doppelfuge, vor. Die ist dreistimmig angelegt, nimmt den Anfang des Themas auf, und wirkt im Gesamten wie eine Reminiszenz auf die vorherigen melodischen Linien und variativen Abschnitte. Dabei ist sie von ausgeprägter kontrapunktischer Finesse, denn ihre kurze Thematik, das Grundmotiv, kommt im polyphonen Verlauf immer wieder an die Oberfläche und lässt der sinfonischen Komplexität und weiteren Themenbildung genügend Raum zum Atmen.

Zwar krönt diese Fuge das mächtige Werk, aber dennoch klingt es irgendwie versöhnlich mit zwei weiteren Themen aus. In einem Andante con moto lässt Beethoven quasi einen Kontrapunkt zu seinem Einleitungsthema zu und damit das gesamte Werk zu einem Drama mit versöhnlichem Ausklang werden.


Lukas Sternath (Foto: Ansgar Klostermann)

In ganz neuer Manier“

Lukas Sternath, selbst der Generation Z zugehörig, spielte die Kontraste extrem aus, ließ den Flügel in seinen Grundfesten wackeln, um ihn gleichzeitig gesanglich herauszufordern. Aus jeder Variation kitzelte er einen eigenen Charakter heraus. Seine Fuge geriet energisch, scharfsinnig, von abgeklärter Wildheit, die einem Beethoven sicherlich sehr entgegen gekommen wäre. 

Denn mit dieser, in „ganz neuer Manier“ geschriebenen Variation hat Beethoven unstreitig ein Schlüsselwerk seiner Frühphase geschaffen und den Übergang zu seiner Reifephase eingeleitet. In diesem Sinne hat Sternrath einen ausgezeichneten interpretatorischen Beitrag geleistet.


Im Geiste Mendelssohns und Schuberts

Das zweite Stück sollte in jeder Beziehung einen völligen Kontrast zu Beethovens Werk darstellen. Es waren die Fünf Variationen in Es-Dur WoO 24 (1854), von Robert Schumann (1810-1856), die auch als „Geistervariationen“ bekannt sind. Es ist das letzte Werk, das er schrieb, bevor er in die Nervenheilanstalt in Bonn-Endenich eingeliefert wurde. Schumann wähnte sich bereits von Geistern umgeben, die ihm teils grässliche, teils wundervolle Musik darboten. So heißt es zumindest.

Diese Variationen leben im eigentlichen Sinne vom engelsschönen Thema, das der Komponist bereits in seinem Violinkonzert in d-Moll WoO 1 ein Jahr zuvor verwendete. Seine wirklich ergreifenden Variationen bilden seinen Seelenzustand ab, von dem seine Frau Clara meinte, das er sie im Februar 1854 im Geiste der Gesänge von Mendelssohn und Schubert „ebenso rührend wie ergreifend“ aufschrieb. Einen Tag später warf er sich, nur halb bekleidet, in den eiskalten Rhein. Die Folgen sind allseits bekannt.

Lukas Sternath spielte das knapp 10-minütige Werk in tiefer Hingabe, verließ nie das vorgeschriebene piano und pianissimo und verstand es, den Gesang dieser Variationen engelsgleich hervorzuheben. Der Beifall war rührend und leise, wie die letzten musikalischen Worte des Meisters.


Lukas Sternath (Foto: Thomas Rabsch)

Das Gelungenste und Formvollendeste

Der zweite Teil des Abends gehörte den Années de Pèlerinage (1843/46) von Franz Liszt (1811-1886), genauer, vier Werke aus seinem zweiten Buch (von insgesamt drei Zyklen), die er während seiner Italienreise zwischen 1837 und 1849 schrieb. Es sind drei Sonette von Francesco Petrarca (1304-1374), die Nummern vier, fünf und sechs sowie Après une lecture du Dante, die Nummer sieben aus den Seconde Année (2. Buch).

Allerdings gehört es sich auch festzuhalten, dass Liszt sie erst 1858 nach mehrmaliger Überarbeitung veröffentlichte und die Petrarca-Sonette zunächst als Lieder erschienen, bevor er sie für Klavier bearbeitete. Er selbst übrigens hielt diesen Zyklus für das Gelungenste und Formvollendeste, „was er je veröffentlicht habe“.


Viel Gesang

Aus dessen insgesamt 317 wählte er die Nummern 47, 104 und 123 aus, die sich durch ein Dankgebet „Gebenedeit sei Tag und Mond und Jahr“ , einen zerrissenen Gemütszustand „Nicht Frieden find´ ich“ sowie durch ein überirdisches Ideal „Ich sah hienieden schon der Engel einen“, auszeichnen.

Die Klaviermusik spiegelt diese Gefühlslagen wider, die voll Innigkeit, mit zartem Schwung im ersten, mit expressiver Dramatik und kontrastierenden Stimmungswechseln im zweiten, und schließlich in erhabenem hymnischen Duktus, leuchtenden Akkorden und einem finalen strahlenden Gebet, zum Ausdruck kommen sollen.

Lukas Sternath gelingt dies ausgezeichnet. Seine Charakterisierung der Sonette macht deutlich, das seine Ausbildung bei den Wiener Sängerknaben großen Einfluss auf seine Interpretation dieser Sonette ausübt.


Lukas Sternath (Foto: Thomas Rabsch)

Sprache der Zukunft

Ohne den Applaus abzuwarten setzt er seine Interpretation mit Dantes göttlicher Komödie aus Franz Liszts genialer Hand fort. Sein fast 18-minütiges Konvolut, das er in französischer Sprache Après une lecture du Dante: Fantasia quasi Sonata nennt, ist auch als Dante-Sonate bekannt geworden, die er erst 1856 veröffentlichen ließ, obwohl sie bereits 1849 fertiggestellt war.

Die Göttliche Komödie (entstanden 1307-1321) von Dante Alighieri (1265- 1321) beschreibt in der Ich-Form und mit viel Augenzwinkern auf insgesamt 14233 Versen und über 100 Gesängen eine Reise durch die drei Reiche der jenseitigen Welt: dem Inferno (Hölle), dem Purgatorio (Fegefeuer) und dem Paradiso (Paradies).

Die Begeisterung über dieses monumentale Werk war vor allem im 19. Jahrhundert exorbitant und auch Franz Liszt ließ sich von der wunderbaren italienischen Sprachkunst mitreißen. Nicht von ungefähr war das im toskanischen Dialekt geschrieben Werk die entscheidende Grundlage der Entwicklung der italienischen Sprache, die noch heute gesprochen wird.


Zwischen Himmel und Hölle

Kommen wir zum Werk. Liszt hat es in zwei große Themen unterteilt, wovon das erste Thema, die Hölle, mit diversen Tritoni (übermäßige Quarten, lange in der Musik als Teufelsintervalle verschrien) versehen und mit Szenen aus seinem eigenen Werk, den Totentanz (1853), paraphrasiert ist, während das zweite Thema, das Paradies, die Freude im Himmel zum Ausdruck bringen soll, wo er Anleihen aus seinen Pèlerinage Les jeux d´eaux a la Villa d´Este (Buch drei Nr. 4) nimmt.

Insgesamt ist das Werk von außerordentlicher Differenziertheit und auch expressiver Symbolik gekennzeichnet. So drücken abwärts jagende Skalen im Presto agitato Qualen und Höllenstimmung aus, im lyrischen Mittelteil, im Andante quasi improvisato, dominiert die Hoffnung und der Blick ins Licht der Erlösung, im Finale, im piu mosso, scheint der Triumph über die Dunkelheit zu dominieren, kulminiert im Allegro vivace noch einmal zur maximalen Energetik, wirbelt im Presto in ungezügelter Raserei, um schlussendlich alles andere als paradiesisch zu enden. 

Nein, er lässt uns im marcatissimo, im Andante, bei tiefsten akkordischen Bässen und dennoch in D-Dur, der ursprünglich hymnischen Tonart, in tiefer Ungewissheit zurück. Auch das Paradies kann ein Abstieg sein. Will uns das Liszt vermitteln? Die Göttliche Komödie eines Dante Alighieri hätte tatsächlich ihren grimmigen Spaß dabei.

Lukas Sternath (Foto: Ansgar Klostermann)

Mit der Zugabe: wirklicher Gang ins Paradies

Lukas Sternath spielte die vier Stücke aus den Pèlerinage mit höllischer Energie, göttlicher Lyrik und zugleich mit ausgesprochen virtuoser Brillanz. Ein dramatisches Erlebnis, das das menschliche Leben zwischen Himmel und Hölle in ekstatischer und phantasmagorischer Manier Revue passieren ließ.

Er liebt offensichtlich das Stehen im Rampenlicht nicht sonderlich, denn er spielte direkt nach dem ersten „Vorhang“ eine Zugabe ganz besonderer Art. Ein Arrangement des Richard Strauss Liedes „Morgen“ für Klavier Solo von Max Reger, das Strauss 1901 selbst autorisierte. Eine wunderschöne Lyrik von himmlischer Gesanglichkeit zum Abschluss. Der wirkliche Gang ins Paradies, auch wenn das Wetter seine Kapriolen machte. Lukas Sternath ist absolut eine Reise wert.

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