Donnerstag, 28. August 2025

38. Rheingau Musik Festival 2025


Giorgi Gigashvili, Klavierrezital im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg, 27.08.2025


Giorgi Gigashvili (Foto: Ansgar Klostermann)

Absolute Präsenz

Ein Programm der Vielseitigkeit und der Kontraste sollte es sein, was der junge, bereits vielfach preisgekrönte georgische Pianist, Giorgi Gigashvili (*2000), mitgebracht hatte. Zweimal Sergei Prokofjew (1891-1953) und jeweils einmal Johannes Brahms (1833-1897) und Frédéric Chopin (1810-1849). 

Und tatsächlich forderte es alles, was ein Pianist der Weltklasse, und das ist Giorgi Gigashvili, so auf dem Tableau haben sollte: technische Versiertheit, spannungsgeladene, individuelle Interpretation, emotionale Tiefe und vor allem auch charakterliche Präsenz. 

All das verkörperte der Debütant im vollbesetzten Fürst-von Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg auf vorzügliche Weise.


Welt des Widerspruchs

Gleich zu Beginn – auch Gigashvili erschien wie seine Vorgänger Sternath, Borisov und Sumino in legerem Outfit, völlig in Schwarz – setzt es fulminante Schläge aus dem Vorspiel der Sonate Nr. 6 A-Dur op. 82 (1940) von Sergei Prokofjew (1891-1953). Triolisch abfallende Terzen, begleitet von Oktavsprüngen, hart, dissonant, abgehackt. Man ist gleich in eine Welt des Widerspruchs, der Auflösung versetzt, ja man fühlt sich förmlich aus dem Gleichgewicht genommen.


Giorgi Gigashvili (Foto: Website )

Bruch mit den Idealen der Romantik

Die Sonaten 6, 7 und 8 (entstanden zwischen 1940 und 1944) werden nicht umsonst als Kriegssonaten klassifiziert, denn Prokofjew schrieb sie während des Höhepunkts des 2. Weltkriegs und der Zeit des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die noch junge Sowjetunion 1941-1943. 

Swjatoslaw Richter, damals einer der berühmtesten und besten Pianisten, zugleich Freund des Komponisten, spielte nicht nur die Sonaten und galt als ihr herausragender Interpret, sondern schrieb ebenfalls über sie: „Mit barbarischer Kühnheit bricht der Komponist mit den Idealen der Romantik und bringt in seiner Musik den Pulsschlag des 20. Jahrhunderts ein.“ (aus dem Programm)

Das Brechen mit der Romantik sollte das Stichwort sein. Denn Brahms und Chopin, die genannten Komponisten auf dem Programm sind die besten Vertreter dieses hier genannten romantischen Idealismus. Aber dazu später.


Giorgi Gigashvili (Foto: Ansgar Klostermann)

Demonstration des selbstverschuldeten Untergangs

Giorgi Gigashvili erfasste die tiefe Verzweiflung dieser viersätzigen Komposition in aller Schärfe und Klarheit. Er changierte zwischen ausgeprägter Lyrik und schmerzhafter Reibung im zweiten Thema des Allegro moderato, um unvermittelt wieder in aggressive clusterartige Akkorde zu wechseln. 

Das Allegretto bzw. Scherzo des zweiten und der Walzer (Tempo di valzer lentissimo) des dritten Satzes wirken eher ironisch grotesk denn als tänzerische Einlagen. Vor allem der Walzer, schwermütig und sehr langsam gespielt, wirkt unter den Händen des Pianisten wie falsche Streicheleinheiten, bevor der Sturz in den Abgrund folgt.

Der Finalsatz, eine rasend schnelle Toccata, wo der Gedanke des ersten Satzes wieder aufgenommen wird, ist von brutaler Energie geladen. Zwar scheint das Thema mit unisono Läufen und chromatischer Polyphonie das Atmen wieder zu ermöglichen, wird aber abrupt wieder in die apokalyptische Atemlosigkeit versetzt, die bis zum Abschluss im ursprünglichen A-Dur fast ein triumphales Ende findet.

Unfassbar, wie der Pianist die Tastatur des Steinway Flügels massakriert und den Sturz der Welt in ihren selbstverschuldeten Untergang auf eindrückliche Weise demonstriert. Fast beängstigend schön.


Beschauliche Idylle

Dann aber folgen Johannes Brahms´ drei Intermezzi in Es-Dur, b-Moll und cis-Moll op. 117 (1892). 

Bemerkenswert nebenbei, dass diese drei herausragenden Stückchen ziemlich genau 100 Jahre vorher in einem überaus friedlichen, ja beschaulichen Zustand der westlichen Welt entstanden sind. Brahms schrieb sie während seines gewöhnlichen Sommeraufenthalts in Bad Ischl und verarbeitete darin unter anderem das schottische Wiegenlied: „Schlaf sanft mein Kind …“, hier übersetzt vom Philosophen Johann Gottfried Herder (1744-1803)

Gigashvili bleibt sitzen, lässt den Beifall nur kurz zu, um sich und das Publikum in tiefe Romantik und herrliche Klänge zu versetzen. Ein fast unerträglicher Kontrast nach dem Zerbersten des Globus in der vorherigen Sonate. Aber dennoch durchaus legitim. Denn beide Seiten sind Ausdruck des Weltenlaufs. 

Brahms nannte die drei kurzen geistreichen Piecen die „drei Wiegenlieder meiner Schmerzen“ und Clara Schumann, die heimliche Liebe Brahms´ schrieb: „Die Stücke sind, was Fingerfertigkeit betrifft, nicht schwer, aber die geistige Technik darin verlangt ein feines Verständnis, und man muss ganz vertraut mit Brahms sein, um sie so wiederzugeben, wie er es sich gedacht hat.“


Giorgi Gigashvili (Foto: Website)

Die Klangformel

Hier ist alles gesagt. Gigashvili wählte eine ganz eigene Formel, um sich diesen Stücken zu nähern. Die Klangformel. Er versetzte das Publikum in eine impressionistische Welt des schönen Scheins; in eine Klang- und Farbenpracht, die seinesgleichen sucht. Ein Brahms, wie er sich die Interpretation seiner drei Intermezzi vielleicht ebenfalls gedacht haben könnte.


Jugendlicher Impetus

Der zweite Teil des Rezitals beginnt mit der vierten Ballade f-Moll op. 52 (1842/43) aus den Händen von Frédéric Chopin (1810-1849). Auch hier herrscht tiefste Romantik à la Klopstock und das Erzählen von Heldenepen und Sagen.

Zwei einfache Melodien, zunächst in C-Dur und etüdenhaft in f-Moll die zweite, die vielfach moduliert und variiert werden, beherrschen diese eindrückliche Story, die schlussendlich in einer leidenschaftlichen, eruptiven Steigerung ein fast tragisches Ende findet.

Hier gehen dem Pianisten, man möchte fast sagen, die Gäule durch. Sein jugendlicher Impetus kommt hier vollkommen zum Tragen. Extrem sind seine Ausbrüche. Vor allem der Schluss, die Coda, wird bei ihm zu einem Kampfmodus uminterpretiert. 

Man ist unweigerlich an Prokofjews Sonaten erinnert, was aber dieser Ballade nicht unbedingt gerecht wird.


Giorgi Gigashvili (Foto: Ninutsa Kakabadze)

Sturmlauf der Motorik

Die 7. Sonate B-Dur op. 83 (1942/43) von Sergei Prokofjew folgt auch hier unmittelbar nach dem Beifall, der nur kurz andauert. Denn der Pianist bleibt sitzen und beginnt gleich mit dem Allegro inquieto. Unruhig bedeutet es und besteht aus perkussiven Elementen wie Trommelrhythmen und Pferdegalopp. Dieser erste Satz verlangt gleich enorme energetische Motorik und steigert sich in eine Themen verzerrende Reprise von ungeheurer Gewalt.

Der zweite Satz wiederum, ein Andante caloroso, also ein wärmender Abschnitt mit Kinderlied-Charakter, erinnert aber eher an ein Klagelied. Zwar hat Prokofjew die Melodie aus seinem Ballett Cinderella entnommen, es aber mit Totenglocken und dissonanter Begleitung wie auf einem Schlachtfeld garniert. Ein höchst irritierender Abschnitt dieser Sonate.

Das Finale, genannt Precipitato (übersetzt mit: übereilt, abgestürzt und auch gesunken), gehört mit zum extremsten, was Prokofjew überhaupt komponierte. Es besteht aus einem Sturmlauf der Motorik, gnadenlos, hämmernd und rhythmisch komplex, ja kaum zu durchschauen, geschweige denn auszuhalten. Physisch eine absolute Herausforderung, denn es besteht fast ausschließlich aus perkussiven Elementen, maschinenartig, von militärischem Dröhnen getragen, marschmäßige Aufzüge von Soldaten, bis hin zu Schlachtfeldszenen mit Fliegereinsätzen.


Brutale Apotheose – Aufgeheizte Stimmung

Grauenhafte Schönheit, triumphaler Untergang und brutale Apotheose bestimmen diesen Schlusssatz. 

Das Publikum dröhnt ebenso, steht spontan auf, niemand hält es mehr auf den Sitzplätzen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Sonate hat mit brutaler Modernität, extremer Dissonanz und nahezu übermenschlicher Motorik den Weg der Neuen Musik geebnet und ist somit auch ein Spiegelbild unserer Gegenwart.


Giorgi Gigashvili (Foto: Ansgar Klostermann)

Höchste Musikalität – außergewöhnliche Bühnenpräsenz

Giorgi Gigashvili kokettiert mit dem Publikum, lacht und schäkert, ihm ist die physische Anstrengung nicht anzumerken. Gleich zwei Zugaben gibt er. Einmal aus den kaum bekannten Lieder ohne Worte von Fanny Mendelssohn, die mindestens ebenso begabt war wie ihr Bruder Felix. Ein melodisches Kleinod. Sowie aus dem 600 Sonaten Repertoire von Domenico Scarlatti ein wunderbares, kleines, sehr virtuoses Geschenk ans Publikum.

Gigashvili ist mit seinen 25 Jahren kein Unbekannter mehr und mit vielen internationalen Preisen ausgestattet. Dieser Klavierabend war übrigens Teil des Musikpreises der Deutschen Wirtschaft von 2024, deren Experten-Jury vor allem „seine außergewöhnliche Bühnenpräsenz, seine Musikalität und sein solistisches Auftreten“ hervorhob. Dem gibt es nicht hinzuzufügen.

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