38. Rheingau Musik Festival 2025
Hayato Sumino, Klavierrezital im Laiendormitorium des Klosters Eberbach, 01.08.2025
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Hayato Sumino (Foto: Ansgar Klostermann) |
Zu den Besten Dreißig
Hayato Sumino ist nicht von ungefähr im Jahre 2023 in die „30 Under 30“-Liste von Forbes Japan aufgenommen worden, im Klartext: Er gehört danach zu den besten Pianisten unter 30 Jahre auf diesem Globus. Bereits in seiner Ankündigung mit höchsten Lobeshymnen bedacht (er debütierte bereits im vergangenen Jahr auf dem RMF) konnte er, das sei vorausgeschickt, tatsächlich sogar die höchsten Erwartungen des Publikums im vollbesetzten romanisch-frühgotischen Laiendormitorium des Klosters Eberbach erfüllen.
Reimagine – Neuauslegung
Er nennt sein Programm „Reimagine“ und versteht darunter, wie er selbst in seinem kurzen Gespräch mit dem Publikum erläutert, die Neuauslegung von Musik der Vergangenheit. Seiner Auffassung nach besteht ein ständiger Dialog zwischen Alt und Neu, und genau das möchte er an Beispielen und Verbindungen der Bachschen Musik mit Kompositionen von Philip Glass (*1937), Ryuichi Sakamoto (1952-2023), Nikolai Kapustin (1937-2020), wie auch eigenen Werken demonstrieren.
Ein fast schüchterner junger, fragiler junger Mann betritt in korrektem Anzug und Fliege die leicht erhöhte Bühne im brechend vollen Saal, setzt sich an den Steinway und beginnt mit Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Italienischem Konzert BWV 971, das er 1735 gemeinsam mit seiner französischen Ouvertüre veröffentlichte, und worin er anknüpft an die bereits beliebten Stilmittel von Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi.
Ein untypischer Bach
Es ist ein nahezu untypischer Bach, klingt das dreiteilige Concerto, im Allegro, Andante und Presto geschrieben, doch schon eher wie ein venezianisches Ritornell, sehr melodisch und arios vor allem im Andante, und virtuos im abschließenden Presto.
Sumino glänzte bereits hier mit bester Akzentuierung der polyphonen Abschnitte, ausgesuchter Dynamik zwischen Fortissimo und Pianissimo, wie auch durch lange Bögen, die den Spannungsgehalt des Concerto noch verfeinerte. Wenig Pedalarbeit, dafür schönstes Legato und vor allem im perlenden Presto perfekte Transparenz.
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Hayato Sumino (Foto: Website) |
Meditation auf hohem Niveau
Nach einer kurzen Vorstellung seines Abendprogramms – er bat unter anderem auch das Publikum, nicht zu klatschen vor dem Ende des ersten Teils des Konzerts – setzte er sein Rezital mit Philip Glass´ Etüden 2 und 6 fort. Glass schrieb insgesamt 20 davon im Zeitraum zwischen 1991 und 2012 und fasste sie schlussendlich in zwei Bücher. Zwei und sechs entstanden zwischen 1994 und 2003 und sind Bestand seines ersten Buches.
Die Absicht dieser Übungsstücke war es zunächst, seine Klaviertechnik zu verbessern, aber auch neue musikalische Patterns, Strukturen und Klangflächen zu erfinden. Heute gehören sie zum Repertoire fast aller Pianisten, nicht allein wegen ihrer technischen Anforderungen, sondern vor allem auch wegen ihres meditativen, minimalistischen, träumerischen wie auch repetitiven Charakters.
So wirkt die Etüde Nr. 2 wie ein Wiegenlied im Vier/Viertel und Sieben/Achtel Takt-Rhythmus und die Etüde Nr. 6 mit seinen extremen repetitiven Anforderungen, gepaart mit einer kryptischen Melodie, wie ein Rondo, dessen Ende nicht absehbar ist, wo die Zeit stehen zu bleiben scheint.
Mischung aus Melancholie, Sehnsucht, Ruhe
Sumino gelingt es hervorragend, die langen minimalistischen Strukturen lebendig zu halten und der drohenden langen Weile durch unglaubliche Differenziertheit des Tastenspiels Einhalt zu gebieten. Der Übergang zu Johann Sebastian Bachs Choralvorspiel „Ich rufe zu Dir, Herr Jesus Christ“ BWV 639 klang denn auch wie eine Fortsetzung des vorausgegangen Spiels, nur jetzt im typischen barocken Klangduktus, sehr erhaben und im orchestralen Cantus firmus.
Fast unvermittelt ändert sich der Habitus des Chorals, er wird rhythmischer ja jazziger, aber auch melancholischer und nachdenklicher. Man vermutet eine eigene Improvisation. Aber falsch gedacht. Es ist der Wechsel zu Ryuichi Sakamotos Solari, ein Schlüsselwerk des Komponisten, das seinen Abschied von der Musikwelt thematisiert.
Hayato Sumino transformiert diese Konzert- und Filmmusik für „Opus“ aufs Klavier und lässt Bach und Sakamoto in einer Mischung aus Melancholie, Sehnsucht und Ruhe zusammenwachsen. Einfach genial möchte man meinen.
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Hayato Sumino (Foto: Ansgar Klostermann) |
Virtuos und expressiv
Unvermittelt folgt die Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903 von Johann Sebastian Bach. Er hat sie wohl 1720 in Köthen verfasst und damit eines der virtuosesten und expressivsten Werke für Tasteninstrumente hinterlassen. Dreiteilig beginnt es mit einer freien Improvisation, einer Art Toccata mit extrem schnellen Skalenläufen, die sukzessive in ein Rezitativ übergehen. Auch dieser Teil ist frei zu handhaben, sehr expressiv und emotional, einer dramatischen Bühnenszene gleich.
Die abschließende Fuge ist das Kleinod dieses Werkes. Dreistimmig mit langer Thematik (Dux) verlangt sie vom Pianisten alles, was technisch und musikalisch möglich ist. In D-Dur beginnend wandert sie durch fast alle, auch entfernteste Tonarten, fordert höchste Präzision und rhythmische Klarheit. Sie ist wie ein Steigerungslauf aufgebaut und führt zu einem dramatischen, triumphalen Höhepunkt.
Finale im Rock-Pop-Jazz-Rhythmus
Was Sumino hier bot, war aus der Sicht des Verfassers dieser Zeilen, das Beste und Ausgereifteste, was er bisher dazu gehört hat. Plastisch und gleichzeitig butterweich, analytisch und doch verspielt, lyrisch und pragmatisch. All das vermochte er in dieser Fantasie zu präsentieren.
Seine für den ersten Teil abschließende Eigenkomposition, Human Universe, aus seinem gleichnamigen Album, ist, eigenen Aussagen zufolge, „inspiriert von der Idee der Sphärenmusik“ und enthält eine Menge Bezüge zu den französischen Impressionisten und vor allem auch zu Keith Jarrett, einem der einflussreichsten Pianisten der Gegenwart. Ein wunderbarer Ausklang im Pop-Rock-Jazz Rhythmus, der ein beschwingtes und begeistertes Publikum nach fast 75 Minuten in die Pause entließ.
Mix aus Bach und Kapustin
Der zweite Teil des Konzerts bestand aus einem Mix aus Bachs 15 zweistimmigen Inventionen BWV 772- 786 (daraus in Folge die Nummern 1, 13, 4 und 14) sowie aus den Acht Konzertetüden für Klavier op. 40 von Nikolai Kapustin, unterteilt in die ersten drei Prélude, C-Dur, Reverie (Träumereien), As-Dur, und Toccatina, e-Moll, nach der Invention Nr. 1, C-Dur und New Birth (aus dem Album: Human Universe), dann Remembrance (Erinnerung), H-Dur, und Raillery (Ironie), D-Dur, nach der Invention 13, a-Moll, gefolgt von Pastoral, H-Dur, nach Invention 4, d-Moll, und Intermezzo, Des-Dur, sowie Finale, f-Moll, nach Invention 14, B-Dur.
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Hayato Sumino (Foto: Clemens Ascher) |
Barock und Jazz
Eine klangliche Abfolge, die barocke Inventionen mit Jazz, Blues, Ragtime, Boogie-Woogie, Broadway-Musical, Stride-Piano und Barmusik miteinander verbindet.
Dazu muss man wissen, dass Kapustin bereits in der UdSSR mit der Bigband von Oleg Lundstrem durch seine Heimat tingelte und auf dem Piano westlichen Jazz und Broadway Music spielte. Seine acht Etüden schrieb er noch zu UdSSR Zeiten im Jahre 1984, und sie stehen quasi für seine Affinität zur westlichen Musikkultur, die allerdings auch Bezüge zum „sozialistischen Realismus“ enthält.
So sind die Etüden technisch höchst herausfordernd, von ausgesprochener Virtuosität und nicht zuletzt von klarer Struktur und tänzerischem Flair. Außerdem enthalten sie eine Menge russischen Perfektionismus, sind doch die Noten bis auf den Punkt fixiert, auch wenn man glaubt, sie seien größtenteils improvisatorisch frei erfunden.
Inventionen versus Stride-Piano
Die Verbindung von Bach und Kapustin wurde zudem durch geschickte Arrangements des Pianisten quasi im Anhang der Inventionen hergestellt.
Sumino verfremdete die herrlich hingeworfenen Inventionen mit rhythmischen und synkopischen Elementen und erreichte so geschickt die Überleitung zu den einzelnen Etüden, die mal an Chick Corea oder Bill Evans in der Vierten, an den Broadway in der Fünften, den Bebop in der Pastoral, der Sechsten, an den Ragtime in der Siebenten, den Blues, das Stride-Piano und den Wahnsinn in allen weiteren Etüden erinnerten.
Tatsächlich ist das Finale der achten Etüde in Tempo, pulsierendem Rhythmus und unbändiger Verve kaum zu übertreffen und man kann kaum glauben, wie ein doch so fragiler Pianist, wie Hayato Sumino, titanenhaft die Tasten bearbeitet und das mit unfassbarer Musikalität, spielerischem Duktus und gleichzeitiger technischer Brillanz.
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Hayato Sumino (Foto: Ansgar Klostermann) |
Kein Zeichen der Ermüdung
Stehender Beifall war ihm sicher. Natürlich musste er auch Zugaben versprechen, was er wohl auch gerne tat, denn trotz gewaltiger physischer Anstrengung, die vor altem diese Etüden abverlangen, schien er frisch wie zuvor zu sein. Keine Zeichen der Ermüdung erkennbar.
Die erste Zugabe gehörte zu Chopins Walzer Zyklus, die Grande Valse Brillante op.18. Kaum zu erwähnen seine brillante Vorstellung dieses doch technisch und musikalisch nicht einfachen Stücks. Seine zweite Zugabe stammte aus seinem Album Human Universe und aus einem Arrangement aus Mozarts Funkel, Funkel, kleiner Stern.
Eine Adaption aus dessen berühmter Variation Ah! Vous dirai-je, Maman, auch bekannt als Morgen kommt der Weihnachtsmann, KV 265. Wunderbar und fast kindlich vorgetragen. Rührte wohl vor allem die Frauen im Dormitorium zu Tränen.
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Hayato Sumino (Foto: Website) |
Klickt in "Cateen"
Hayato Sumino ist tatsächlich der überschwänglichen Lobeshymnen wert. Kein PR-Trick, keine Propaganda Masche, sondern pure Realität. Er gehört tatsächlich zu den besten Tastenkünstlern der Welt. Großartig diese Entdeckung, denn ich kannte ihn zugegebenermaßen bis zum besagten Rezital überhaupt nicht, obwohl er bekanntlich einen millionenfach aufgerufenen YouTube Kanal namens Cateen führt.
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