Donnerstag, 4. September 2025

38. Rheingau Musik Festival 2025

Alexander Malofeev, Klavierrezital im Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg, 03.09.2025


Alexander Malofeev (Foto: Ansgar Klostermann)

Aus einer anderen Welt

Wer denkt, nach mehr als sechs überragenden Klavierrezitale, im Rahmen des RMF 2025, gäbe es keine Steigerung mehr an Musikalität, technischer Versiertheit und herausragender Interpretationskunst, der muss sich wieder einmal eines Besseren belehren lassen. 

Alexander Malofeev (*2002) gehört einfach dazu. Seine Erscheinung kann mit Fug und Recht zum absoluten Höhepunkt der klavieristischen Veranstaltungen im Rahmen des diesjährigen Festivals gerechnet werden. Er ist eine Erscheinung aus einer anderen Welt, und das ohne Übertreibung.


Ein Mammutprogramm vergeht wie im Fluge

Mitgebracht hat der hellblonde Wuschelkopf, ebenfalls wie seine Vorgänger ganz in Schwarz gekleidet, Werke von fünf Komponisten, die das 19. und 20 Jahrhundert prägten und die musikalische Moderne vorausschauend einleiteten.

Darunter das letzte Werk Franz Schuberts (1797-1828), seine drei Klavierstücke D 946 (1828/1868), die Sonate Nr. 3 bzw. Nr. 2 (1945/46) von Dmitri Kabalevsky (1904-1987). Dann von Leos Janáček (1854-1928) Im Nebel (1912) sowie von Franz Liszt (1811-1886) die Funérailles VII aus seinem Zyklus der Harmonies poétiques et religieuses (1858/49), und last but not least von Alexander Skrjabin (1872-1915) seine 1897 verfassten Vier Préludes op. 22 wie seine Fantasie h-Moll op. 28 aus dem Jahre 1900/01.

Neben den drei Zugaben von Sergej Rachmaninow und Mikhail Glinka, ein Mammutprogramm von fast zweieinhalb Stunden, das aber wie im Fluge verging.


Alexander Malofeev (Foto: Website)

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"Aufschrei des Herzens"

Gleich zu Beginn die drei Klavierstücke von Franz Schubert. Er schreibt diese bekenntnishaft-intimen Stücke unter widrigen Bedingungen. Tödlich erkrankt lässt er darin noch einmal den „Aufschrei, die Gemütsregung des menschlichen Herzens“ (M.J.E. Brown) zu Musik werden.

Vergleichbar mit seinen berühmten Impromptus, seinen Moments musicaux sowie seinen Sonaten, ist diese Trilogie nach dessen Tod in Vergessenheit geraten. Erst Johannes Brahms entdeckte sie wieder, veröffentlichte und spielte sie vierzig Jahre später.

Drei Kleinode, quasi in Fortsetzung der oben genannten Werke, die bis heute im Wesentlichen mit Schuberts Schaffen verbunden werden. Nein. Sie sind ebenbürtig und Alexander Malofeev bewies gleich zu Anfang seine überragende, ja einmalige Musikalität. 

Er versetzte das Publikum des vollbesetzten Fürst-von-Metternich-Saals in die tiefste Romantik, aber auch in den Farbenreichtum und den genialen Kompositionsstil eines Meisters, der trotz oder vielleicht auch wegen der widrigen Umstände bereits tief in das 19. Jahrhundert vorausschaut.


Vergleich mit Glenn Gould

Alexander Malofeev, der bereits vor einem Jahr das Publikum auf dem RMF begeisterte, sitzt ähnlich tief wie einstmals Glenn Gould (1932-1982) am Klavier, dirigiert seine Bewegungen auf der Tastatur, geht mit dem Kopf nah zu seinen Händen und ist, das sei bereits hier vermerkt, ganz Musik. 

Die Erinnerung an den genannten Glenn Gould kommt nicht von ungefähr, denn auch er machte Furore in den 1970er und 1980er Jahren nicht allein wegen seiner pianistischen Genialität, sondern auch wegen seines individuellen, einmaligen Auftretens. Der Vergleich der beiden ist insofern durchaus gerechtfertigt.


Alexander Malofeev (Foto: Ansgar Klostermann)

Sozialistischer Realismus

Wer kennt Dmitri Kabalevsky (1904-1987). Ja, er kommt aus der Heimat des Pianisten, war integraler Bestandteil der Stalin Ära, wurde vielfach ausgezeichnet und hat sich vor allem als Lehrer und Pädagoge ausgezeichnet. Auch sei vermerkt, dass er neben ausgedehnter Klavierliteratur vier Sinfonien, vier Klavierkonzerte und acht Orchesterwerke komponierte, also in quasi allen Musikgattungen zuhause war. Sein musikalischer Stil ist am damals geforderten sozialistischen Realismus angelehnt, was nichts weiter bedeutete, eine tonale, für alle Hörer verständliche Musik zu schreiben. Was aber nicht heißt, langweilige Musik zu schreiben (erinnert sei auch an seinen Zeitgenossen Sergei Prokofjew).


Zweite oder Dritte?

Weit gefehlt. Seine Sonate Nr. 3 in F-Dur op. 46 (1946) könnte auch seine zweite von 1945 in g-Moll sein, was allein schon die Dreisätzigkeit (Allegro con moto, Andante cantabile, Allegro giocoso) und die Dauer von 15 Minuten belegt. Denn, so die Quellenlage, seine op. 46 ist einsätzig geschrieben in G-Dur, und von einer Dauer von knapp acht Minuten. Warum die Verwechslung stattfindet, liegt wohl am Veröffentlichungsdatum. Die 2. Klaviersonate ist 1945 geschrieben, aber 1946 veröffentlicht. Das soll genügen.


Kurzweiliges Theaterstück

Tatsächlich changiert dieses Werk zwischen ungeheurer Spiellaune, Dramatik pur, Trauermarsch, Träumereien, und endet im Allegro giocoso des Schlusssatzes, in einer Groteske mit allerlei Till Eulenspiegeleien. Malofeev ist ganz in seinem Element, zaubert ein Theaterstück von höchster Kurzweiligkeit und entlässt das Publikum mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen in die Pause.


Alexander Malofeev (Foto: BSO Lighthouse)

Ein Krisenwerk

Leos Janáček schrieb sein Im Nebel ebenfalls während einer tiefen persönlichen Krise, wie bereits bei Schubert konstatiert. Es ist sein letztes Klavierwerk und entsteht wohl als Reaktion auf den Tod seiner Tochter Olga.

Die viersätzige, überwiegend in Des-Dur gefasste Komposition lässt tief in dessen Seele schauen. Viel Wehklagen, verschwommene Erinnerungen, aber auch ein nebulöses, nahezu rezitatorisches Spiel mit dem Klang und ein orakelhafter Schluss prägen diese gut 15 minütige Einlassung, die der Pianist nahtlos, aber zunächst kaum bemerkt, in die Funérailles VII von Franz Liszt aufgehen lässt.


Trauermarsch für Revolutionäre

Unvermittelt hört man dumpfe Glockenschläge. Ein Marche funebre bahnt sich an. Man denkt an Beethovens Klaviersonate As-Dur op. 26, aber im Folgenden auch an Chopins Trio aus der Polonaise op. 53 mit seinen rasend schnellen Ostinati in der linken Hand. 

Tatsächlich hat Liszt diesen Zyklus unter dem Eindruck der gescheiterten bürgerlichen Revolution in Ungarn geschrieben und dabei durchaus Beethoven, als Enfant terrible der napoleonischen Befreiungskriege, sowie seinen soeben verstorbenen Freund Frederic Chopin im Sinn gehabt. 

Er selbst aber verneint es und betont, mit dieser Komposition seinen Tribut an seine Freunde Fürst Felix Lichnowsky, Graf László Teleki und Lajos Batthyány, die nach dem gescheiterten ungarischen Aufstand 1849 zu Tode kamen oder, wie Teleki, ins Ausland flüchten mussten, zollen zu wollen.


Zwischen Genie und Wahnsinn

Sei´s drum. Malofeev war hier ganz Franz Liszt, von tiefer Trauer beseelt, aber auch von Wut, Verzweiflung und Aufbruch geschüttelt. Lediglich das Finale kann ein wenig beruhigen, denn es kommt einer Himmelfahrt gleich und endet im Pianissimo. Zwischen Genie und Wahnsinn alles drin.


Exorbitantes Klanggefühl

Der Exzentriker und Klangkünstler Alexander Skrjabin sollte den Abend abschließen mit zwei seiner relativ selten gespielten Kompositionen. Zumindest sein op. 22, Vier Préludes, die er als 25-jähriger junger Mann schrieb, sind Ausdruck seiner Experimentierfreudigkeit und seines Klanggefühls. 

Sehr kurze Piècen von jeweils kaum einer Minute umfassen quasi sein gesamtes rhythmisches, harmonische und chromatisches Stilempfinden.


Alexander Malofeev (Foto: Ansgar Klostermann)

Unspielbar

Mit einem Lächeln und geschlossenen Augen spielte sich Alexander Malofeev damit in sein Schlussstück ein, der Fantasie h-Moll op.28. Ein 9-minütiger Hammer von gewaltiger Kraft und Ausmaß in der Notation, die dermaßen unübersichtlich und orchestral ausgeschrieben ist, dass selbst der Komponist es nicht wagte, damit aufzutreten. 

Dazu sei bemerkt, dass Skrjabin, ehrgeizig wie er war, ähnlich wie seinerzeit Schumann, seine Hände dermaßen beim Klavierüben traktierte, dass er mit der rechten Hand nicht mehr die volle bewegliche Leistung bringen konnte. Im übrigen galt diese Fantasie lange Zeit als unspielbar und wurde vermutlich erstmals im Jahre 1946 von Samuil Feinberg (1890-1962) aufgeführt.


Thematisch verständlich – extrem spannend

Was aber machte Alexander Malofeev daraus? Unglaublich aber wahr: Er spielte diese Dschungel-ähnliche-Partitur mit einer Transparenz, Melodiosität und spannungsgeladener Theatralik, dass auch der unkundigste Musikliebhaber seine Freude an dieser Interpretation bekam.

Nicht umsonst zählt diese Komposition zum schwer Verständlichen der Spätromantik und der sukzessiven Auflösung der Tonalität. So heißt es in seiner Charakterisierung unter anderem: „Die dichten und kontrapunktischen Strukturen sind äußerst schwer zu intonieren, die Kollisionen zwischen den Händen erfordern sorgfältige Ausarbeitung, und die Begleitung der linken Hand ist stellenweise mehr oder weniger unmöglich.“ (Robert Cummings, AllMusic).

Alexander Malofeev scheint dieser Aussage Lügen zu strafen. Denn seine Interpretation machte aus der vermeintlichen Unmöglichkeit eine thematisch verständliche und zudem extrem spannende Fantasie. Der stehende Beifall machte es deutlich.


Alexander Malofeev (Foto: oblozhka konzerti)

Komplexe Reife

Seine drei Zugaben schwankten zwischen gesanglicher Erholung aus der Hand von Mikhail Glinkas Nocturne in f- Moll sowie Mazurka in c-Moll, und jugendlichem Überschwang aus Sergei Rachmaninows Prélude cis-Moll op. 3/Nr. 2.

Alexander Malofeev toppte noch einmal die wirklich herausragenden Pianisten auf dem diesjährigen RMF. Er ist wirklich von einem anderen Stern, was seine Musikalität, sein Art des Anschlags und sein tiefes Verständnis der Kompositionen betrifft. Eine komplexe Reife, die man kaum zu erfassen vermag.

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