Montag, 22. September 2025

Così fan tutte (1790), Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Text von Lorenzo Da Ponte, Oper Frankfurt, Premiere 21.09.2025


v. l.: Bianca Tognocchi (Despina), Magnus Dietrich (Ferrando),
Kelsey Lauritano (Dorabella), Teona Todua (Fiordiligi),
Liviu Holender (Don Alfonso; verdeckt), Jonas Müller (Guglielmo)
(alle Fotos: Barbara Aumüller)

Schule der Liebenden

Gehen wir doch gleich in medias res: Cosi fan tutte, oder: So machen es alle, wie der Titel ins deutsche übersetzt werden kann, bezieht sich nicht allein auf die Untreue der Frauen, wie man annehmen könnte, sondern auch auf diejenige der Männer, denn der Untertitel des wunderbar irritierenden und verwirrenden Komödienspiels mit ernstem Hintergrund (übrigens die letzte der Mozart-Da-Ponte-Trilogie: La Nozze di Figaro und Don Giovanni) lautet nicht von ungefähr: „La scola degli Amanti“, was nichts anderes bedeutet, als Die Schule der Liebenden

Und genau das hat die Inszenierung perfekt auf die Bühne gezaubert. Mit allen Extremen und Unwahrscheinlichkeiten, die mit dieser Commedia dell´arte Geschichte verbunden sind. Aber dazu später.


Ein unwirklicher, realer Deal

Oberflächlich betrachtet ist Cosi fan tutte, UA 1790 im Burgtheater Wien, eine Treueprobe mit Wettcharakter, die im Rahmen der standesamtlichen Vermählung zweier Paare (die Frauen sind Geschwister reicher Eltern, die Männer kommen aus dem Hochadel und sind Offiziere) von einem gewieften Lebenskenner, namens Don Alfonso, nach heftigem Streit ausgelobt wird. 

Er nämlich behauptet, der ewige Treueschwur der Frauen gehöre ins Reich der Fiktion. Er beweise ihnen, sollten sie seine Wette von 100 Zechinen (venezianische Goldmünzen vom hohen Wert) eingehen, dass dem so nicht ist. Binnen vierundzwanzig Stunden sei der Beweis erbracht, allein sie müssten sich seinen Anordnungen unterziehen, ohne Wenn und Aber.

Der Deal ist gemacht und die Komödie kann beginnen.


Liviu Holender (Don Alfonso; Bildmitte), Ensemble

Unmöglich – nicht machbar

Dass die Oper lange Dekaden als unmoralisch, verwerflich und vor allem als unrealistisch abgelehnt wurde (selten bis gar nicht gespielt bis tief ins 20. Jahrhundert) ist nicht gerade verwunderlich, denn warum sollten die verliebten und heiratswilligen Frauen binnen 24 Stunden ihren Männern untreu werden, und – das sollte die Ablehnung noch erhärten – ausgerechnet ihren eigenen? Tatsächlich ein schwieriges Unterfangen, das viele Regisseure veranlasste, an der Oper herumzuwerkeln. Eigentlich nicht machbar, lautete das allgemeine Urteil.


Elastische Zeit der Parabel“

Aber mitnichten. Bekanntlich ist sie seit den 1950er Jahre regelmäßig auf dem Programmset der Opern zu finden, und das in vielerlei Facetten. Was das Frankfurter Regieteam unter der Mozartspezialistin, Mariam Clement (allerdings mit ihrer Erstfassung der Cosi und zugleich mit ihrem Debüt in der Frankfurter Oper) daraus machte, gehört allerdings mit zum Besten dieses Genres. Gemeinsam mit Etienne Pluss (Bühnenbild), Bianca Deigner (Kostüme), Joachim Klein (Licht), Alvaro Corral Matute (Chor), Zsolt Horpácsy (Dramaturgie) und nicht zuletzt Thomas Guggeis (Musikalische Leitung), schaffte sie es, die Abstraktion der Handlung in ein Zeitfenster zu bannen, das die psychologischen Momente der Einzelpersonen in einem realistischen Ablauf erscheinen lässt. 

Denn, so ihre Auffassung, die Zeit sei es, die das Abstrakte dieser Oper ausmache. Man müsse, so folgert sie, die Hochzeit „außerhalb der Zeit erkunden“, und weiter schreibt sie im Opernmagazin: „In dieser elastischen Zeit der Parabel, die mal erstarrt und mal gedehnt wird, sind sowohl Projektionen in die Zukunft, als auch Erinnerungen an die Vergangenheit sowie Fantasien, mögliche Scheidewege, Fragen und Zweifel vorstellbar.“


v. l.: Bianca Tognocchi (Despina), Liviu Holender (Don Alfonso),
Kelsey Lauritano (Dorabella), Magnus Dietrich (Ferrando
)

Spiel mit der Zeit

In diesem Sinne sind einfach herrliche Ideen entstanden. Eine dreigeteilte Drehbühne mit einer mittleren Kammer deckte die gesamte Szenerie im klassizistischen Stil ab. Mal Standesamt, mal Ort der Feierlichkeiten, mal Ruheraum mit Videoanlage (Bilder des Glücks, der Vergangenheit und Zukunftsträume), oder Rückzugsraum.

Aber die mittlere Kammer sollte es in sich haben. Hier finden die gedanklichen- und Handlungswechsel statt. Sie ist Zugang und Abgang zu den großen Räumen. Hier dreht sich alles um, bis zu 180 Grad. Spannung pur während der gesamten Oper. Gleichzeitig sind es Räume, in denen nicht allein die Zeit stehen bleibt (so findet die Wette vor versammeltem Publikum statt, aber das verharrt stehend wie sitzend auf der Stelle), oder man befindet sich in einer Art Salon mit großem Video und schaut sich Fotos aus der Vergangenheit wie auch Zukunftsträume in Bildern an. Tolle Idee, das Spiel mit der Zeit.


Zeitloses mit Charakter

Die Kostüme sind bis auf die Commedia dell´arte Figur der Despina zeitlos. Typisch die Eleganz der Hochzeitgesellschaft sowie die Paare mit ihren Hochzeitskleidern (Fiordiligi ganz klassisch, Dorabella modern, mit Hosenanzug, die beiden Bräutigame in ausgewählten Anzügen). Despina wechselt ihre Rollen, mal als Arzt, dann als Notar in entsprechender, allerdings schriller Kluft. Sie ist tatsächlich ein Überbleibsel der Commedia dell´arte und sticht aus der versammelten Mannschaft heraus.

Die Protagonisten auf der Bühne, ohne den Chor sind es sechs an der Zahl, können unterschiedlicher kaum sein. Zu recht streicht die Regie ihre psychologischen Besonderheiten heraus. Vor allem geht es um die Charaktere der handelnden Personen.


Kelsey Lauritano (Dorabella) und Magnus Dietrich (Ferrando)

Viel zeitloser Charakter

Bekanntlich ist Fiordiligi (Teona Todua, Sopran mit Rollendebüt und Debüt an der Oper) liiert mit Guglielmo (Jonas Müller, Bariton, Rollendebüt und Debüt an der Oper, zugleich neues Mitglied des Opernstudios).

Teona Todua alias Fiordiligi ist eine standhafte Person, die ewige Liebe zu Guglielmo schwört. Ihr starker moralischer Anspruch und ihre Leidenschaft allerdings machen ihr schlussendlich einen Strich durch die Rechnung. Sie verfällt nach schwierigen inneren Kämpfen (herausragend ihr berühmte Treuearie, aber auch ihre Verzweiflungsarie Ende des 2. Aktes: „Meine Liebe ist nicht mehr tugendhaft“)

Jonas Müller alias Guglielmo gehört eher zu den pragmatischen, aber auch eifersüchtigen Figuren. Er bezeichnet sich als „Mann der Tat“, unterschätzt allerdings die Ernsthaftigkeit der Wette und ist schlussendlich extrem enttäuscht von seinem Freund Ferrando nach der Verführung seiner Angetrauten.

Dann kommen wir zu Dorabella (Kelsey Lauritano, Mezzosopran) und ihres Verlobten Ferrando (Magnus Dietrich, Tenor, Rollendebüt).

Kelsey Lauritano alias Dorabella ist lebenslustiger und offener als ihre Schwester. Sie lässt sich auf das Abenteuer ein und entscheidet sich relativ früh für den „fremden“ Verehrer, nämlich Guglielmo. Ihre Prinzipientreue lässt zu wünschen übrig. 

Sie glänzt durch wunderbare Arien mit warmer und frischer Stimme. Herauszuheben „Die Liebe ist ein kleiner Dieb“, kokett und verschmitzt gesungene Arie, aber auch ihre Duette und Ensembles mit den Protagonisten gehören in die Kategorie herausragend.

Magnus Dietrich alias Ferrando, ist eher ein schwärmerischer empfindsamer Typ, ganz der Romantik ergeben. Er glaubt fest an die Treue seiner Angetrauten Dorabella und ist extrem enttäuscht, als seine Geliebte schwach wird und sich ergibt. 

Sein letzter Versuch bei Fiordiligi gelingt dann doch. Herzzerreißend ihre Arie „Mach mit mir was du willst“, was bei ihrem Geliebten Ferrando Wut- und Enttäuschungsstürme auslöst.


Bianca Tognocchi (Despina)

Skeptiker mit Ethos

Kommen wir zu Don Alfonso (Liviu Holender, Bariton, Rollendebüt). Er geriert sich als Zyniker par excellence mit philosophischem Anstrich, betrachtet die Liebe mit Spott, aber auch mit Skepsis. Für ihn gilt selbstverständlich cosi fan tutte, womit er oberflächlich betrachtet recht behält. 

Seine Menschenkenntnis ist zweifelsohne von frappierender Realität und seine Lösungen pragmatisch: „Übt keine Rache an euren schwach gewordenen Frauen, sondern heiratet sie.“ Ihm sind zwar keine Arien zugeordnet, dafür aber Rezitative von großer Pracht, mal Secco , mal Accompagnato, immer aber eindrücklich und von großer Überzeugungskraft getragen.


Epikureischer Lebensgenuss

Schlussendlich Despina (Bianca Tognocchi, Sopran), die etwas abseits zu stehen scheint. Ihre Rolle ist tatsächlich die einzige von der Commedia dell´arte entlehnt. Eigentlich Kammerzofe, nimmt sie hier die Rolle der Heiratsplanerin ein. Letztlich aber entpuppt sie sich als geniale Ergänzung von Don Alfonso. Denn auch sie verachtet die „große Treueideologie“ und vertritt das epikureische Prinzip des Lebensgenusses. 

Ihre Verwandlungskünste und ihr Sprachwitz, in entsprechende Arien gewandelt, sind clownesk gestaltet. Von Lachern des Publikums begleitet ihre "Magnettrank Arie" als Arzt, und die "Urkunden Arie“ als Notar. Herausragend allerdings ihre Arie: „Ein Mädchen von fünfzehn Jahren“, als Lebens und Liebesratgeber.


v. l.: Kelsey Lauritano (Dorabella), Teona Todua (Fiordiligi),
Jonas Müller (Guglielmo; kniend), Magnus Dietrich (Ferrando),
Liviu Holender (Don Alfonso), Bianca Tognocchi (Despina)

Tief in die Seele geschaut

Einzelne Protagonisten gesondert herauszuheben, verbietet sich, denn alle sechs waren in ihren Rollen genial und konnten in die geforderten Charaktere bis tief in die Seelen hineinschauen lassen. Dazu der Chor der Oper Frankfurt, der prächtig agierte und die erstarrten Zeit-Szenen kongenial realisierte.


Frech und voller Liebe

Jetzt noch zur Musik. Wieder einmal erwies sich Thomas Guggeis mit seinem Opern- und Museumsorchester (44 an der Zahl) und er selbst an einem klangschönen Hammerklavier, als außergewöhnlicher Mozart Kenner und genialer Übersetzer seiner Musik ins Dramaturgische. So ließ er die Instrumente gemeinsam mit den Akteuren seufzen und schluchzen, machte Pausen, ließ Accelerandi, Ritardandi, lange ausschweifende Bögen, witzige Pizzikati sowie synkopische Partien dort erklingen, wo es angebracht schien. 

Die Musik glänzte vor Frische wie auch von Poesie. Sie war frech und voller Liebe, sarkastisch, spöttisch und von tiefer Ernsthaftigkeit zugleich. Alles zusammen führte zu einem wunderbaren Wechselspiel zwischen Gesang und Orchester.

 

v. l.: Kelsey Lauritano (Dorabella), Magnus Dietrich (Ferrando),
Teona Todua (Fiordiligi), Jonas Müller (Guglielmo)

Es ist nur ein Beginn“ – zum Schmunzeln

An dieser Stelle möchte der geneigte Kritiker doch auf die Regisseurin zurückgreifen, die da meint, es gäbe kein lieto fine. Statt dessen sei ein Anfang angesagt: „Es ist wie bei einer Hochzeit: Es ist nur ein Beginn“.

Das alles gemeinsam mit der Musik, die unverhohlen auf die Ouvertüre zurückgreift, hinterlässt doch eine Erkenntnis, die alle im vollbesetzten Opernsaal mit Zuversicht und ein wenig epikureischer wie ethisch-skeptizistischer (Stichwort: Diogenes von Sinope) Philosophie in den Regen entlässt. Eine absolut gelungene Premiere von maximaler Spannung, bester psychologischer Charakterisierung, wunderbaren Einfällen und einer gesanglichen wie instrumentalen Musik, die selbst Mozart und Da Ponte zum Schmunzeln gebracht hätte. 

Schlussapplaus
v. l.: Bianca Tognocchi, Kelsey Lauritano, Teona Todua,
Magnus Dietrich, 
Thomas Müller, Livius Holender, Chor und Statisten
(Foto: H.boscaiolo)



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen