Dienstag, 30. September 2025

Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit Cornelius Meister (musikalische Leitung) und Maxim Lando (Klavier), Alte Oper Frankfurt, 29.09.2025


Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: Website)

Gern gesehen – Ausgelassen

Die Sommerpause ist zu Ende und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester ist zurück auf der Bühne der Alten Oper Frankfurt. Und das mit einem gern gesehenen Gastdirigenten, Cornelius Meister (*1980), der bereits zum dritten Mal mit diesem Orchester das Frankfurter Publikum begeistern wird, und natürlich einen ganz besonderen Gast, den blutjungen amerikanischen Pianisten, Maxim Lando (*2002), dem man, neben pianistischer Brillanz, vor allem „Einfallsreichtum und Ausgelassenheit“ am Flügel nachsagt. 

Sein Debüt in Frankfurt wurde denn auch mit großer Erwartungshaltung des leider nicht vollen Großen Saals der Alten Oper entgegengesehen.

Mitgebracht hatten er und das Orchester das allseits bekannte und auch beliebte Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op.15 (1859) von Johannes Brahms (1833-1897) nebst der selten aufgeführten Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 13 (1874) von Antonin Dvořák (1841-1904)


Maxim Lando (Foto: Website)

Heißsporn und Feuerkopf

Maxim Lando ist eigentlich eine zarte, fragile Erscheinung mit Wuschelhaaren. Er trug einen eleganten grauen Smoking und wartete fast schon ungeduldig die lange Exposition des Orchester ab, bevor er in ganz eigenwilliger Art in die Tasten ging.

Vorweg sei allerdings angemerkt, dass Brahms in ähnlichem Alter wie der Pianist, ebenfalls ein Heißsporn und Feuerkopf, wie es bei Robert Schumann heißt, Aufsehen durch seine Kompositionen, aber auch vor allem durch sein pianistisches Können erregte. Schumann sah in ihm „den kommenden Stern der musikalischen Entwicklung“, seinen ganz persönlichen Nachfolger und Clara, dessen Frau, schien sich stante pede in diesen blutjungen, bildhübschen Jüngling verliebt zu haben. Dieses Dreiergespann hätte eine eigene Geschichte schreiben können, wenn, ja wenn nicht bei Schumanns der Familiensegen bereits sehr schief gehangen hätte.

Franz Schumann litt bekanntlich unter Depressionen, versuchte am Rosenmontag des Jahres 1853 einen Suizid, der fehlschlug, landete in der Heilanstalt Endenich bei Bonn und verstarb dort drei Jahre später.

Clara wurde von ihrem Freund Johannes während dieser schweren Zeit begleitet und es entwickelte sich eine lebenslange tiefe Freundschaft.  


Cornelius Meister (Foto: Matthias Baus)

Mächtiger Schüttelfrost“

Dennoch, diese Ereignisse hinterließen einen gehörigen Schock und sollten das erste Klavierkonzert, das Brahms bereits kurz nach dem Tod seines Freundes plante und konzipierte stark beeinflussen. Nicht von ungefähr sprach der Geiger Josef Joachim (1831-1907) von einem „mächtigen Schüttelfrost“, als er das Werk erstmals hörte, und das Publikum konnte ebenfalls wenig damit anfangen. 

Die Uraufführung im Januar 1859 in Hannover, am Klavier saß der Komponist höchstselbst, über einen Achtungserfolg nicht hinaus, und die zweite Aufführung in Leipzig fiel gänzlich durch. Brahms war verzweifelt und musste einsehen, dass dieses doch außergewöhnliche, seinem Freund und seiner Freundin zugesprochene Werk „glänzend und entschieden“ durchfiel. 

War damit seine neue Komposition sprichwörtlich „zu Grabe getragen“, wie die Kritik allgemein feststellte? Mitnichten. Heute gehört diese „sinfonische Dichtung“ wohl zu den beliebtesten und am meisten gespielten Werken des Komponisten.


Spektakuläres Schauspiel

Warum diese Vorrede. Tatsächlich lässt dieses Konzert, in der Tonart des Todes geschrieben (d-Moll), Schock und Verzweiflung wie die innere Katastrophe des Schöpfers zum Ausdruck kommen. Es ist eine Musik des Wahnsinns. All das bringen Orchester und Solist treffend zu Ohren. 

Nahezu furchterregend wirkt das Maestoso des Orchesters trotz des tröstenden Seitenthemas, bevor Maxim Lando eingreift. Sein Spiel ist extrem extrovertiert, scheint den Wahnsinn und die innere Verzweiflung von Brahms nachvollziehen zu wollen.

Der Bechstein Flügel tut sein Übriges. Er klingt ein wenig hohl, ohne Klangtiefe, aber passt doch passgenau zum Anschlag des jungen Wilden. Virtuosität ist in diesem Klavierkonzert kaum gefragt, dafür sinfonische Klangdichte und extreme Emotionalität. Davon hatte der junge Meister im Überschwang. Zwischen Show und theatralischer Körpersprache gebrauchte er alle Register des Interpretationsstils und man war sich nicht immer sicher, ob er sich selbst darstellte, oder dem Werk gerecht werden wollte. 

Sein jugendlicher Habitus jedenfalls kam voll zum Tragen und machte aus dem Kopfsatz neben der musikalischen Präsenz noch ein spektakuläres Schauspiel.


Maxim Lando (Foto: credit-Huntington-Arts)

Viel Show und jugendlicher Überschwang

Der zweite Satz, bekanntlich ein lyrischer und in dreiteiliger Liedform geschrieben, gilt vor allem seinem „Mijnheer Domine“, wie Brahms seinen Lehrer gerne betitelte, und auch seiner „Geliebten“ Clara, der er versicherte, auch „ein sanftes Portrait von ihr“ zu malen. Kurz: dieses Adagio ist ein schlichtes Gebet, voller Trauer und religiöser Anspielungen. Teile davon sind auch später in seinem Deutschen Requiem wiederzufinden. 

Ein Satz voller Schwermut und Gott Ergebenheit. Maxim Lando bewies hier seine tiefe Verbundenheit mit der Partitur und kommunizierte mitunter sogar mit dem trefflich eingestellten Orchester, dass es verstand, in einem wunderschönen Pianissimo zu musizieren.

Der Schlusssatz, ein Rondo Allegro con brio, sollte noch einmal den jugendlichen Eiferer herauskehren. Wie ein Stehaufmännchen bearbeitete er die Tasten (Wilhelm Busch hätte seinen Spaß gehabt), vernachlässigte oft das geforderte Legato in der Thematik und ließ dem Orchester kaum Zeit, den Fugenteil des Rondos auszuarbeiten. Man hetzte förmlich davon.

Kadenzen gibt es in diesem Klavierkonzert keine, dafür Soloeinlagen von sinfonischer Qualität. So auch hier im Schlusssatz. Im 'Handkantenstil' ließ Maxim Lando noch einmal das Thema Revue passieren, ehe die Coda, wohl die einzige virtuose Stelle im Konzert, das Klavierkonzert beendete.

Das Publikum war begeistert, man pfiff und johlte und ließ den Debütanten hoch leben. Was Show alles kann.

Seine Zugaben, wohl gedacht als Bewerbung für weitere Einladungen in Frankfurt, bestanden aus Franz Liszts „Figaro Fantasie nach Rossini“ nach Themen der Oper Il Barbiere di Siviglia (1833) und einem Klavierauszug aus George Gershwins Rhapsodie in Blue. Gut 25 Minuten absolute technische Brillanz bei gleichgewichtigem jugendlichen Überschwang. Maxim Lando ist noch jung. Er wird noch reifen, hat aber bereits das Publikum für sich erobert. Brahms hätte es ihm vergönnt.


Maxim Lando, Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Foto: H.boscaiolo

Ziemlich ungeniert und wüst

Kommen wir zum zweiten Teil des Abends: Kommen wir zur selten gespielten Sinfonie Nr. 4 op.13 von Antonin Dvořák.

Es ist quasi das Gesellenstück des äußerst populären Komponisten, der doch mehr als 30 Jahre brauchte, um zu einer internationalen Berühmtheit zu werden. Kein Geringerer als Johannes Brahms gehörte zu seinen Förderern, und Richard Wagner zu seinen Vorbildern.

Im Jahre 1871 machte der sich bis dahin als Orchestermusiker (er spielte die Bratsche) verdingende, heimliche Komponist selbstständig, kündigte seinen Vertrag und erlangte mit seiner Hymne Die Erben des Weißen Berges (eine Anspielung auf die Schlacht auf dem Weißen Berg 1620 zwischen den Böhmen und den Kaiserlichen, was mit der Niederlage der böhmischen Stände endete) bescheidenen nationalen Ruhm. Er konnte dann aber mit der Vierten, die 1874 kein Geringerer als Bedřich Smetana dirigierte, seine finanzielle Lage entschieden aufbessern und damit auch noch ein Künstlerstipendium ergattern. 

Eduard Hanslick, Teilnehmer der Wiener Jury, bekanntlich ein gnadenloser Kritiker Wagners, urteilte über diese Sinfonie: „Wir erinnern uns namentlich einer Symphonie (gemeint die Vierte), in der es ziemlich wüst und ungeniert, aber dabei talentvoll herging …“.

Cornelius Meister (Foto: Sebastian Mare)

Knapp – präzise – packend

Hier ist bereits alles gesagt. Diese Sinfonie steckt voller Musizierfreude und Aufbruchstimmung. Hier kann man sich durchaus an dem wunderbaren Einführungsvortrag von Frau Dr. Ulrike Kienzle orientieren, die von einer knapp bemessenen, präzisen, packend mitreißenden sinfonischen Ballade spricht, mit viel Holz und Blech. Von einer Art „Baukastensystem“, das sich immer zu neuen Zusammensetzungen entwickelt. Und das stimmt zumindest perfekt für den Sonatenhauptsatz im Allegro.


Zwischen Walpurgisnacht und Volksfest

Im zweiten dann, dem Andante sostenuto e molto cantabile, scheint sich Richard Wagners Tannhäuser eingeschlichen zu haben. Ist es der Pilgerchor, der „Ach schwer drückt mich der Sünden Last“ singt, oder eher die Freude an der Wagnerschen Kompositionstechnik, die Dvořák inspirierte? Eher trifft Letztgenanntes zu, denn diese Sequenz ist weniger spirituell orientiert, sondern vielmehr Ausdruck einer kontrapunktischen Verarbeitung für ein Notturno, das weit über die böhmische Folklore hinausweist.

Der dritte Satz wiederum gebärdet sich wie ein wildes Tier. Mit der Spielanweisung Allegro feroce, heißt im Klartext, in wilder, brutaler und ungebärdiger Weise vorzugehen, wird der Zuhörer in eine Welt der Walpurgisnacht und des Hexenzaubers eingeführt. Ein Scherzo mit Trio voller Anspielungen auf die böhmische Seele, changierend zwischen Volksfest und Taumel. Bemerkenswert die Einführung von Harfe, Triangel und Trommel, ein Novum bis dahin.


Frankfurter Opern-und Museumsorchester (Foto: website)

Ein Gesellenstück nach Maß

Das Finale, ein Allegro con brio, rekurriert noch einmal auf das Balladeske des ersten Satzes. Auch hier wieder ein klassischer Sonatensatz, wechselt er doch zwischen sprudelnder Energie und lyrischer Gelassenheit. Mal der Galopp einer Reitergarde, dann wieder Liebesspiele auf der Almwiese. Alles drin, und, wie sagte doch Frau Kienzle: „Kurz, knapp, konzise und bestimmt.“

So präsentierte auch das bestens aufgelegte Opern- und Museumsorchester das wohl in den letzten zehn Jahren in Frankfurt zumindest nicht aufgeführte „Gesellenstück“ des böhmischen Meisters. Das sehr umsichtige Dirigat des Cornelius Meister (*1980) trug dazu nicht unwesentlich bei. 

Man kann sie durchaus häufiger auf die Bühnen bringen, denn was will man mehr als 'Wüstheit' und 'Ungeniertheit', um bei den Worten Eduard Hanslicks zu bleiben. Auf jeden Fall ein toller Einstieg des „Orchester des Jahres 2025“. Das bleibt. Und das zu recht.


 

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