2 x Hören / Ravel, Streichquartett F-Dur op.35 mit dem Leonkoro Quartett, Moderation Dr. Markus Fein, Alte Oper Frankfurt, 29.10.2025
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| Leonkoro Quartet (Foto: Peter Adamik) |
Zwei absolute Besonderheiten
Dass die Werkstattkonzerte unter dem Titel 2 x Hören mittlerweile einen Kultstatus erhalten haben, beweist allein schon der vollbesetzte Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt, der bereits frühzeitig ausverkauft ist.
Dr. Markus Fein, zugleich Intendant der Frankfurter Alten Oper, hat wie immer ein feines Händchen in der Auswahl der Interpreten wie auch der musikalischen Beiträge.
Dieses Mal ist es das einzige Streichquartett F-Dur von Maurice Ravel (1875-1937), sein op. 35. aus dem Jahre 1902/03/UA 04) dessen Komposition zunächst heftigst umstritten, dennoch Geschichte geschrieben hat. Gehört es doch heute zum Pflichtprogramm aller renommierten Streichquartette weltweit.
Und dann das Leonkoro Quartet, ein noch sehr junges Quartett, das sich im Jahre 2019 in Berlin gründete und bis heute schon so wichtige Awards wie den Musikpreis der Jürgen Ponto Stiftung (2022), den 1. Preis des Streichquartett Wettbewerb der Londoner Wigmore Hall, den 1. Preis beim Concours International de Quatuor à Bordeaux sowie den MERITO String Quartet Award (alle zwischen 2022 und 2022) abgeräumt hat. Das nur ein Auszug ihrer zahlreichen Auszeichnungen.
Kaum ein Durchschnittsalter von 24 Jahren gehört es bereits in die Phalanx solcher weltberühmter Streichquartette wie dem Quatuor Ébène, Hagen Quartett, Marmen Quartet, Artemis Quartett, um nur eine Auswahl zu nennen.
| Leonkoro Quartet (Foto: Website) |
Typisch impressionistische Harmonik
Ein vielversprechendes Ensemble mit frühzeitigem internationalen Durchbruch, und das zu recht.
Am gestrigen Werkstattabend begannen die vier, Jonathan Schwarz, 1. Geige, Amelie Wallner, 2. Geige – gestern ersetzt durch die Japanerin Saki Tozawa, Mitglied der Akademie der Berliner Philharmoniker –, Mayu Konoe, Bratsche sowie Lukas Schwarz, Violoncello, gleich in sanft fließendem Stil des ersten Satzes très doux (sehr weich).
Ein ausgewogen gefasster Sonatenhauptsatz mit typischer impressionistischer Harmonik und schwebender Klangfülle. Ja, man war an impressionistische Natur- und Landschaftsmalereien erinnert. Warum Gabriel Fauré, der damalige Lehrer und Förderer Ravels, das Werk strickt ablehnte, ist nahezu unverständlich, sind doch viele Merkmale seiner eigenen Kompositionen in diesem Satz, und auch in den anderen, deutlich herauszuhören.
Baskisch-spanische Tänze
Der zweite Satz, genannt Assez vif très rhythme (ziemlich lebendig und sehr rhythmisch zu halten), beginnt gleich mit einem Pizzikato, das in ein Tremolo mündet.
Deutlich ein Scherzo mit ostinaten Rhythmen, das an baskische und spanische Tänze, wie dem Fandango oder auch Zortziko, angelehnt ist. War doch Ravel ein Kind des Grenzgebiets zwischen Frankreich, Spanien und dem Baskenland. Sein Geburtsort Ciboure liegt, nebenbei bemerkt, am spanisch baskischen Ausgangspunkt des Jakobswegs.
Zauberhafte Klangwelt
Der dritte Satz, eigentlich der lyrischste des Werks, besteht aus einer zauberhaften Klangwelt. Zunächst spielt die Bratsche eine Arie wie aus einem Kirchenchoral, dann folgen Cello und erste Geige. Modale Tonarten vermischen sich mit Seufzer Motiven und flirrenden Begleitelementen.
Ein scheinbares Aufbäumen des Cellos verliert sich allerdings in einem abschließenden Morendo. Alles mit Dämpfer und im Pianissimo.
Tief berührend dieser Satz. Leider kommt er in der Besprechung zu kurz.
Energetische Aufgeregtheit
Der Schlusssatz wiederum, ein Assez vif et agité (lebhaft und aufgeregt) hält was er verspricht. Energiegeladen werden Themen des ersten Satzes wieder aufgegriffen. Die Takte wechseln zwischen 5/4, 6/8 und 5/8, und vermischen sich mit pentatonischen und modalen Skalenfolgen.
Man ist hingerissen von der Agilität dieses Ensembles, das sich als wunderbare klangliche und spielerische Einheit präsentieren. Ein Einstieg in das Gespräch, das das Publikum bereits zu einem Jubelgeschrei hinreißt.
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| v. l.: Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Dr. Markus Fein, Mayu Konoe, Lukas Schwarz Foto: H.boscaiolo |
Dr. Fein setzt sich, wie immer, mitten in die Gruppe und stellt zunächst Fragen über das Stück und die Art und Weise, wie die Künstler an das Werk herangehen.
Jonathan Schwarz beispielsweise denkt an Landschaften, die an ihm vorbeiziehen und erwähnt typische Gemälde der Impressionisten, ohne sie allerdings beim Namen zu nennen. Lukas, sein Bruder am Violoncello, beschreibt die Herangehensweise an diese Komposition als normal. Erst einmal schauen, was die Partitur will, dann getrennt üben und einen Charakterzug entwickeln, der der Absicht des Komponisten nahekommt.
Hier zitiert Dr. Fein den berühmten Satz Ravels: „In der Musik muss alles präzise und klar sein, alles muss in einem perfekten Ungleichgewicht stehen.“ Dem konnten die vier Künstler nur zustimmen.
Mayu Konoe spricht über die Übe-Zeit und die Entwicklung dieses Werks unter ihren Händen. Seit vier Jahren beschäftigten sie sich damit, hätten im Laufe der Zeit Präzision und Balance austariert. Ein langer Prozess, der eigentlich nie abzuschließen sei.
Saki Tozawa stellte sich kurz vor (sie spricht nur wenig deutsch) und Dr. Fein lobt ausdrücklich ihre Bereitschaft, für Amelie Wallner kurzfristig einzuspringen. Sie macht allerdings deutlich, dass sie zwar Mitglied der Berliner Philharmoniker sei, aber durchaus auch Erfahrung mit Streichquartetten habe. Dieser Ravel allerdings sei für sie vollkommen neu.
| Leonkoro Quartet v. l.: Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Mayu Konoe, Lukas Schwarz Foto: H.boscaiolo |
Szenenwechsel: Dr. Fein zeigt Fotografien von Ravels Wohnort Paris und dem Haus, im Boulevard 19 Péreire, wo dieses Quartett entstand. Man geht ins Detail und behandelt zunächst acht Takte aus dem ersten Satz (mit Partitur an der Leinwand).
Dr. Fein lässt es einem Marsch ähnlich, ohne Spielanweisung, nüchtern und alles im Gleichklang spielen. Alles zur Verdeutlichung der „auskomponierten Freiheit“ wie es Lukas Schwarz auf den Begriff bringt.
Ja, Ravel, wie der Impressionismus überhaupt, lebt von seiner Farbenpracht und musikalischen Exotik, die sich in der Pentatonik, den Septen, Nonen, der Gamelan Musik und nicht zuletzt in der russischen Folklore zum Ausdruck bringt (Aussagen des Moderators).
| v. l.: Sergio Lamuedra Sall, Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Dr. Markus Fein, Javier Leoz Aristu, Mayu Konoe, Lukas Schwarz Foto: H.boscaiolo |
Raummusik – Quadrophonie
Der zweite Satz, wie gesagt ein Scherzo mit Trio wird über die ersten 10 Takte erläutert. Schroff ist hier der Kernbegriff. Wachheit und Champagnerschaum, Kohlensäure, sommerliches Flimmern und Raummusik sind Stichworte, die fallen.
Raummusik soll hier experimentell praktiziert werden. Dazu verteilt sich das Ensemble weitläufig im Saal und spielt den Anfang des zweiten Satzes. Ein Quadro surround Sound, eine Quadrophonie, die tatsächlich den Raum perfekt erweitert. So könnte man tatsächlich das gesamte Werke präsentieren. Ein gelungenes Experiment.
Slapstick und Entspannung
Alles weitere grenzt ein wenig an Slapstick Einlagen. Mal Happy Birthday normal bis zum Impressionismus (ein Arrangement von Kessler), dann ein Anrufbeantworter mit der Hintergrundmusik diese Satzes. Zunächst mit urhessischer Ansage (gesprochen von Thorsten Pfannkuchen, Mitglied des Alte Oper Teams), dann echt französisch als Gouvernante von Maurice Ravel (gesprochen von Muriel Yvon, ebenfalls Mitglied des Alte Oper Teams).
Witzig und für das Publikum entspannend. Leider auf Kosten des wunderschönen, arienhaften dritten Satzes.
| v. l. Sergio Lamuedra Sall, Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Mayu Konoe, Lukas Schwarz, Dr. Markus Fein Foto: H.boscaiolo |
15 Takte des Schlusssatzes leiten dann den Höhepunkt der Werkstatt ein. Zunächst legt man Wert auf die geforderte absolute Präzision, die das Presstissimo mit Pausen und Fermaten fordert. Ein kurzer Videoclip von einer Minute, der den Geburtsort Ciboure und das Geburtshaus des Komponisten zeigt, leitet die bereits obligatorische Überraschung des Abends ein.
Zwei waschechte Basken, Sergio Lamuedra Sall und Javier Leoz Aristu, betreten die Bühne. Mitgebracht haben sie ein exotisches Instrument, genannt Txalaparta und ihre Stimmen. Zunächst singen und spielen sie ein Festlied, selbstverständlich mit der Txalaparta Begleitung.
Dazu muss man wissen, dass dieses Perkussionsinstrument aus mehreren Schlagbalken (zwei bis vier) besteht und mit senkrecht gehaltenen Stöcken, Klangstäben ähnlich, bearbeitet werden. Hier geht es schlicht um Rhythmik.
Dieses Instrument benutzte man offensichtlich nach der Arbeit, der Cidre Herstellung zum Beispiel, aber auch auf Hochzeiten, um sich nach getanem Tagwerk dem Tanz und Gesang zu widmen.
Beinahe wäre es in Vergessenheit geraten, wenn nicht seit den 1960er Jahren die Gebrüder Artze im Rahmen der Wiederentdeckung der baskischen Tradition (Stichwort UNESCO) dieses Instrument wiederbelebt hätten, das heute in der Pop, Jazz und neuen Musik Musik eingesetzt wird. Klanglich vielleicht vergleichbar mit Klanghölzern oder auch Holztrommeln.
| v. l: Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Sergio Lamuedra Sall, Javier Leoz Aristu, Dr. Markus Fein, Mayu Konoe, Lukas Schwarz Foto: H.boscaiolo |
Experiment gelungen – "schroff und nicht parfümiert"
Das Experiment besteht aus dem Versuch, Teile des Finales Vif è agité mit der Txalaparta zu verknüpfen, zunächst rhythmisch, im 5/4 und 5/8 Takt und dann auch musikalisch, „schroff und nicht parfümiert“, wie es heißt. Experiment gelungen ist die schlichte Antwort. Es klappte perfekt. Die herrlichen virtuosen Einlagen der baskischen Künstler eingeschlossen. Ein kurzweiliger Abschluss der Werkstatt.
Lebendiger und expressiver
Natürlich gehört Das-zweite-Mal-Hören zum obligaten Abschluss. Auch dieses Mal setzte sich die Gelöstheit der Akteure durch. Viel lebendiger und expressiver gelangen ihnen jetzt die einzelnen Abschnitte. Vor allem die zweite Geige, die sich in der ersten Interpretation merklich zurückhielt fand jetzt ihre Linie und glänzte durch Präsenz und Virtuosität.
Besonders hervorzuheben jetzt auch wieder der dritte Satz, der mit seinen schier schwerelosen Texturen unter der Verwendung von Dämpfern wie zu einem homogenen Klangkörper verschmolz. Es atmete wie aus einem frischen Feen Wald. Einfach nur hinreißend.
| v. l.: Dr. Markus Fein, Jonathan Schwarz, Saki Tozawa, Mayu Konoe, Lukas Schwarz Sergio Lamuedra Sall, Javier Leoz Aristu Foto: H.boscaiolo |
Entertainer mit Löwenherz
Dr. Markus Fein hat sein Publikum bereits voll im Griff. Er ist ein Entertainer par excellence und versteht es, mit Kleinigkeiten und Petitessen seine Zuhörerschaft zu fesseln. Dabei kam ihm das noch sehr junge und naturgemäß wenig erfahrene Quartett sehr zupass.
Nicht die Augenhöhe zwischen Interpreten und Moderator bestimmte dieses Mal den Fortgang der Werkstatt, sondern vielmehr die geschickte Führung und szenische Gestaltung eines Zeremonienmeisters, oder schlicht Conférenciers, der von einem Leonkoro Quartet mit „Löwenherz“ (aus dem Esperanto) perfekt eskortiert wurde.


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