Freitag, 17. Oktober 2025

Corps de Walk, Tanzperformance von Sharon Eyal & Gai Behar, Staatstheater Wiesbaden, 16.10.2025

Corps de Walk (Foto: Sinah Osner)

Puls der Zeit

Corps de Walk ist bereits im Jahre 2011 entstanden und von Sharon Eyal (*1971) und Gai Behar (*1977), beide in Jerusalem geboren, für die norwegische Nationalkompanie Carte Blanche choreographiert worden. Die Idee ist einfach und doch höchst differenziert.

Denn es geht einerseits um das klassische „Corps de ballet“, um das Ensemble des klassischen Balletts, andererseits um den Ursprung des Tanzes schlechthin, das Gehen. Mit Corps de Walk gelang der mittlerweile weltbekannten und mit etlichen Auszeichnungen gekürten Sharon Eyal der internationale Durchbruch, was vor allem dem Zauber dieser Performance, dem Puls, der Spannung zwischen Masse und Abweichung, und nicht zuletzt dem Wechselspiel von Kollektiv und Individuum, Ekstase und Kontrolle, Mensch und Maschine zu verdanken ist.

Corps de Walk (Foto: Sinah Osner)

Tanz, Licht, Musik – brillantes Zusammenspiel

Aber gehen wir ins Detail. Zwölf Tänzer (sechs Frauen und sechs Männer) bestimmen das Bühnengeschehen, alle in hautengen körperfarbenen Bodies. Ihre Augen sind mit weißen Kontaktlinsen besetzt, sodass sie wie Roboter, wie seelenlose Wesen erscheinen. Die Bühne ist schlicht, ohne jegliches Accessoire, lediglich das Lichtdesign (Alon Cohen) nimmt Einfluss auf die Atmosphäre, und das, es sei vorweggenommen, in brillanter Weise.

Alles beginnt in absoluter Dunkelheit. Man hört lediglich Vogelgezwitscher und menschliches Stimmen Geraune. Die Natur scheint in Ordnung zu sein, denn die Musik ist tonal konzipiert und man vermeint Klänge aus dem bekannten englischen Volkslied Greensleeves zu hören. Dann wechselt das Geschehen. Langsam erkennt man die weiße Silhouette einer Gruppe, die sich roboterhaft bei marschähnlichem Rhythmus bewegen.

Überhaupt spielt der Walk-Rhythmus während der gesamten Performance eine dominante Rolle. Der Komponist dieser Musik, Ori Lichtig, selbst von Hause aus Schlagwerker und DJ (auch der Co-Choreograph Gai Behar kommt aus der Clubszene) hat die zunächst roboterhaften Bewegungsmuster der Tänzer kongenial musikalisch unterlegt, und mit einer Mischung von elektronischen Beats, Clubrhythmen und Herzschlag-Elementen zu einer pulsierenden fast hypnotischen Klangdichte verzahnt. Tanz und Musik sind zwar keine Einheit, dafür aber ergänzen sie sich prächtig.

Corps de Walk (Foto: Sinah Osner)

Techno – Sinfonie – Gesänge

Die Szenenwechsel werden in der Regel musikalisch wie auch durch differenzierte Lichteffekte vorbereitet. Mal ändern sich die Farben der Tänzer, Licht und Dunkel bestimmen die Atmosphäre auf der Bühne; mal werden neue Instrumente wie Trommel, Fagott, Geige, Klarinette und sogar Orgel eingeführt. Man könnte durchaus von einem sinfonischen Werk mit Exposition, Durchführung und Reprise sprechen, denn auch Paul Dukas´ Zauberlehrling und jüdische Klagegesänge sind immer mal wieder herauszuhören. Dennoch bleibt während der gesamten Performance der pochende Rhythmus bestehen, der das Corps de Walk vor sich herzutreiben scheint.


Masse und Individuum

Wunderbar dabei sind die Figuren der Tänzer, die mal abgehackt, mal rauschhaft, mal mechanisch, mal meditativ wirken. Immer wieder schert eine Person aus der Zwölfergruppe aus, ohne allerdings solistisch zu wirken. Eher erscheint dies wie eine Geste, ein Posing, ein Hinweis darauf, dass Masse aus Individuen besteht: Dass weder der Einzelne ohne Masse, noch die Masse ohne Individuen existieren kann.

Kombiniert aus Lichteffekten, Musik und Bewegung wird diese Choreographie zu einem Erlebnis auch für das Publikum. Die perfekte Gleichförmigkeit des Tanzes, aber auch die gestenhaften, Posing ähnlichen Abweichungen einzelner Tänzer, wirken im Zusammenspiel aller Elemente fast schon hypnotisch, ja man fühlt sich mitunter wie als Teilnehmer auf der Bühne: Geh ich im Gleichschritt mit dem Schwarm, oder schere ich aus und verabschiede mich aus der Masse?

Corps de Walk (Foto: Sinah Osner)

Menschsein und Technokultur

Es ist die Frage nach der „Wahrhaftigkeit“ (das meint zumindest die Choreographin Charon Eyal), die übrig bleibt. Die Frage des Menschseins in der scheinbar alles dominieren Technokultur. Gar nicht so sehr das gesellschaftspolitische ist hier gemeint, sondern vielmehr das Massenphänomen der Isolation in der Gleichförmigkeit der Bewegungen (siehe Rock-, Pop- und Techno-Events mit 10-tausenden Teilnehmern etc.), des Widerspruchs von Ekstase und Entfremdung, der Gegensätzlichkeit von Energie und Apathie.

Corps de Walk (Foto: De-Da Productions)

Zwischen Herz und Körper

Der Schluss, die quasi Reprise der Performance resümiert auf den Anfang. Die Bühne verdunkelt sich, die Bewegungen werden minimalistischer, die Musik kommt Takt für Takt zur Ruhe. Vogelgezwitscher und Wohlklang ist zu hören. Die Reise von gut einer Stunde findet ihr Ende irgendwo zwischen Herz und Körper. Tatsächlich ist Corps de Walk ein genialer Versuch, Mensch, Masse, Technik, Energie und Isolation im Zusammenspiel von Körper, Licht und Musik zusammenzuführen.

Der Vorhang fällt - das Publikum ist begeistert, fast hypnotisiert - alle Fragen offen. Unbedingt empfehlenswert!  

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