Ensemble Modern, Saisonauftakt 2025/2026 in der Alten Oper Frankfurt, 06.10.2025
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| Ensemble Modern (Foto: Website) |
Am Puls der Zeit
Großes Aufgebot des Ensemble Modern im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt.
Unter der Leitung des noch jungen Australiers Toby Thatcher (*1989) umfasste das Programm eine Uraufführung des spanischen „Hausgewächses“ Diego Ramos Rodriguez (*1989), eine Deutsche Erstaufführung der Kanadierin Zosha di Castri (*1986) sowie zwei Werke mit theatralem und cineastischem Flair vom Brasilianer und in Zürich lebenden Ricardo Eizirik (*1985) und der Irin, dem Ensemble Modern (EM) sehr verbundene, Jennifer Walshe (*1974).
Zeit – ein individuelles Ding
Aber eines nach dem anderen. Der Konzertabend hatte kein Motto, war aber doch dem Zeitgeist der permanenten Dystopien und Apokalypsen anhängig, mal mehr mal weniger.
Begonnen hat das Konzert mit Fragen an die Zeit. Die Komponistin Zosha di Castri fragte sich in diesem 11 minütigen Werk, das sie gedehnt Time « T.-I.-M.-E. (2022) nennt nach der Gestaltung der Zeit und nimmt Bezug auf die Covid-19 Pandemie und ihre Mutterschaft, die Ideengeber dieser Komposition.
Die Vermischung von Tag und Nacht, die soziale Isolation während der Lockdowns, die Erfahrung der zeitlichen Desintegration, all das macht sie, eigenen Aussagen zufolge, neugierig, wie sich das in Musik umsetzen lässt. Oder konkret: „Wie sieht es aus, wenn man etwas Schnelles spielt? Wenn man etwas Langsames spielt? Wenn man Zeit auf unterschiedliche Weise empfindet, sowohl physisch als auch akustisch, psychologisch und emotional?“
Das Stück für 13 Instrumentalisten wechselt denn auch zwischen schnellen und sehr langsamen Passagen. Viel Flageolett, Glissandi und Tremoli bilden zunächst den eigentlichen Klangkörper, der die Zeit förmlich verschwimmen lässt. Dennoch bilden Cello, Bassklarinette und später ein Glockenspiel ein melodisches und akkordisches Bett, eine fast kompakte Grundierung, die mitunter an Blue notes aus dem Jazz erinnert.
Insgesamt wird mit der Zeit gespielt, die sich mal verflüchtigt, dann wieder wie in einem Film stehen zu bleiben, sich sogar zurückzudrehen scheint. Die Komponistin liebt die Klangfülle und das macht die Eigentlichkeit des Stückes aus. Zeit ist ein ganz individuelles Ding.
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| Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Extrem abwechslungsreich
Es folgte Diego Ramos Rodriguez´ Uraufführung von Last für Ensemble (2025).
Diego Ramos Rodriguez ist tatsächlich ein Urgestein des EM. 2012 bis 2014 Student der IEMA, seit zwölf Jahren Mitglied des Isenburg Quartett (bestehend ausschließlich aus EM Mitgliedern) spielte er regelmäßig für das EM und pflegt bis heute ein freundschaftliches Verhältnis zum Ensemble.
Sein Komposition Last bedeutet zweierlei. Einmal kann es die Last des Sisyphos bedeuten, andererseits aber auch der letzte Gedanke. The last Thaught. Wie auch immer. Die Grundidee ist einfach: Es geht um Geschwindigkeit, um auseinanderdriftende und zusammenlaufende Dynamiken, schlicht, um es mit musikalischen Bezeichnungen zu beschreiben: um Accelerando und Ritardando.
Dazu verwendet er für die insgesamt 17 Instrumentalisten viel Chromatik, Triolen und rhythmische Verschiebungen, eine Menge Synkopen und blue notes aus dem Jazz. Die einzelnen Instrumente werden maximal gefordert, lediglich ein Sampler gibt ein wenig Glissando- und Impulshilfen.
Ein sehr emotionales, mitunter fieberhaftes Werk von gut 20 Minuten Dauer, aber extrem abwechslungsreich mit einigen Bezügen zu Charles Ives Jahrmarktsmusiken, aber auch zu Olivier Messiaens Vogelmusiken.
Stilistische Vielfalt – orchestraler Klang
Rodriguez hat ein feines Händchen für orchestrale Klangstrukturen und stilistische Vielfalt. Das Wechselspiel von last und Last gelingt ihm mit dieser Uraufführung unter den professionellen und vor allem hoch motivierten Händen des Ensembles sowie der exzellenten Leitung des australischen Dirigenten Toby Thatcher. Ein genialer Einstieg in sein nächstes, sein Komponisten Leben. Langer und begeisterter Beifall war ihm sicher.
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| links stehend: Diego Ramos Rodriguez, Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo) |
Transhumanismus – eine Büttenrede
Der zweite Teil des Konzertabends beschäftigte sich mit Film- und Musiktheater. Zunächst bot Ricardo Eizirik seinen Moloch Machine, 1927 (2016).
Dieses knapp 14 minütige Werk rekurriert auf den Kultfilm Metropolis der 1920er Jahre von Fritz Lang und der Musik von Gottfried Huppertz. Bekanntlich wird im Film die Maschine zum Moloch, der alles Lebendige frisst und im wahrsten Sinne droht, die Menschheit zu verschlingen.
Ricardo Eizirik allerdings interessiert weniger der Film an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass der heutige Mensch der smarten Diktatur der Technik bereits verfallen ist und er droht, dem Transhumanismus, beispielsweise eines Yuval Harari oder Ray Kurzweil, zu verfallen.
Seine Musik der alles verschlingende Maschine besteht allerdings eher aus Alltagsgegenständen im Sinne eines Pierre Schaeffer (hier ein Fahrrad, dessen laufendes Hinterrad die Speichen klappern lässt). Ansonsten charakterisiert sie mehr Sirren, Surren und Blasen als konkrete Töne.
Unterteilt in Projection room und Machine ähnelt der Anfang eher einer zurückhaltende Filmmusik zu einem Science Fiction, und Machine, das die Herzmaschine aus Metropolis nachahmen soll, wie ein misslungenes Geklapper mit Stehaufmännchen (die Spieler müssen sich mal klein, mal groß machen), wobei das Zusammenspiel durch ungenaues Dirigat (?), oder auch durch die entsprechende Partitur (?) ziemlich litt.
Ein Durcheinander, das die Absicht vermitteln sollte, nun sei der Mensch endgültig Maschine und die Maschine endgültig zum Menschen geworden. Trans-human halt eben. Leider war man mitunter in eine Büttenrede mit Zwischenfanfare versetzt. So kam es zumindest vor. Eine Musik, die wenig begeistern, erst recht nicht den Titel Moloch Machine, 1927, vermitteln konnte.
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| Toby Thatcher, Ensemble Modern (Foto: Wonge Bergmann) |
Töne vom Mars?
Abschließend der Höhepunkt des Konzertabends (so im Programm vermerkt) mit Jennifer Walshes Marsmusik. Oder wie der Titel lautet: Some Notes on Martians Sonic Aesthetics, 2024-51 (2023), ein genau 21,11 Minuten dauerndes Werk für 17 Instrumentalisten, exakt die Zeit, die es braucht, um vom Mars eine Nachricht auf die Erde zu schicken (heißt es zumindest).
Bruitistisch – lärmend – ohrenbetäubend
Die Irin Jennifer Walshe ist seit vielen Jahren im Rhein Main Gebiet bekannt und hat schon viele ihrer Kompositionen, auch unter der Ägide des EM, mit Erfolg aufgeführt. In dieser Komposition, ein Teil ihrer im April 2025 in Dublin uraufgeführten Oper Mars, geht es ihr einerseits um die Frage, wie sich Musik auf dem Planeten Mars anhören könnte, und andererseits darum, dass das Nachdenken darüber auch ein Nachdenken über die gegenwärtige Zeit auf unserem Planeten sein könnte, sein sollte.
Das 21,11-minütige Werk, verbunden mit Video und Texteinblendungen – übrigens 2023 uraufgeführt vom EM auf dem Essener NOW!- Festival – möchte die Dramatik aufzeigen, wie es der Menschheit ginge, wenn die Erde verbrannt und ein Rest auf dem Mars sein Überleben gefunden hätte. Dazu hat sie sich Informationen beim ISS geholt und dem Mars-Steckenpferd von Elon Musk einen pointieren Beitrag geliefert. Sie selbst behauptet allerdings, er hätte sich das von ihr abgeschaut.
Der dokumentarische Aufbau des Stücks zeigt zunächst Marsbilder und stellt im Science Fiction Stil die Mars Besiedelung vor. Viel Text folgt und das Lärmen der Instrumente nimmt seinen Lauf. Wo ist die wunderbare Filmmusik von „Odyssee 2001“ mit Ligeti, Richard Strauss und Johann Strauß oder von Star Wars mit John Williams?
Nein, diese Musik ist ohne Vergleich. Sie möchte die Klänge in einem lebens- und klangfeindlichen Umfeld wie der Mars es bietet (Stichwort: 1,2 Prozent atmosphärische Dichte im Vergleich zur Erde) ausloten. Sie ist bruitistisch, lärmend, ohrenbetäubend (die Spieler tragen Ohrenschützer) und abstoßend
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| Toby Thatcher, Ensemble Modern (Foto: Wonge Bergmann) |
Auch wenn zwischendurch minimalistische Elemente einzelner Instrumente zu hören sind, oder schwarze Luftballons den Bogen des Kontrabasses zu führen scheinen, auch wenn gegen Ende das Tor zur Unterwelt des Mars wie der Eingang zum Himmel erscheint und die blaue Erde in einem biblischen Orkan in den Orbit entschwindet, alles ist dystopisch, apokalyptisch, kataklystisch, ohne Zuversicht und Hoffnung.
Bald nervt es nur noch, und, ob gewollt oder nicht, man war froh, als die Dreiklänge von ungeheurer Brutalität und Lautstärke endlich ihr Ende fanden. Kein großer Abschluss, sondern eher ein undifferenziertes Geheul vom roten Planeten.
Dennoch ein großes Lob wieder einmal an das Ensemble Modern, seinem musikalischem Leiter, Toby Thatcher, und an den noch jungen Komponisten Diego Ramos Rodriguez, der eine große Zukunft vor sich hat.



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