Die tote Stadt, Oper in drei Bildern von Erich Wolfgang Korngold, Staatstheater Mainz, 18.10.2025, Premiere und Mainzer Erstaufführung
| Nadja Stefanoff, Corby Welch (Foto: Andrea Etter) |
Mehrere Premieren
Eine Premiere nach Maß sollte es werden. Ein vollbesetztes großes Haus des Mainzer Staatstheaters voller Erwartung, denn Gabriel Venzago, der neue GMD der Mainzer Oper, stellte sich mit dieser Premiere erstmals seinem Publikum vor, und die Regie unter Angela Denoke (sie selbst in früherer Zeit eine gefeierte Marie/Marietta) wusste sich erstmals überhaupt mit dieser Oper in Mainz konfrontiert.
Die tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957), feierte bereits bei ihrer Uraufführung am 12.Dezember 1920, gleichzeitig in Hamburg und Köln, einen unbeschreiblichen Erfolg. Es heißt, sie sei „mit unvorstellbarem Jubel“ aufgenommen worden. Selbst so berühmte Komponisten wie Richard Strauss, oder auch Giacomo Puccini zollten der Oper größtes Lob und kürten den erst 23-jährigen Komponisten zur „größten Hoffnung“ der deutschen Musikszene.
Selten aufgeführt, weil unzeitgemäß
Ende der 1920er Jahre geriet Die tote Stadt weitgehend in Vergessenheit, was nicht allein an der jüdischen Herkunft Korngolds lag, sondern vor allem auch an seinem traditionellen Musikstil sowie der Handlung, die nicht mehr in die neue Zeit zu passen schien (Modernität und nicht Rückblick auf Vergangenes waren angesagt).
Erst in den letzten Jahren steht sie wieder auf den Programmen der großen Theater. Letztmals beispielsweise wurde sie Frankfurt im Jahre 2015 unter der Regie von Anselm Weber aufgeführt, mit Erfolg zwar, aber ohne den großen Enthusiasmus der 1920er Jahre.
| v. l.: Karina Repova, Nadja Stefanoff, Corby Welch Foto: Andrea Etter |
Jubel wie vor hundert Jahren
Die Opernpremiere am gestrigen Abend schien allerdings die 1920er Jahre zurückgeholt zu haben. Es sei vorweggenommen: Diese Premiere endete mit einem Jubelgeschrei größten Ausmaßes, mit mehr als zehn Vorhängen (noch nie erlebt in meiner Zeit als Musikkritiker), und nicht enden wollenden Bravo Rufen aus dem vollbesetzten Saal.
Ein Komponist der Stilvielfalt
Aber gehen wir ins Detail:
Bekanntlich zählte Erich Wolfgang Korngold zu den Wunderkindern seiner Zeit, und ein Vergleich mit Mozart war üblich und durchaus angebracht. Er lernte sein Handwerk bei Alexander von Zemlinsky (1871-1942) und konnte bereits als 19-jähriger Teenager mit seinen ersten großen Opern Violanta und Der Ring des Polykrates mit Erfolg aufwarten.
Allerdings zog es ihn früh schon in die leichte Operettenszene, und es dauerte nicht lange, da verlor er sich in die Filmmusik. Kein Geringerer als Max Reinhardt (1873-1943) überredete ihn, nach Hollywood zu wechseln, wo er einer der bekanntesten Filmmusiker wurde. Wie heißt es doch: Mit ihm begann in Hollywood die Filmmusik.
| v. l.: Lennart Simon, Brett Carter als Pierrot, Nadja Stefanoff, Corby Welch Foto: Andrea Etter |
Kaleidoskop der Wiener Musikwelt
Warum all das? Korngold hat bereits in seiner Musik zur Die Tote Stadt all das verarbeitet, was er in späterer Zeit verfeinerte: Die Sinfonik und Raffinesse eines Richard Strauss, die Collagen und folkloristischen Anklänge eines Gustav Mahlers, die kontrapunktische Würze eines Alban Berg, die farbenreiche Orchestrierung und Leitmotivik eines Richard Wagner und nicht zuletzt den Wiener Schmäh in seiner ganzen Bandbreite, aus einer Mischung von Leben, Liebe und Leiden.
Kurz: sie besteht aus einem Kaleidoskop der damaligen Wiener Musikwelt. Und das in bester Manier. Hier erzielte das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter den höchst engagierten Händen ihres GMD, Gabriel Venzago, wirklich Bestnoten.
Trauer in Permanenz
Das Thema gehört eigentlich in die tiefenpsychologische Kiste. Denn der Hauptdarsteller Paul (authentisch gesungen und gespielt vom US-amerikanischen Helden Tenor Corby Welch) trauert um seine früh verstorbene Maria. Eine Trauer von tiefer Melancholie und religiösem Wahn.
Er zieht sich in die belgische Stadt Brügge (wegen ihres düsteren Charakters, so der Komponist persönlich) zurück, baut sich dort eine eigene Welt des Traumes, er nennt es „Kirche des Gewesenen“, geschmückt mit dem Haar und dem Bildnis Mariens, und pflegt die Erinnerung an seine über alles Geliebte.
Eine Trauer in Permanenz und ohne Zukunft wie es scheint, die allerdings durch seinen Freund Frank (Brett Carter, Bariton) unterbrochen wird, der ihm von einer Frau erzählt, die dem Ebenbild der Verblichenen bis aufs Haar gleiche.
| Chor mit Collin André (Victorine) und Nadja Stefanoff Foto: Andreas Etter |
Realität vs. Wahnvorstellung
Die Bühne (Timo Dentler und Okarina Peter) besteht aus schrägen, baufälligen Hütten, eine expressionistische Karikatur der wunderschönen Stadt Brügge, aber durchaus dem Wahn des Protagonisten entsprechend, der so seine zerbrochene Welt des Diesseits wahrnimmt. Realität und Wahn gehen hier eigene Wege.
Die Atmosphäre ist überwiegend dunkel und von Nebel umhüllt (Licht: Frederik Wollek). Die Drehbühne zeigt mal Silhouetten einer Stadt, dann wieder seinen Tempel der Erinnerung. Begleitet wird er von seiner Haushälterin Brigitta (Karina Repova, Mezzosopran), die selbst, voller Reinheit und Unschuld, das Leben einer Nonne bevorzugt und Paul in seinen Wahnträumen begleitet.
Zwischenspiel mit schwarzem Humor
Wie gesagt, Frank stellt ihm Marietta (Nadja Stefanoff, Sopran) vor, die tatsächlich Maria bis aufs Haar gleicht. Sofort nimmt sie Raum in der Seele von Paul ein, allerdings nur in dem Sinne, dass er sie lediglich als Abbild seiner Verstorbenen betrachtet. Marietta wiederum liebt das Leben. Sie kommt aus der Tanzszene, ist Teil einer Gruppe aus der Commedia dell´arte (sechs Sängerinnen und Sänger) die das Volk belustigen (Choreographie: Fabio Toraldo, Kostüme: Timo Dentler und Okarina Peter).
Die szenische Nachstellung aus Giacomo Meyerbeers Robert der Teufel, hier die ominöse Auferstehungsszene der Hélèna (die letzte Herausforderung Pauls), sowie ein Walzer wie aus Richard Strauss´ Rosenkavalier: Ein gelungenes und belustigendes Zwischenspiel à la Six, mit tief schwarzem Humor.
Liebe ganz oder gar nicht
Sie verliebt sich tatsächlich in Paul, kann aber die Psychose ihre Gegenübers nicht begreifen. Sich gegen seine Objektivierung ihrer Person wehrend, umgarnt sie Paul und bringt ihn soweit, sich auf sie einzulassen. Ihren bedingungslosen Liebeswunsch kann er aber nur mit wachsender Ablehnung beantworten.
Schlussendlich tötet er sie mit dem glanzlosen Haar seiner geliebten Maria und stirbt letztendlich durch den Schal, mit dem ihn seine Haushälterin Brigitta erwürgt.
| Commedia Dell 'arte-Truppe mit Nadja Stefanoff (Mitte) Foto: Andreas Etter |
Mord als Traumgebilde
Also kein lieto fine, dafür aber ein weitgehend logischer Schluss, denn alles ist Traum, nichts ist Realität und doch verharrt man in einer Zwischenwelt. So ersticht bzw. massakriert er mehrere Male die Personen, die ihn ins wirkliche Leben geleiten wollen, darunter auch seinen Freund Frank, der ihn warnt und reizt, indem er eine Liaison mit Marietta vorgaukelt.
Paul hat keine Wahl: Entweder er entscheidet sich zum wirklichen Leben, oder er kommt in seinem Wahn um. Ob er schließlich von seinem Traum erwacht, sei dahingestellt. Möglicherweise ist auch der Mord an ihm ein Traumgebilde.
Wirre Zeiten – Psycho Zeiten
Hier sei zunächst der Komponist angesprochen: Ihn faszinierte die beiden Hauptgestalten mit ihren fesselnden Konflikten, der Kampf der Lebenden mit der Toten. Die Trauer um die Tote und das Recht und der Wille der Lebenden. Der Verlust des Interesses an der realen Welt, in der für das Leben kein Platz mehr ist gegenüber der Erotik einer Frau, die das Leben verkörpert.
Das Libretto bezieht sich bekanntermaßen auf den symbolistischer Roman Bruges-la-Morte zu deutsch: Das tote Brügge (1892) von Georges Rodenbach (1855-1898), dem das Theaterstück Das Trugbild folgte. Nach langem Hin und Her verfasste der Vater Korngolds, Julius Korngold, ein geschätzter und gefürchteter Kritiker seiner Zeit, das Libretto unter dem Pseudonym Paul Schott.
Das Genre war zu Zeiten des Aufkommens der Traumdeutung und Massenpsychologie durchaus publikumswirksam und passte bestens in die Nachkriegswirren.
Subjektives Empfinden
Das Regieteam um Angela Denoke wiederum hat sich zwischen Realismus und Wahn entschieden und überlässt es eigenen Aussagen zufolge dem subjektiven Empfinden des einzelnen Zuschauers.
Tatsächlich könnte man durchaus an bekannte Ehedramen der Weltliteratur und Filmwelt denken wie an Tolstois Anna Karenina, Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Strindbergs Totentanz, oder an Ibsens Nora wie auch Ein Puppenheim. Zusätzlich steckt in diesem Psychodrama noch viel Hitchcock und Edgar Allen Poe.
| Schlussszene: v. l.: Brett Carter, Corby Welch, Karina Repova, Nadja Stefanoff Foto: Andreas Etter |
Mainzer "Uraufführung"
Alles in allem wurde ein zweieinhalbstündiges emotionales Aufbegehren von ungeheurer Dichte, brillanter Dramatik geboten, mit sehr guten Sängern (herausragend die beiden Protagonisten Corby Welch und Nadja Stefanoff, die stimmlich wie schauspielerisch begeisterten), einem wunderbaren Chor des Staatstheaters Mainz, unter der Leitung von Sebastian Hernandez-Laverny (hervorzuheben hier der Auftritt im Fronleichnamszug), und last but not least, einem Philharmonischen Staatsorchester Mainz, dass sich mit dieser Interpretation der Korngold Musik unter den Händen von Gabriel Venzago über die Grenzen der Stadt hinaus größte Reputation erworben hat. Eine wirklich beeindruckende Premierenvorstellung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen