Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Leitung: Thomas Guggeis, Solistin: Julia Hagen (Violoncello), Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 20.10.2025 (Veranstalter: Frankfurt Museumsgesellschaft e.V., 2. Sinfoniekonzert der Saison 2025/26)
| Frankfurter Opern- und Museumsorchester (Foto: Website) |
Neue Höhen erklimmen
Ein Programm, das es in sich hatte. Hörte man doch unerhörtes wie sattsam bekanntes und das in herausragender musikalischer Interpretation. Denn das Frankfurter Opern- und Museumsorchester scheint unter den Händen ihres kongenialen GMD, Thomas Guggeis, immer neue Höhen der musikalischen Perfektion zu erklimmen.
Leider hätte das Konzert mehr Publikum verdient gehabt, was aber auch am Schmuddelwetter draußen gelegen haben mag.
Wer ist Mel Bonis?
Das Programm ließ zunächst die Frage aufwerfen, wer ist Mel Bonis? Von dieser weitgehend unbekannten französischen Komponistin sollte das Orchesterwerk Trois Femmes de Legende, entstanden zwischen den Jahren 1897-1913, zu hören sein.
Dazu zuerst einmal einige wichtige Hinweise. Mélanie Hélène Bonis (1858-1937), so ihr vollständiger Name, führte im eigentlichen Sinne das Leben einer Frau im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ihre Aufgabe war es, knapp zusammengefasst: Kinder zu bekommen, die Familie zu pflegen und ihrem Mann zu dienen.
Mel Bonis (den Vornamen gab sie sich später, weil er männlich klingt und ihr in einer Männer dominieren Welt mehr Erfolg versprach) gehörte auch dazu. Schon früh erkannte man ihre musikalische Begabung, förderte sie sogar (sie durfte gemeinsam mit Claude Debussy und Ernest Chausson am Conservatoire de Paris Klavier und Komposition studieren), wurde aber von ihren Eltern frühzeitig in eine Ehe mit einem viel älteren reichen Fabrikanten gezwungen und musste ihre Karriere aufgeben.
Dennoch hatte sie, trotz ihrer acht zu betreuenden Kinder (darunter fünf von ihrem verwitweten Gatten), Zeit zu komponieren. So hinterließ sie mehr als 300 Werke, alle im kammermusikalischen Bereich (sie wurden sogar von keinem Geringeren als Camille Saint-Saëns hochgelobt), konnte aber durch ihre Stellung als Frau und trotz ihrer „Namensänderung" kaum in der Öffentlichkeit reüssieren.
| Thomas Guggeis (Foto: Simon Pauly) |
Stil des Fin de Siècle
Höhepunkt ihres Schaffens ist zweifelsohne ihr orchestrales Triptychon, das unter dem Namen „Drei legendäre Frauen“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichen konnte. Eine Komposition bestehend aus op.165 Nr. 2 „Ophélie“, aus op. 100 Nr. 2 „Salome“ und aus op.18 Nr.2 „Cléopâtra“. Ein gut 15 minütiger Zyklus, der Heldinnen aus Literatur und Geschichte musikalisch verewigt (es gibt sie noch in den Gestalten von Mélisande und Desdemona).
Was soll man sagen. Drei, kaum fünf Minuten dauernde Piecen (Cléopâtra dauert etwas länger) im typisch impressionistischen Stil des Fin de Siècle. Vieles erinnert an Debussys La Mer oder an Paul Dukas´ Ballett La Péri.
Ja, weich und graziös wirkt ihr Musik, an vielen Stellen fein ziseliert bis zum völligen Verschwimmen der Strukturen. Auffallend schön und ein wenig lebendiger mit perkussiver Verstärkung dann doch die Salome. Mehr aber auch nicht.
Eine wirklich gute Interpretation vom Frankfurt Opern- und Museumsorchester Orchester war es dennoch. Aber ob Mel Bonis eine Entdeckung des 21. Jahrhunderts sein soll, ist zumindest aus der Sicht des Kritikers fraglich.
| Julia Hagen (Foto: Simon Pauly) |
„Das Größte überhaupt“
Höhepunkt des Abends sollte das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 a-Moll op.33 (1872) von Camille Saint-Saëns (1835-1921) sein.
Die noch junge Österreicherin Julia Hagen (*1995) wagte sich an dieses hoch virtuose Werk, dass bereits Größen wie Mstislaw Rostropowitsch oder auch Yo-Yo Ma zu Weltruhm gebracht haben. Auch Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch und Sergej Rachmaninow hielten dieses Cellokonzert „als das Größte überhaupt“.
Klar, gesanglich, leichtgängig
Seine Besonderheit ist es, dass es zwar dreiteilig, aber en bloc in einer typischen Sonatenform mit Exposition, Durchführung (ein ausgedehntes Menuett) und Reprise durchgespielt wird. Ein einziger Satz mit klar unterscheidbaren Abschnitten, eine Idee, die bereits Franz Liszt sattsam praktizierte.
Julia Hagen, in wallendem Türkis und schwarzem Topp, stieg sofort in die Turbulenz der Eröffnung ein. Ihr Strich ist klar, weniger kraftvoll, dafür aber sehr gesanglich und leichtgängig. Herausragend ihr Zwiegespräch im Menuett Teil mit den hellen Streichern (ohne Celli und Kontrabässen) und der angedeuteten Cello-Kadenz.
Weniger überzeugend allerdings die Tutti Stellen, in denen sie, kaum hörbar, im Klang des Orchesters regelrecht verschwand. Julia Hagens Interpretation, es ist ihr Debüt in Frankfurt, war gekonnt, es fehlte allerdings die Fülle und Kraft, die das Werk abverlangt.
Nicht von ungefähr glänzte sie in der Zugabe mit der Sarabande aus der Cellosuite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 von Johann Sebastian Bach: Warm, zart und schlicht mit rezitativartigem Grundton, einfach nur schön. Der Beifall war freundlich, nicht überschwänglich.
| Julia Hagen, Thomas Guggeis, Frankfurter Opern- und Museumsorchester Foto: H.boscaiolo |
Familiensaga mit Witz
Den zweiten Teil des Abends füllte die Musik eines Richard Strauss (1864-1949) aus seinen besten Jahren. Es ist seine Symphonia domestica für großes Orchester op.53 (1902/1904), eine Sinfonische Dichtung, oder besser: eine Familiensaga, die sich gewaschen hat.
Strauss schrieb sie als Reaktion auf seine spezielle Ehe mit der berühmt berüchtigten Pauline de Ahna, einer Sopranistin und Primadonna in personam, die angeblich dominant, das Sagen in der Familie habe und den berühmten Richard unter dem Pantoffel hielt.
Kurz: Mit dieser Komposition wollte er seinen Kritikern Paroli bieten und das machte er mit einer Musik der Extraklasse.
| stehend: Thomas Guggeis, Frankfurter Opern- und Museumsorchester Foto: H.boscaiolo |
Film ab!
Aufgeteilt hat er diese Erzählung (Kritiker wie Romain Rolland fanden sie einfach lächerlich) in vier Abschnitte, in ein Familienidyll mit den Satzbezeichnungen, Allegro, Scherzo, Adagio, Finale, gemeint aber: Mann, Frau, Sohn (Franz), und schob dazwischen Vortragstitel wie „gemächlich“ und „träumerisch“, „mürrisch“ und „lustig“ für den Mann (er selbst), „sehr lebhaft“, „grazioso“, „gefühlvoll“ und „zornig“ für die Frau (Pauline selbstverständlich) sowie „lieblich“, „sanftmütig“, „nervig“ für das Kind (Franz). Nebenbei bemerkt gilt ihm die Oboe D´amore.
Natürlich dürfen Onkel- und Tanten Besuche, ein Wiegenlied für den Sohnemann, Streitereien der Eheleute und die abschließenden wilde Umarmung nicht fehlen.
Eulenspiegeleien – Augenzwinkern - Triumphgeschrei
Die Komposition, die Strauss bewusst Meiner lieben Frau und unserem Jungen widmet, beschreibt ein Kaleidoskop des Familienlebens einer Künstlerehe, die vielleicht einzigartig, aber für das Fin de Siècle in bayerischen Landen nicht ungewöhnlich ist.
Jedenfalls strotzt die sie vor Kraft (fast 100 Instrumentalisten besetzten die Bühne der Alten Oper, darunter acht Hörner, vier Perkussionisten, vier Trompeten, drei Posaunen plus Tuba, fünf Fagotte und fünf Klarinetten, vier Oboen plus Oboe D´amore, sowie 60 Streicher!), durch filmreifen Einfallsreichtum, polyphone Raffinesse, vor allem in der Doppelfuge vor dem Schlussteil, und last but not least durch rhythmische Vertracktheiten und einer Menge Eulenspiegeleien.
Auch die Alpensinfonie lässt sich bereits erahnen: Rauf auf den Berg und den Gipfel-Triumph feiern. So auch im Finale: Stürmische Umarmung mit Jagdgeheul, Paukenspiel und Trompetengeschmetter. Man wird förmlich erdrückt von der familiären Herzlichkeit (mit Augenzwinkern) und keiner der Kritiker wird jemals mehr auf den Gedanken kommen können, die Familie Strauss werde von der Diva Pauline dominiert.
| Thomas Guggeis, Opern- und Museumsorchester Foto: H.boscaiolo |
Strauss – „ebenso interessant wie Napoleon und Alexander“
Alles in Butter. Begeisterungsstürme im Großen Saal, zu recht. Thomas Guggeis scheint die Beliebtheit gerade dieses ganz persönlichen Familiendramas (Strauss antwortete auf die Kritik Rollands: „Ich sehe nicht ein warum ich keine Sinfonie auf mich selbst machen sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon und Alexander.“) fortsetzen zu wollen .
Bekanntlich ist gerade diese filmreife „Hausdichtung“ schon in frühen Jahren in Frankfurt beliebtes Aufführungsstück des Museumsorchesters gewesen (wie überhaupt Richard Strauss quasi zu den Hauskomponisten Frankfurts zählte).
Hier erfuhr es auch am 01. Juni 1904 seine Europäische Erstaufführung unter Siegmund von Hausegger. Uraufgeführt wurde es allerdings im März 1904 in der New Yorker Carnegie Hall vom Wetzler Symphony Orchestra.
Ein wirklich hinreißender Konzertabend mit allen Fassetten der neueren Musikgeschichte.
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