Donnerstag, 27. November 2025

Ensemble Modern & IEMA-Ensemble, musikalische Leitung: Sylvain Cambreling, Alte Oper Frankfurt, 26.11.2025 (3. Abonnementkonzert 2025/26)

Ensemble Modern (Foto: Ensemble Modern, Archiv)

Zum 90. Geburtstag

Heute, am 27.11., feiert Helmut Lachenmann seinen 90. Geburtstag. Zu diesem feierlichen Anlass fand am gestrigen Abend ein großes Konzert in der Alten Oper Frankfurt statt, zu dem natürlich auch alles mit Rang und Namen erschien. Ebenso der Komponist höchstpersönlich. Ihn verbindet mit dem Ensemble Modern seit den 1980er Jahren eine tiefe Freundschaft und es versteht sich von selbst, dass es viele seiner Werke und Kompositionen zur Uraufführung brachte. 

Dazu gehört auch Concertini für großes Ensemble, das am 25. August 2005 auf dem Lucerne Festival in übertragenem Sinne das Licht der Welt erblickte. Aber dazu später.


Unsuk Chin (Foto: Klaus Rudolph)

Licht und Farbenpracht – Abbild meiner Träume

Eingeleitet wurde der Konzertabend mit Unsuk Chins (*1961) Graffiti für 27 Instrumentalisten (2012/13). Die aus Südkorea stammende Unsuk Chin (ebenfalls persönlich anwesend) ist in Frankfurt keine Unbekannte, gehört sie doch seit den 1990er Jahren zu den erfolgreichsten Komponistinnen in der Neuen Musik Szene und ihre Kompositionen zum Programminhalt diverser konventioneller Orchester weltweit. So beispielsweise auch des hr-Sinfonieorchesters, das aktuell Alaraph (Ritus des Herzschlags) als Deutsche Erstaufführung in sein Programm aufgenommen hat.

Graffiti für Ensemble verlangt ein riesiges Arsenal an perkussiven Instrumenten (drei Perkussionisten an Xylophonen, Marimba, Bell Plates, Zimbeln, Brake Drums, diversen Klangstäben und vieles mehr), aber auch Kontrafagott, Bassklarinette, Bassflöte, Tuba und nicht zuletzt präpariertes Klavier gehören dazu.

Ihre Musik beschreibt sie selbst am besten: „ist die Abbildung meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke …“ (O-Ton Unsuk Chin) Der Titel des Stücks ist eher ein Stimulus als eine Auseinandersetzung der Street-Art, die heute kaum noch eine Rolle spielt. Eine Art Katalysator, eine Inspiration zwischen Primitivität, Frechheit und Gleichgültigkeit gegenüber der Kunst schlechthin, die sie fasziniert.

Sylvain Cambreling, Unsuk Chin (vorne sich umarmend),
Ensemble Modern & IEMA 24/25

Foto: H.boscaiolo

Spektralmusik – polystilistisch, arabesk, scherzando

Unsuk Chins Einflüsse basieren auf der französischen Spektralmusik eines Tristan Murail oder Gérard Grisey sowie der postseriellen Gedankenwelt eines György Ligeti, dem sie, eigenen Aussagen zufolge, viel zu verdanken habe, aber auch eines Pierre Boulez, mit dem sie lange zusammengearbeitet hat. Ihre Musik folgt den urbanen Spuren, extrem kontrastreich, visuell und spontan, aber gleichzeitig auch klar strukturiert und äußerst farbenreich. Sie hat das gut 20-minütige Werk in drei Teile gegliedert: Palimpsest, worunter sie Vielschichtigkeit und Polydimensionalität beziehungsweise Polystilistik versteht, musikalisch ein unruhiger, pulsierender von starken Wallungen und Stößen getragener Abschnitt.

Dann folgt eine Arabeske, eine Art Nocturne, ein Kontrast zu vorherigen Hyperaktivität der Instrumentalisten. Hier changiert sie zwischen tänzerischer Leichtigkeit und chorischer Strenge. Alle spielen mit Dämpfer, einschließlich der Tuba. Die Perkussionisten rühren auf den Trommeln und erzeugen über die Klangrohre und diversen Becken himmlische Töne. Ergänzend dazu die Streicher Flageoletts, was hier den Ruhepuls des Herzens, die Wunschbilder des Traumes widerscheinen lässt.

Der dritte und letzte Abschnitt, eine Passacaglia, man könnte auch an eine Scherzo denken, ist durch hochkomplexe Rhythmik gekennzeichnet. Ein langandauernder Orgelpunkt der Streicher wird permanent durch Cluster der Blechbläser, der Tasteninstrumente und der Perkussionisten aufgebrochen. Acht Akkorde sind es, die immer wieder unter neuen Zusammensetzungen aufblitzen und in Permanenz wieder zusammenfallen. Ein dialektischer Streit im tänzerischen Sechsachtel Takt findet seine Synthese in fließenden Mikro-Arpeggien der Streicher und den jetzt verzweifelten Glissandi der Blechbläser, gepaart mit der strengen Rhythmik der Perkussionisten auf Xylophon und Marimbaphon.


Sylvain Cambreling, Unsuk Chin (vorne stehend),
Ensemble Modern & IEMA 24/25

Foto: H.boscaiolo

Meisterhafte Interpretation

Ein von Virtuosität, Transparenz, komplexer Rhythmik und ausgesprochener Dichte geprägtes Werk, das das Ensemble Modern, gemeinsam mit der IEMA 2024/25 unter der umsichtigen Leitung von Sylvain Cambreling meisterhaft interpretierte. Große Begeisterung allenthalben.


Helmut Lachenmann (Foto: Ensemble Modern, Archiv)

Musique concrète instrumental infrage gestellt

Der zweite Teil des Konzertabends sollte von Helmut Lachenmanns Concertini (2005) gestaltet werden. Auch hier kamen wieder mehr als 30 Instrumentalisten, allerdings verteilt im vollbesetzten Mozart Saal, auf die „Bühne“.

Wer Lachenmann kennt, weiß, dass die Bezeichnung „Concertini“ weit entfernt ist, vom klassischen Concerto grosso des Barock oder gar dem Konzert der Klassik und Romantik, denn mitnichten werden hier ein Solist oder mehrere Solisten mit einem Orchester in einen musikalischen Wettstreit treten. Lachenmann weiß das und betont gleichzeitig, dass er damit eine persönliche Wandlung beabsichtigt.

Sein bekanntes und erfolgreiches Modell der musique concrète instrumentale infrage stellend, erweitert er dieses Werk von einer dreiviertel Stunde Dauer (man ist an die monumentalen Sinfonien von Mahler, Strauss und Wagner erinnert), auf das Prinzip des Vertrauten, im weitesten Sinne Konsonanten … „: nicht weniger als Geräuschhaftes bezieht es Rhythmisches, Gestisches, gar Melodisches, Intervallisches, Harmonisches ein, in der Absicht, alles Klingende und klingend Bewegte in so verändertem Kontext ständig neu auszuleuchten.“ (Helmut Lachenmann)


Sylvain Cambreling, Helmut Lachenmann (beide vorne stehend),
Ensemble Modern & IEMA 24/25

Foto: Wonge Bergmann

Metamorphose

Tatsächlich scheint Helmut Lachenmann eine Metamorphose durchgemacht zu haben. Zwar sind noch Reste seiner musique concrète instrumentale hörbar, aber dominiert wird dieses „Konzert“ doch von teilweise herausragender Klanglichkeit, dabei besonders hervorzuheben die Raum-Klanglichkeit, von melodischer, ja mitunter harmonischer Vielfalt und tatsächlicher konzertanter Dialoge zwischen beispielsweise Tutti und Gitarre, Harfe, Tuba oder auch Klavier.

Virtuose Soloeinlagen von großer Klangpracht, wobei die vier Perkussionisten, vor allem zu nennen David Haller und Ling Zhang, dem Klanggewebe eine klare Konsistenz verschafften und der mitunter schwer vermittelbaren, sehr punktuellen Struktur, eine richtungsweisende Transparenz verliehen. Auch der Dirigent, Sylvain Cambreling, hatte mitunter seine Schwierigkeit, der Partitur vorausschauend zu folgen.


Sylvain Cambreling, Helmut Lachenmann (beide vorne stehend),
Ensemble Modern & IEMA 24/25

Foto: Wonge Bergmann

Torheit in der Musik – Wandel zum Wissenden

Ein sehr anstrengend zu hörendes Werk, allerdings mit einigen klanglichen und virtuos melodischen Höhepunkten, eingebauten Bluenotes auf der Harfe, dodekaphonen Intervallen des Klaviers, geschickt eingebauten elektronischen Verstärkungen und einer Klangdichte und Fülle, die durchaus vergleichbar ist mit einem Orchester von gut einhundert Musikern. Ein neuer Lachenmann? Einer, der die Emanzipation des Geräuschhaften der musique concrète zugunsten der Harmonie, der Tonalität, der Melodie verlässt? Ist hier eine Brücke zu schlagen mit seiner Aussage: „Torheit schützt vor Altern nicht.“ (?)

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der Tor kann Vieles bedeuten. Bei Wagners Parsifal beispielsweise ist es der durch Mitleid wissende reine Tor. Die Metamorphose vom reinen, unschuldigen Tor zum wissenden Erlöser.


Sinn für Schönheit neu gefasst

Helmut Lachenmann ein moderner Parsifal? Wie auch immer er diesen Satz selbst versteht, kommentiert hat er ihn wohl nicht, so ist der Tor keineswegs dumm und unwissend, sondern eher rein in seiner Wahrnehmung, die Welt der Musik, des Tons, des Klangs zu erfassen, und das gilt mit Fug und recht auch für ihn. Er hat die Musik des 21. Jahrhunderts mit klarem, unverbrauchten, kritischen Blick geprägt und seinen Sinn für Ästhetik und Schönheit auf eine neue Stufe der Wahrnehmung gehoben.

In diesem Sinne einen ehrlich gemeinten und von großer Achtung getragener Geburtswunsch an ihn.


Helmut Lachenmann, Ensemble Modern & IEMA 24/25
Foto: H.boscaiolo

Heiter in die Zukunft schauen

Die Zugabe, sein Marche fatale (2018) für großes Orchester, geschrieben zum Anlass des 425 jährigen Bestehens des Staatsorchesters Stuttgart, zeigte vor allem die heitere Seite von Helmut Lachenmann. Ein lustvolles Wandern durch die Musikgeschichte der Umzüge, Volksfeste, Salons und Caféhäuser, möglicherweise ein Radetzky Marsch des 21. Jahrhunderts. Spaß hatten alle und die Stimmung brodelte vor Freude und Zuversicht. Und das in diesen Zeiten?!?!


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