Julius Asal, Klavierrezital, Alte Oper Frankfurt, 15.11.2025
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| Julius Asal (Foto: Michael Reinicke) |
Musikalisches Erlebnis der besonderen Art
Ein Unbekannter ist Julius Asal (*1997) in Frankfurt überhaupt nicht, studierte er doch als Jungstudent bei Prof. Oliver Kern an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in Frankfurt, und zwischen 2021 und 2024, unter der Obhut von András Schiff, an der Kronberg Academy.
Sein solistischer Auftritt in der Alten Oper Frankfurt (übrigens parallel mit Sir Simon Rattle und den Münchner Symphonikern des Bayrischen Rundfunks im großen Saal) war gleichzeitig sein Debüt im Haus und eine echte Alternative der Klangkunst, wenn der Vergleich erlaubt ist. Ein musikalisches Erlebnis der besonderen Art war es allemal.
Kongeniales Zusammenfügen der Kontraste
Sein Programm zwischen Béla Bartók (1881-1945), Johannes Brahms (1833-1897) und Sergej Rachmaninow (1873-1943) konnte kontrastreicher kaum sein, und dennoch fügte der junge Pianist, vor allem im ersten Teil des Abends, Bartók und Brahms kongenial ineinander mit einem kleinen improvisatorischen Übergang der extrem verinnerlichten, ja sehnsüchtigen vierten Ballade zur höchst expressiven, bissigen und motorisch hämmernden ersten Burleske aus Bartóks op. 8 C (1908/1911)
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| Julius Asal (Foto: ZEIT-Hamburg) |
Klar reduzierte Moderne
Aber kommen wir zum Einzelnen. Alles beginnt mit Béla Bartóks Suite op.14 (1916). Sie enthält vier Tänze im Allegro, Scherzo, Allegro molto und sostenuto, ist streng gebaut, metrisch und rhythmisch äußerst prägnant strukturiert und bildet bereits mit ihrer bitonalen, perkussiven und neoklassischen Anlage ein äußerst modernes Flair ab. Allerdings fehlt ihr doch noch gänzlich der folkloristische und spätromantische Touch, den Bartók in der Regel auszeichnet. Nein, diese Suite beschreibt eher den Wendepunkt des Komponisten zur klar reduzierten Moderne.
Ganz persönliche Klangwelt
Julius Asal wiederum begreift diese Suite eher als Einstieg in seine ganz persönliche Klangwelt. So spielt er das Eingangs Allegretto, ein überwiegend zweistimmig gesetzter Satz, weniger distanziert und kühl, wie eigentlich gefordert, sondern eher leichtgängig und mit ausgeprägtem Klangausdruck. Das Scherzo mit extremer Synkopik, eher eine Groteske, dagegen mit ausgefeilter Dynamik. Erst die dritte und vierte Suite lässt seine spezifische Spielweise erkennen. Hier glänzt er durch ein perlendes Presto und einem perkussivem Anschlag, wie auch im abschließenden Sostenuto, einem sehr ruhigen und meditativen Finale, durch große Ruhe und ein ausgeklügeltes Sentiment.
| Julius Asal (Foto: H.boscaiolo) |
Schwere Kost
Gleich, ohne Pause, geht es weiter mit den berühmten Brahmsschen Balladen op. 10. Vier an der Zahl, entstanden sie 1854 unter dem Eindruck der Bekanntschaft und Freundschaft mit Robert Schumann und seiner Frau Clara. Dennoch widmet er sie seinem Freund Julius Otto Grimm und veröffentlicht sie erst zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung. Grund: sie wurden vom ursprünglichen Verleger Bartolf Senff schlicht abgelehnt und erst 1856 von Breitkopf & Härtel verlegt.
Zauberhaft – dämonisch
Sicher sind sie irgendwie doch schwere Kost, von tiefer Melancholie und Erinnerungen an seine heimlich Geliebte Clara (erinnerten sie ihn doch so sehr an "die Dämmerungsstunden mit Clara") geprägt. Selbst Robert Schumann, dem er zu Weihnachten des Jahres 1854 ein Manuskript in die Endenicher Psychiatrie zuschickte, verstand nicht alles, lobte aber zumindest die „zauberhafte“ wie auch „dämonische Fantasie“, die ihn beim Hören der Balladen überkomme.
„Mit innigsten Gefühlen“
Julius Asal spielte sie zunächst unglaublich langsam und die Akkorde mit fast himmlischer Klangfülle. Weniger als Andante sondern vielmehr wie ein Largo, dabei aber wunderschön mit perfektem Legato und langen Bögen. Die zweite Ballade, ein Andante sehr süß und ausdrucksstark zu spielen, erinnerte in der Gestaltung und Ausführung doch stark an seinen Lehrer András Schiff, der ebenfalls größten Wert auf Intuition und Emotion der Interpretation legt. Allerdings auch hier verbleibt der jugendliche Pianist fast in einem Lento, so tief versetzt er sich in die Seele der Erzählung.
Erst in der dritten Ballade, einem Allegro mit zweimaligem heftigem Eingangsklopfen kommt Leben in die Bude. Und doch verschwinden nach heftigen Ausbrüchen die Töne wieder in einem Nirwana.
Ein Intermezzo lässt den Hörer wieder in himmlische Gefilde entschwinden, ein Klang zum Dahinschmelzen. So geht es weiter in der vierten Ballade, die Brahms mit einem piu lento überschreibt und einer Aufforderung, sie „mit innigsten Gefühlen, aber ohne die Melodie zu stark hervorzuheben“ zu spielen.
Für Julius Asal ein Leichtes, denn das kommt seiner musikalischen Grundauffassung gerade recht. Er spielt diesen Balladen-Abschluss wie aus einer Zauberwelt kommend und trotz alledem mit einem Spannungsbogen, der niemals abzubrechen droht. Eine unendliche Melodie, nur unterbrochen durch einen hymnischen Choral im Mittelteil.
Die Balladen enden in einem lang ausgedehnten Adagio, einem anwachsenden ritenuto und durchgehendem pianissimo.
| Julius Asal (Foto: H.boscaiolo) |
Typischer Twen – ausgelassen und überschwänglich
Lange Pause, das Publikum hält es nicht mehr auf ihren Sitzen, es klatscht frenetisch, auch wenn der Pianist eigentlich an dieser Stelle mit einem eigenen Übergang weitermachen und zu den drei Burlesken op. 8 C SZ 47 von Béla Bartók überwechseln wollte.
Aber egal. Asal nahm den Choral aus der vierten Ballade und entwickelte ihn in Form einer Kadenz zu einem gewaltigen, aber sinnreichen Vorspiel für die sarkastisch, bissigen und motorisch wilden Burlesken, die Bartók zwischen 1908 und 1911 schrieb. Kurz und knapp, jede etwa zweieinhalb Minuten lang, aber dafür von ausgesprochener Expressivität.
Bartók konnte auch humorvoll, verspielt, scharf und ironisch. So beschreibt er sowohl eine Zänkerei zwischen zwei Streithähnen, einen Betrunkenen nach einer ausgelassenen Zecherei und schließlich ein fast perkussives explodierendes Capriccioso im Nummer drei, das allerdings erst 1911 zu den zwei ersten 1908/09 gesellt wurde. Dennoch, eine Trilogie von außerordentlicher Lebendigkeit, die Julius Asal wie ein typischer Twen, ausgelassen und überschwänglich, vorstellte. Eine Lust zuzusehen und zuzuhören.
Meister der Melancholie
Für den zweiten Teil des Rezitals hatte Julius Asal die dreizehn Préludes op. 32 (1910) von Sergej Rachmaninow mitgebracht. Ja, Rachmaninow hat insgesamt 24 davon geschrieben, nach dem Vorbild von Johann Sebastian Bach und Frédéric Chopin. Am Bekanntesten ist vielleicht das cis-Moll, sein frühestes, aus dem Jahre 1893. Auch seine zehn Dazwischengeschalteten aus dem Jahre 1903 sind häufiger gespielt als diese dreizehn, aber dennoch gehören sie zum gewichtigsten, tiefsinnigsten und traurigsten, was der Meister der Melancholie überhaupt komponiert hat.
| Julius Asal (Foto: H.boscaiolo) |
Aufstieg zum Parnassum der Kunst
Eine enorme Vielfalt impressionistischer Farben, balladesker Erzählungen, lyrischer Innerlichkeit und dramatischer Ausbrüche. Herauszuheben vielleicht die Nr. 5 G-Dur, eine melodische Miniatur von ausgesprochener Gesanglichkeit, oder die Nr. 6 f-Moll (Allegro appassionato), mit stürmischen Tremoli, chromatischer Leidenschaft und düsterer Verdichtung in einem. Sehr virtuos die Nr. 8 a-Moll (Vivo), von ungeheurer Spritzigkeit und leicht ironischem Unterton.
Eine kurze Atempause brauchte der Pianist nach der Nr. 9 A-Dur (Allegro moderato), einer ausgedehnten Kantilene. Ein typischer Rachmaninow.
Mit der Nr. 10 h-Moll, einem Lento, beginnt der eigentliche Höhepunkt dieses Zyklus´. Zunächst düster elegisch, folgt mit der Nr.11 in H-Dur eine Volksweise im spätromantischen Duktus. Die Nr.12 in gis-Moll wiederum glänzt durch schnellste Arpeggien, aufgewühlte Motorik und technische Brillanz während die Nr. 13 in Des-Dur ein Grave con elevazione (Schwere mit Erhöhung) einen monumentalen, orchestralen wie sakralen Abschluss bildet. Eine hymnische Steigerung bis hin zu einer Apotheose, ein Aufstieg auf den Parnassum der Kunst.
Technische wie charakterliche Reife
Julius Asal spielte nahezu ohne Makel das gut 45-minütige Konvolut von enormer pianistischer und inhaltlicher Vielfalt zwischen Spätromantik und Moderne, ein emotionaler Bogen durch alle existierenden Gefühlswelten, die Asal bereits in seinen jungen Jahren sowohl technisch wie auch charakterlich beherrscht.
| Julius Asal (Foto: H.boscaiolo) |
Eine weitere Entdeckung
Das Publikum war zu recht begeistert und der Pianist ließ nicht lange auf seine Zugaben warten. Und die nutzte er zu eigenen Improvisationen, oder besser Arrangements bereits bekannter Stücke. Sehr intim die erste Zugabe, vielleicht zu Ehren seiner anwesenden Eltern, ein hinreißendes Lied Arrangement von Ennio Morricone aus: Once upon a Time „Deborahs Theme“, dann aus der Romeo und Julia Suite, die Nr. 2 Tanz der Ritter von Sergej Prokofjew, in einer eigenwilligen Version, und schließlich eine pianistisch-technisch brillante Abwandlung aus Chopins 24 Préludes der Nr. 10. Gar nicht manieriert oder irgendwie bemüht, nein, einfach mit viel eigener Kreativität und gedanklicher Auseinandersetzung mit dem Werk: Klangwelten von neuer Qualität und moderner Auslegung.
Julius Asal ist nicht allein ein Erlebnis der Pianisten Welt, sondern wirklich ein ganz eigener Typ mit eigener Klangvorstellung, Klangsprache und vor allem auch Anschlagskultur. Man ist gespannt auf seine weitere Entwicklung.


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