Tanzfestival Rhein Main 2025, 30.10 – 16.11.
Glitz, Gastspiel von Sebastian Weber, Staatstheater Wiesbaden, 05.11.2025
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| Sebastian Weber Dance Company (Foto: Jörg Singer) |
Mehr als nur rauschende Nacht
Glitz heißt es nahezu unisono sei eine rauschende Konzert-Performance … die das Publikum in die pulsierende Energie der Nacht hineinzöge. Dazu eine exzellente Live-Musik und nicht zu vergessen ein Dancefloor-Event voller Kraft und einer „Jetzt-erst-recht-Haltung (O-Ton: Sebastian Weber).
Alles das trifft es tatsächlich. Und hier könnte man eigentlich den Kommentar zum Gastspiel, das die Leipziger Sebastian Weber Dance Company im gerammelt vollen kleinen Saal des Staatstheaters Wiesbaden gab, beenden.
Das wäre allerdings zu wenig, denn diese Formation, bestehend aus sieben Tänzerinnen und Tänzern (vier Frauen und drei Männer) sowie einer Rock-Pop Band von fünf gestandenen Instrumentalisten an zwei E-Gitarren, zwei Keyboards und einem Schlagzeug, ist tatsächlich mehr als nur eine Zwölferbande, die ihr Publikum in gut 90 Minuten mal so richtig aufmischen möchte.
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| Sebastian Weber Dance Company (Foto: Sebastian Weber) |
Historischer Run durch die Dancefloor Szene
Nein, sie schafft es, Rock-Pop-Funk-Disco und nicht zuletzt den Stepptanz in einem Mix zusammenzuführen, der durchaus Sinn macht, und das Publikum in einer wohldurchdachten Choreographie mit geschickt eingeflochtenen szenischen Wechseln durch die Welt der Dancefloor Szene der letzten gut 50 Jahre zu führen.
Und das mit Witz, Leidenschaft, technischen Finessen, tollen Lichteffekten, guter Musik und last but not least auch sehr gut ausgedachten Tanzeinlagen der sieben Akteure (Maria Busquets, Gaëtan Farnier, Atalia Galina, Vilma Kananen, Nimrod Poles, Fran Žuglic und Gui Yuexuan).
| Tanzszene der Sebastian Weber Dance Company Foto: H.boscaiolo |
Hommage an Pop und Rock
Alles beginnt mit gefälliger Discomusik aus dem Off und Tanzübungen der Company, darunter auch die Instrumentalisten (Werner Neumann, E-Gitarre, Steffen Greisiger, Keyboard, Dominik Gershkovich, Keyboard, Tom Friedrich, Schlagzeug, Luca Genze, E-Bass).
Der Saal füllt sich, die Band greift zu ihren Instrumenten, die Tänzer in eigenwilligem Outfit (Nele Sternberg, Kostüme) leben die Party- und Clubkultur der 80er und 90er Jahre, begleitet von Discobeats, Lichteffekten und Nebelschauer.
Eine Hommage an die Popmusik, eine Erinnerung an Freiheit und Aufbruch, an Clubatmosphäre, die Herausforderung des Establishments, die Suche nach der eignen Identität und Vieles mehr. Alles treibt voran bis zur Ekstase. Die Musik erreicht das Maximum an Dezibel und die Tänzer geraten bereits ins Schwitzen und an die Grenzen ihrer energetischen Möglichkeiten.
Ikonographisch versammeln sie sich auf einem Bühnentisch hinter der Band und zeigen in körperlicher und gestischer Provokation ihre Revolte gegen jegliche Art von Konformität der Erwachsenenwelt.
Blues und Stepp
Dann ein Cut. Es herrscht Stille und die Bühne verdunkelt sich. Einer der Keyboarder beginnt mit zwei simplen Akkorden in der Tonika und Subdominante. Auf der Bühne zelebrieren zwei der Tänzer ein inniges Pas de Deux, das langsam bei bluesiger Ausschmückung der Zweitonfolge von allen Tänzern, drei Paare und ein Solist, ergänzt wird.
Es wird wieder lebendiger. Zwischenzeitlich ziehen sich vier der Tänzer die Stepptanzschuhe über und beginnen in langsamen Schritten den Rhythmus der Band mit dem Klacken der Stepp Schritte zu verknüpfen. Eine ganz neue rhythmische und tänzerische Welt eröffnet sich jetzt.
| Kleiderwechsel Glitz(er), Sebastian Weber Dance Company Foto: H.boscaiolo |
Der Stepp – Widerstand gegen Unterdrückung
Der Stepp, eine Tanz Form aus dem frühen 20. Jahrhundert – wer erinnert sich nicht an Fred Astaire und seine wunderbare Begleiterin Ginger Rogers – ist eigentlich aus der Mode gekommen, wird aber von vier der Tänzer in perfekter Manier vorgeführt. Mal solistisch, mal in zweier Gruppen und auch im Viererpack dialogisieren sie mit dem Drummer, Tom Friedrich, und den E-Gitarristen (Werner Neumann und Luca Genze), das es nur so eine Freude macht.
Hoch komplexe Rhythmen wechseln mit einfallsreichen Tanzeinlagen. Dazwischen schleichen die übrigen Drei wie wilde Tiere zwischen den Vieren herum. Vielleicht eine Reminiszenz an den Ursprung des Stepptanzes aus dem irischen und afroamerikanischen Milieu, einer Zeit, in der den Sklaven wie den unterjochten Iren jegliche musikalische Äußerung verboten war und sie anfingen, mit ihren Füßen eigenwillige Rhythmen zu erzeugen.
Herzschmerz und mentale Erholung
Dieser Part endet wieder in völliger Ekstase. Die Gruppe scheint in ein Fieber zu fallen. Sie gerät in Zuckungen, in heftiges Schütteln aller Gliedmaßen, eine lange Phase mit geräuschvoller und dumpfer Musikuntermalung, bis zur völligen Erschöpfung und absoluter Stille.
Es folgt eine herrliche Einlage des Liedgitarristen Werner Neumann sowie einem Pas de Trois von außerordentlicher Eindringlichkeit. Man ist unweigerlich an Eric Claptons Tears in Heaven, eine Hommage an seiner verstorbenen Sohn, erinnert. Natürlich ist es eine Eigenkomposition von Neumann höchstselbst und eine wirklich gelungene (Übrigens sind alle musikalischen Beiträge Eigenkompositionen auch von Steffen Greisiger und Dominik Gershkovich). Viel Herzschmerz, aber auch mentale Erholung bietet dieser Zwischenpart, der dann von einem ausgedehnten Kleiderwechsel fortgesetzt wird.
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| Sebastian Weber Dance Company (Foto: Jörg Singer) |
Glitzer und Glamour
Ein Garderobenwagen mit schrillen Fetzen wird auf die Bühne gerollt. Ein Flair von Varieté erfüllt den Raum. In exhibitionistischer Manier ziehen sich die Tänzer aus und wieder an. Sie kokettieren mit dem Publikum. Die Männer mutieren zu Transen, die Frauen zu Sexpüppchen. Es glitzert (siehe Titel der Performance). Der Schein von Rave und Bühnenshow wird perfekt inszeniert.
Und die Musik? Sie erinnert an den Rosaroten Panther Titelsong von Henry Mancini aus den 1960er Jahren, witzig, ironisch und tollpatschig, wie der Inspektor Clouseau.
We are the Champions
Die Bühne ist jetzt ein Hort des Glanzes und Glitzers, der visuellen Überfrachtung und der ekstatischen Party. Die Company steigert sich tatsächlich noch einmal zu einer wirklich brillanten Performance.
Überraschende Formationen, extrem variable Rhythmen per Stepp, Klatschen, Stampfen und Rufen, dazwischen ein Schlagzeugsolo von Toni Friedrich wie aus den Zeiten der Superdrummer Keith Moon von den Who oder John Bonham von Led Zeppelin, ein Spektakel voller Kraft und Bewegungsintelligenz, das, wie sollte es anders sein, im etwas verfremdeten We are the Champions von Freddy Mercury endete.
Eine quasi Coda, die noch einmal den Einfallsreichtum der Company dokumentierte. Die Tänzer entkleiden sich, während die Hymne mit orchestralem Duktus ertönt, treten vor das Publikum in Siegerpose und mit absoluter Zuversicht. Wir sind diejenigen, die dem gesamten Kladderadatsch der Gesellschaft trotzen. Wir machen unser Ding, komme was wolle. Kurz: Wir sind die Sieger, wenigstens auf der Bühne und im Raum der kulturellen Freiheit.
| "Die Zwölferbande" der Sebastian Weber Dance Company Foto: H.boscaiolo |
Mit geistreichen Wassern gewaschen
Ein wirklich krönender Abschluss. Die Aufforderung zum Mittanzen bei der Zugabe wurde gerne angenommen. Man glaubt es kaum, wie enthusiasmiert das Publikum war. Man tanzte überall, wo Platz war. Viele bevölkerten die Bühne und die Gänge schwankten vom Rhythmus der vielen Tänzer.
Glitz ist zwar absolut rauschend und mit Feierlaune nur so gespickt, aber Glitz ist auch eine wohldurchdachte, sehr gut choreographierte und vielseitige Show, die mit allen geistreichen Wassern gewaschen ist. Großes Lob an den Choreographen Sebastian Weber und seiner Dance Company.
Passt perfekt in die heutige Zeit und lässt den kulturellen Raum des Rock-Pop nebst Stepp wieder lebendig werden. Leider fehlt heute (noch) diese Aufbruchstimmung der zweiten Hälfte der Nachkriegszeit.



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