Wiener Symphoniker mit Petr Popelka (musikalische Leitung) und Lukas Sternath (Klavier), Alte Oper Frankfurt, 04.11.2025 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)
| Wiener Symphoniker (Foto: Peter Rigaud) |
Aus dem Häuschen gebracht
Immer wieder sind die Wiener Symphoniker gern gesehene und gehörte Gäste in Frankfurt, ist doch ihr Klang einmalig, lassen sie doch die Seele Wiens wie auch die der Alpenrepublik glänzen.
Dazu haben sie zwei ihrer Ausnahmekomponisten mitgebracht, Wiener par excellence, denn sie erlebten dort ihre Karrierehöhepunkte und ihre musikalische Unsterblichkeit. Zwei quasi Debütanten, Ludwig van Beethoven (1770- 1827) mit seinem op. 15, dem 1. Klavierkonzert in C-Dur (1795/1800), und Gustav Mahler (1860-1911) mit seiner Sinfonie Nr. 1 D-Dur (1888/89/1899).
Zwei Werke, die zwar nicht zu ihren ersten Kompositionen gehören, dafür aber in ganz neue Genres der Musik eindrangen. Beide Werke gelten als revolutionär, eigensinnig und verrückt. Beide Komponisten haben die damalige Musikwelt damit aufgewühlt, erregt und förmlich aus dem Häuschen gebracht.
| Petr Popelka (Foto: Peter Rigaud) |
Stars an Pult und Flügel
Der große Saal der Frankfurter Alten Oper war zwar nicht voll besetzt, dafür aber die Erwartungshaltung enorm. Stand doch mit Petr Popelka (*1986), dem geborenen Prager, ehemaligen Kontrabassisten der Sächsischen Staatsoper und seit der Saison 2024/25 Chef der Symphoniker, ein ausgewiesener Star am Pult, und mit dem Pianisten Lukas Sternath (*2001), saß ein junger aufstrebender Tastenkünstler aus Wien am Steinway, der bereits alles an pianistischer Klasse vereint, was ein so junger Mensch überhaupt mitbringen kann: Technische Brillanz, gesangliche Versiertheit (er war bekanntlich lange Mitglied der Wiener Sängerknaben) und ausdrucksstarke Interpretation.
Kontrast zwischen Solo und Tutti
Jugendlich und ohne jegliche Allüren betritt er die Bühne in lässigem schwarzen Outfit, und wartet geduldig auf seinen Einsatz, denn das Orchester spielt zunächst die ausgedehnte Exposition des Allegro con brio in warmer und sehr gesanglicher Anlage. Schön, mit Herz, aber doch kaum Beethoven like. Der Einsatz des Pianisten dagegen ist energisch und kraftvoll, irgendwie ein Kontrapunkt zum Orchesterduktus. Auffallend die Kommunikation zwischen Solist und Ensemble und der Blickkontakt zwischen Popelka und Sternath.
| Lukas Sternath (Foto: Website) |
Eigene Kadenz?
Ein erster Satz, ganz in der klassischen Sonatenform geschrieben, der in einer ausgedehnten Kadenz am Ende der Reprise mündet. Hier scheint Lukas Sternath vermutlich eine eigene Version vorzutragen. Bekanntlich gibt es allein von Beethoven drei Versionen, aber auch von verschiedenen Pianisten, wie Alfred Brendel, Johannes Brahms, Ferruccio Busoni, um nur einige zu nennen. Sternath jedenfalls spielt seine mit absoluter Brillanz, heftigen Ausbrüchen (wie es Beethoven gewollt hätte, vielleicht seine dritte Version, Jahre später geschrieben), überraschenden harmonischen Wendungen und mit chromatischen und kontrapunktischen Passagen. Eine unglaubliche Empfehlung seiner klavieristischen Qualität allemal. Der Schluss des ersten Satzes, wie zu Beethovens Zeiten eher üblich, kurz und knackig, ohne ausgedehnte Coda.
Bar jeglicher Romantik
Der zweite Satz, ein Largo von weihevoller Stimmung, hat Beethoven eher kammermusikalisch konzipiert. Hier herrschen vor allem Dialoge zwischen Klavier und einzelnen Instrumenten (Fagott, oder Klarinette) wie Instrumentengruppen (Streicher, oder Bläser) vor. Sternath spielt diesen Part sehr getragen, wenngleich sein Anschlag doch, eher gewollt, einen rauen Ton bevorzugt. Klar konturiert, aber bar jeglicher Romantik. Eine Interpretation, die durchaus auch auf eine Eigenwilligkeit des Künstlers hinweist.
| Lukas Sternath (Foto: Andreas Etter) |
Marktgeschrei und stampfende Tanzmusik
Dann der Dritte Satz, ein Rondo Allegro scherzando, ein verspieltes Finale, tänzerisch und volksnah, wie verlangt. Sternath und das Orchester führen kontroverse Dialoge und lassen mit hervorgehobenen rhythmischen Akzenten ein folkloristisches Flair wie auf einem turbulenten Markt mit Tanzbühne aufkommen: Marktgeschrei und stampfende Tanzmusik in einem. Alles zwar ein wenig künstlerisch aufgepeppt, aber durchaus mit Witz und Pointen gespickt. Auch hier die Coda kurz und knapp. Das Klavier verstummt, und zurück bleibt ein kurzes Aufbäumen des Tutti.
Von allem ein wenig
Eine Vorstellung mit Besonderheiten, die man unterschiedlich auffassen kann. Beethovens erstes Klavierkonzert, das eigentlich sein zweites ist (das erste lag bereits in der Schublade) brauchte doch einige Jahre bis zu seiner endgültigen Fertigstellung. Er spielte es bei seiner Uraufführung im Jahre 1800 (!) selbst, mit eigener Improvisation versteht sich, und tüftelte noch bis zur Drucklegung 1801 daran herum, was sich auch an seinen drei Kadenzen ablesen lässt.
Die Aufführung ist insofern doch den einzelnen Interpretationsmustern der Orchester anheimgestellt. Die Wiener spielten es einfach wienerisch mit ein wenig Schmäh, ein wenig Kaffeehauskultur, ein wenig Heurigen Wirtschaft und von allem nur ein wenig – halt eben.
Dennoch ein herzhafter Auftakt, der nach einer Zugabe des Tastenkünstlers Lukas Sternath aus Franz Schuberts Ges-Dur Impromptu op. 90 Nr. 2 (D899), wenig Schubert, dafür viel Wiener Klassik, mit Gustav Mahlers (1860-1911) Sinfonie Nr. 1 D-Dur (1889) fortgesetzt wurde.
| Lukas Sternath, Petr Popelka, Wiener Symphoniker Foto: Andreas Etter |
Mahler schrieb seine erste Sinfonie zunächst als Sinfonische Dichtung, in fünf Sätzen mit Titeln wie Titan (entnommen aus dem gleichnamigen Roman von Jean Paul) oder auch programmatischen Bezeichnungen wie Totenmarsch aus E.T.A. Hoffmanns Fantasiestücke in Callots Manier. Diese Version wurde 1889 und 1893 (mit ausführlichem Programm) aufgeführt.
Später zog er diese Version zurück, da sie seiner Meinung nach den Hörer auf die falsche Fährte führe. Sein Ansinnen, eine Sinfonie 'mit allen technischen Mitteln eine Welt aufzubauen', hat er im Jahre 1899 realisiert, als er das Werk in seine viersätzige Form zur Drucklegung brachte, die bis heute zur Aufführung kommt. Der Titel Titan ist allerdings geblieben, obwohl er keine Bedeutung mehr hat.
Ein lethargisches Raubtierrudel
Der erste Satz, langsam, schleppend Wie ein Naturlaut etc. wirkt wie eine träge, fast schwerfällige, jedoch atmosphärische Einführung. Alles zwischen piano und mezzoforte. Dann die bekannte Liedzeile aus seinem bereits 1884 entstandenen Zyklus: „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und daraus: „Ging heut´ Morgen über´s Feld“ und „Wie mir doch die Welt gefällt“.
Dem Orchester merkt man die Routine an, spielt sie diese Sinfonie doch sehr häufig. Petr Popelka wird hier bereits zum Dompteur eines etwas müden Raubtierrudels, das aus seiner Lethargie herauszuholen ist. Die extremen Kontraste, ja Durchbrüche, bleiben wie in einem Käfig gefangen, ohne das Brüllen oder das geforderte Jubeln der Coda wirklich herauszufordern.
| Petr Popelka, Wiener Symphoniker (Foto: H.boscaiolo) |
Derb und voller Unruhe
Der zweite Satz, kräftig, bewegt und doch nicht zu schnell, besteht aus einem derben Ländler und einem Walzer Trio wie aus einem Heurigen Lokal voller angetrunkener Gäste.
Ja, es geht tatsächlich ausgelassen zu mit starken dynamischen Kontrastierungen, ausgedehnten Rubati und Fermaten. Leider wird es jetzt sehr unruhig im Publikum. Viele verlassen den Saal, einige andere ereilen Schwächeanfälle, warum auch immer, aber sehr störend.
Feierlich – elegisch – morbid
Der dritte, sehr bekannte Satz, soll feierlich und gemessen das Lied des Bruder Jakob intonieren. Die Kontrabässe leiten es ein, geben es weiter ans Fagott, die Bassklarinette und schließlich die Streicher und Blechbläser. Ein gewaltiger Kanon, der allerdings das feierliche besonders heraushebt, das sarkastisch Groteske dieses Satzes aber doch ein wenig vermissen lässt.
Sehr gut auch die ausgeprägte Artikulation des Nebenthemas, wieder aus seinem Zyklus, das Lied: „Auf der Straße stand ein Lindenbaum“. Ein lyrischer Abschnitt von großer Elegie bis hin zu morbider Endzeitstimmung. Der Satz endet in einem kaum enden wollenden Morendo und in einem absoluten Pianissimo.
| Petr Popelka, Wiener Symphoniker (Foto: Andreas Etter) |
Ein „Schreckensfinale“
Dann das Finale, stürmisch bewegt ist die Ansage, und orkanhaft mit Donner und Blitzen setzt das Orchester ein. Petr Popelka hat alle Hände voll zu tun, es fehlt ihm nur noch die Peitsche.
Dieser Satz lebt von seiner musikalischen Extremität und seinen Durchbrüchen. Unglaublich. Das wilde Rudel scheint seine Rolle gefunden zu haben. Eine Apotheose folgt der nächsten. Man besinnt sich allerdings des Naturhaften aus dem Kopfsatz.
Wieder hört man, zwar kryptisch angedeutet: „Ging heut´ Morgen über´s Feld … wie mir doch die Welt gefällt.“ Allerdings bedeutet dies lediglich die Ruhe vor dem Sturm: Die acht Hornisten stellen sich auf und intonieren ein Jagdgeheul, das unter die Haut geht. Eine gewaltige Dreiklangfolge des gewaltigen Orchesters der Wiener Symphoniker (ca. 100 Instrumentalisten) leitet die Schlussapotheose ein, die mit einem tosenden Hymnengesang endet.
Auch der Beifall ist laut und enthusiastisch und man ist an die Aussage Eduard Hanslicks erinnert, der von einem „Schreckensfinale“ fabuliert, als er erstmals diese Sinfonie hörte. Nein, kein Schreckensfinale, sondern eins, das einem im positiven Sinne schrecklich unter die Haut ging.
| Petr Popelka, Wiener Symphoniker (Foto: H.boscaiolo) |
Viel Eigensinn
Petr Popelka spürte die Aufregung im Publikum und ließ nicht lange auf eine Zugabe warten: Man spielte die Blitz und Donner Schnellpolka von Johann Strauß Junior op.324. Ein gekonnter Absacker, der gebraucht wurde, um das Publikum sicher aus der Alten Oper und auch sicher nach Hause zu begleiten. Ein Abend mit Höhen und Tiefen, aber einer mit Eigensinn.
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