Vikingur Ólafsson, Klavierrezital in E, Alte Oper Frankfurt, 11.11.2025 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)
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| Vikingur Ólafsson (Foto: PRO ARTE) |
Klavierrezital in E
Er wäre nicht Vikingur Ólafsson (*1984), wenn er nicht seinen Rezitals einen besonderen Impetus beifügen würde. Vor zwei Jahren waren es die Goldberg Variationen von Johann Sebastian Bach, die er auf 88 Tasten und 88 Konzerten völlig neu interpretierte, zu einem außerordentlichen Event werden ließ, und damit allerlei Preise (unter anderem den GRAMMY 2025) einheimste.
Gegenwärtig ist es sein Faible für das tonale E. Sei es das e-Moll oder das E-Dur. Beide doch sehr unterschiedliche Tonarten (einmal das parallele Moll zu G-Dur mit einem Kreuz, und das andere Mal das vier kreuzige E-Dur, dessen parallele Molltonart das cis-Moll wäre) hat Vikingur Ólafsson sie doch in fünf Werke von Johann Sebastian Bach (1685-1750), Ludwig van Beethoven (1770-1827) und Franz Schubert (1797-1828) gebettet, und daraus ein 90-minütiges durchgehendes Bühnendrama werden lassen, zwischen Morgenstimmung und Verzweiflung, zwischen brennendem Gelb und düsterem Schwarz, zwischen Jauchzen / Frohlocken und tiefer Trauer.
| Vikingur Ólafsson (Foto: Andrea Etter) |
Nocturne oder Pastorale
Denn das wird in der Regel mit diesen Tonarten verbunden und Ólafsson führte mit diesem Leitgedanken das Publikum im gut besetzten Großen Saal der Frankfurter Alten Oper durch fünf Werke der benannten Komponisten, quasi in hartem E-Dur und weichem e-Moll.
Gleich zu Beginn ein kurzer Prolog aus Johann Sebastian Bachs Präludium E-Dur BWV 854, vermutlich um 1717 entstanden. Knappe drei Minuten im 12/8 Takt, eine Pastorale, die sogar ein bisschen an Chopins Nocturnes oder Bellinis Melodik erinnern könnte.
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| Vikingur Ólafsson (Foto: Ari Magg) |
„Durchaus mit Empfindung“
Dann folgt gleich Beethovens op. 90. in e-Moll (1815), fünf Jahre nach seiner, die erste Kompositionsphase abschließenden Les Adieux Sonate op. 81a, wie seiner 7. und 8. Sinfonie (1812) und seiner Ouvertüre zu Wellingtons Sieg (1813) geschriebenen erfolgreichen Werke.
Mit dieser Sonate beginnt seine introvertierte, letzte Schaffensphase. Zweisätzig, ist sie, erstmals mit deutschen Übertiteln belegt und fordert Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck im ersten Satz sowie Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen im zweiten Satz.
Ja, diese Sonate ist von tiefer Romantik geprägt und Ólafsson spielt sie entsprechend. Wie die Morgenstimmung vor allem im Zweiten und Schlusssatz, ein wenig vergleichbar mit der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg.
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| Vikingur Ólafsson (Foto: Website) |
Flügelflüsterer
Die Bachsche Partita in e-Moll BWV 830 aus dem Jahre 1730 (allerdings existiert das Manuskript bereits seit 1725) gehört dann bereits zum dramatischen Knackpunkt des Abends. Sieben Suiten sind es aus dessen Klavierübung 1. Teil Nr. 4-6, hieraus die letzte und sechste. Gleich die einleitende Toccata mit eingebauter Fuge gehört zum Besten dieser Suite. Ihr folgen die Allemande, Corrente, Air, Sarabande, Gavotte und Gigue.
Ólafsson interpretiert sie einfach göttlich, mit ausgeklügelter Akzentuierung, wohldurchdachter Dynamik (man bedenke, diese Tänze sind für Cembalo geschrieben), transparenter Technik, lichter Klangfülle und dennoch größter Ruhe und Gelassenheit. Hier ist der Tastenakrobat und Flügelflüsterer ganz in seinem Element.
| Vikingur Ólafsson (Foto: Andrea Etter) |
Typisch und doch nicht typisch
Die abschließende Gigue mit ihren punktierten Rhythmen, kleine Septsprüngen und ausgefeilten Trillern setzt dieser wunderbaren Interpretation noch einmal die Krone auf. Hingerissen von dieser pianistischen Klangkunst (der Flügel ist übrigens prächtig gestimmt) wird man unmittelbar in Franz Schuberts selten gespielte Klaviersonate e-Moll D 566 (1817) übergeführt. Ursprünglich in vier Sätzen konzipiert bleibt sie doch unvollendet.
Tatsächlich authentisch sind lediglich zwei Sätze, das Allegro in e-Moll und das Allegretto in E-Dur. Irgendwie ein typischer und doch kein typischer Schubert. So ist der erste Satz, trotz seiner Sonatenhauptsatzform, doch ziemlich zerrissen während das Allegretto ganz im Sinne eines E-Dur, heiter und offen daherkommt. Viel Anlehnung an Mozart und Beethoven aufweist, und trotzdem ungewöhnlich zerklüftet wirkt. Man könnte gar von einem Impromptu sprechen, einer Art Improvisation eines 20-jährigen Schubert in einer Matinee oder einem Salonkonzert.
Und entsprechend spielt es der Pianist auch, romantisch und doch mit eingebauten Reibungen und Kontrasten.
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| Vikingur Ólafsson (Foto: Marco Borrelli) |
„Melodisches Glück“ – Lieto fine
Kaum zu Atem kommend schlägt er dann mit sanfter Gewalt das Vivace ma non troppo aus Beethovens E-Dur Sonate op.109 (1820) an, um gleich nach acht Takten in das geforderte Adagio espressivo umzusteigen.
Diese Sonate ist die erste der drei Abschlusssonaten, Maximiliane Brentano, der Tochter seiner Freundin Antonie Brentano, gewidmet und pflegt bereits den improvisatorischen Umgang mit der Sonatenform, zeichnet sich durch besondere Gesanglichkeit und Empfindsamkeit, wie auch durch rhythmische Vielfalt aus.
Kein Geringerer als der Musikkritiker Joachim Kaiser (1928-2017) machte sie zum „Sinnbild eines immer inniger, immer sublimer, immer unumschränkter herrschenden melodischen Glücks.“ Na ja, da ist was dran, spielte Ólafsson sie doch wie den finalen Spannungsbogen, der den Höhepunkt des Fünf aktigen Dramas fixiert.
Sollte die Bachsche Partita den Konflikt auf die Spitze treiben (was dem Interpreten mit Bravour gelang), so bot die Beethovensche Sonate op. 109 die absolute Lösung mit einem wunderbaren und zufriedenstellenden Lieto fine an, einer Sarabande, die die hektischen und atemberaubenden sechs Variationen durch himmlische Ruhe wieder ins Reine brachte.
| Vikingur Ólafsson (Foto: Andrea Etter) |
Eigenwillig aber publikumswirksam
Vikingur Ólafsson ist ein eigenwilliger und vielleicht sogar polarisierender Künstler an den Tasten, seine pianistische Qualität steht selbstverständlich außer Frage.
Aber zugleich ist er auch publikumswirksam (er spricht am Schluss seines Vortrags noch kurz über die Absicht, die er mit dieser Auswahl von Stücken hegt, nämlich seine Freude und seine Achtung vor der Größe und Qualität dieser Komponisten zum Ausdruck zu bringen), bedankt sich beim Frankfurter Publikum, das er zu seinem Besten zählt – Frankfurt wäre ihm zu seiner zweiten Heimat geworden (aber das trifft auch für Wien oder auch Salzburg zu, aber egal), und gibt tatsächlich noch drei Zugaben, alle aus dem Bereich des Barock, worin er es tatsächlich zu eine überragenden Meisterschaft gebracht hat.
Bach und Jean Philip Rameau gehörten zu seiner Auswahl: seine Lieblings Sarabande aus der 6. Französischen Suite E-Dur, das Präludium in e-Moll BWV 855 sowie von Jean-Philippe Rameau Le rapell des oiseaux e-Moll. Wie man unschwer sieht, alles in E. Stehende Ovationen, fast schon eine Selbstverständlichkeit.




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