Mittwoch, 3. Dezember 2025

Happy New Ears, Portrait: Helmut Lachenmann (*1935), Werkstattkonzert mit dem Ensemble Modern, musikalische Leitung und Moderation: Enno Poppe (*1969), Oper Frankfurt, 02.12.2025

Helmut Lachenmann (Foto: Emilio Pomàrico)

Zum 90. Geburtstag

Dass Helmut Lachenmann noch mitten in seinen Geburtstagsfeierlichkeiten steckt, die ihn seit dem 27.11., seinem 90., durch halb Europa führt, ist selbstverständlich und bewundernswert. 

Gerade aus Hamburg kommend, befindet er sich bereits auf dem Sprung nach Stuttgart, wo er von seiner Heimatstadt geehrt werden wird, und macht einen Zwischenstopp in Frankfurt, dem Sitz des Ensemble Modern, das seit über 40 Jahren den Komponisten und sein umfangreiches Oeuvre begleitet. Chapeau!

Enno Poppe, Ensemble Modern (Foto: H.boscaiolo)

Alles beginnt mit Mouvement

Am gestrigen Abend war der große Saal der Oper Frankfurt gefüllt. Die Welt der Neuen Musik gab sich ein Stelldichein und wollte den Erfinder der musique concrète instrumentale noch einmal life erleben, denn Helmut Lachenmann ist immer eine Reise und einen Besuch wert.

Man hatte sich für dieses Werkstattkonzert nicht von ungefähr sein Mouvement ( - vor der Erstarrung), komponiert zwischen 1982 / 83 ausgesucht, denn es wurde von eben diesem damals noch sehr jungen Ensemble Modern (gegründet 1980 in Frankfurt/Main) am 12. November 1984 im Théatre du Rond-Point Paris uraufgeführt, womit auch gleichzeitig die freundschaftliche Zusammenarbeit begann.


Ein eigenes Bild von Mouvement

Das Werk von gut 25 Minuten Dauer für 15 Instrumente gehört nicht allein zu den meist gespielten der Neuen Musik (allein das Ensemble Modern spielte es in den letzten 40 Jahren mehr als einhundert Mal), sondern auch zu den Schlüsselwerken nach den 1950er Jahren, der Dodekaphonie, des Serialismus und des Postserialimus, verkörpert unter anderem auch von den Größen wie Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono, Pierre Boulez, Mauricio Kagel oder auch Nicolaus A. Huber, um nur einige wenige der Wegbegleiter Lachenmanns zu nennen.

Mouvement ( - vor der Erstarrung) ist bereits vielfach analysiert und kritisiert worden, man muss seine Intention nicht unbedingt wiederholen, aber dennoch vermittelte Helmut Lachenmann am gestrigen Abend im Gespräch mit Enno Poppe ein ganz eigenes Bild im Zusammenhang mit dieser Komposition.

Helmut Lachenmann, Enno Poppe, Ensemble Modern
  
(Foto: H.boscaiolo)

Bis heute nicht verdaut

Lebendig wie immer, die Zeit hat ihn jung bleiben lassen, plauderte er aus dem Nähkästchen und meinte zunächst, auf dieses Werk angesprochen, es mute den Musikern eine Menge zu. Er habe sie mit dieser Komposition aus dem „philharmonischen Gefängnis befreien“ und „andere Antennen mobilisieren“ wollen. Sicher habe man seine Musik bis heute nicht verdaut, aber das gelte auch für Schönberg, Webern, oder auch für Nono und Ligeti.


Musikantisch – primitiv

Warum das Werk dennoch zu einem Dauerbrenner geworden sei liege wohl auch an seiner darin angelegten Provokation und dem Reiz der Motorik. Trotz der Verzerrungen, der krachenden und knisternden Geräusche, sei es doch sehr „musikantisch“ und in gewissen Sinne auch „primitiv“ angelegt. Lange habe er sich damals überlegt, ob er das Stück überhaupt aufführen lassen wolle.

An dieser Stelle erinnert Uwe Dierksen, damaliger Teilnehmer an der Uraufführung, daran, dass sie in Benndorf nicht nur über eine Woche lang geprobt und täglich zweimal zusammengekommen seien, sondern auch immer vor dem Problem standen, ob das Stück überhaupt spielbar sei. Helmut Lachenmann meinte, fährt er fort, „es sei zu banal, es sei ihm peinlich“. Aber Paris habe gerufen, und die Aussicht auf ein internationales Renommee obsiegte.

Dazu Lachenmann: „Ja, ich hatte Glück.“ Seine Suche nach einem neuen Klang, nach neuen Kontexten sei honoriert und erkannt worden. Ja, er habe Klangelemente aus Mozarts Zauberflöte, aus Beethovens Sinfonien und Wagners Opern verwendet, aber dermaßen verfremdet, dass daraus neue Zusammenhänge entstanden. Ja, er hatte zunächst Angst vor der eigenen Courage, die aber durch den Erfolg der Uraufführung beiseite geschoben und ihn zu neuen Taten ermuntert habe.

 Enno Poppe, Helmut Lachenmann, Ensemble Modern
(Foto: H.boscaiolo)

Choreographie des Dirigenten

Poppe widerspricht der Bezeichnung Banalität und hebt stattdessen die Komplexität der Komposition hervor. Dieses Stück habe ihn wegen seiner musikalischen Sprache beglückt und das hätte sich bis heute fortgesetzt. 

Tatsächlich ist sein Dirigat mehr als das. Poppe zelebrierte gleichsam die Musik am Pult. Wie ein Tänzer choreographierte er die 17 Akteure an ihren Xylophonen, Bassklarinetten, Trompeten, Streichinstrumenten und vor allem auch den drei Frog-Klavieren (Kinderspielzeuge aus den 1980er Jahren mit acht Tasten und acht Glöckchen, die heute nicht mehr produziert werden). Ein klanglicher, aber auch optischer Leckerbissen.


Sie bleiben jung und voller Lust

Lachenmann erzählte dazu eine Anekdote von Karlheinz Stockhausen, der einem alternden Musiker, der ihm die Musik seiner Werk absprach, antwortete: „Mit dieser Musik bleiben sie jung“, und ergänzte es mit seiner aktuellen Erfahrung mit den Münchener Sinfonikern, die gerade seine My Melodies probten. Er bemerkte, dass „die Hörner doch sehr streng und verbissen bliesen“ und forderte sie freundlich auf, doch beim Blasen zu Lächeln, wohl wissend das es nicht funktioniere. Bei seiner Feststellung allerdings, er könne ihr pianissimo nicht hören, weil seine Ohren mittlerweile etwas gelitten hätten, forderte er sie auf, eine „Seniorenfassung“ (Fortissimo) auszuwählen. Allein das habe die Grenzen gesprengt. Ab da hätten sie locker, ja lustvoll ihre Parts gespielt.

Enno Poppe (Foto: Harald Hoffmann)

Glück im Leben durch selbstständiges Nachdenken

Lachenmann betonte immer wieder, seine Musik sei heiter, fordere zum Nachdenken auf und lasse die Ohren und Gemüter jung bleiben. Er höre Wagner, Beethoven, Verdi oder wen auch immer mit anderen Ohren, schaffe neue Kontexte und schöpfe aus den Klängen, die allesamt bereits im Äther existierten, immer Neues und Nachdenkliches.

Bemerkenswert sein Bezug zur allgemeinen Lage in Deutschland. Vielleicht, setzt er fort, schaffe seine Musik Raum gegen die verbreitete „kollektive Verblödung zurzeit“. Wir seien „von geistlosen Zombies umgeben“. 

Seine Kunst verstehe er als Beitrag zur Geistesentwicklung, sie öffne in Permanenz die Gemüter. Ihn reizten nicht diejenigen, die seine Musik "lediglich interessiere" (sie seien verloren), sondern nur diejenigen, denen sie nicht gefalle, weil gerade sie es seien, die bereit wären, sich seiner Musik zu öffnen. 

Ein scheinbares Paradoxon, aber, mit den Worten Lachenmanns gesprochen: Nur das selbstständige Nachdenken über Musik und Kunst mache frei. Er will diejenigen gewinnen, die seine Musik nicht mögen, das mache ihn glücklich. Und Glück habe er in diesem Leben in Fülle gehabt und genossen.

Helmut Lachenmann, Enno Poppe, Ensemble Modern
(Foto: H.boscaiolo)


Humor und Selbstironie

Helmut Lachenmann steckt voller Humor mit einem gewissen Maß an Selbstironie und einem hohen Maß an Gelassenheit. Er ist ein Vorbild – vielleicht ungewollt – in einer Zeit der grassierenden Dummheit, eines gefährlichen Realitätsverlustes, einer gewaltigen moralischen Verkommenheit sowie einer grassierenden ideologischen Verblendung. 

Seine Musik wie seine live Präsenz haben das Publikum zu recht begeistert und viele glückliche Gesichter zurückgelassen. Möge sein Geist, seine Weisheit und sein Werk diesen Globus weiterhin bereichern.


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